Indische Aktien überflügeln China

Wer an Aktien aus den Schwellenländern denkt, blickt in erster Linie auf China. Aber die Märkte in Indien sind schon seit einiger Zeit stärker.

China hat die Pandemie im Griff, und die Aktien sind seit dem Corona-Crash an den globalen Märkten im März 2020 gut gelaufen. 34 Prozent beträgt das Plus beim Schanghai Composite, und der Hang Seng Index in Hongkong konnte sogar 40 Prozent zulegen. Aber diese stolzen Zuwächse verblassen hinter dem indischen Aktienmarkt. Dort zog der Sensex seit dem Tief am 23. März 2020 fast stetig um nicht weniger als 92 Prozent an. Da kann selbst die Dauerrally in New York nicht mithalten, die den Dow Jones um fast 75 Prozent nach oben trieb. Der amerikanische Finanzdienstleister MSCI hat reagiert. Im Dezember erhöhte er in seinem MSCI Emerging Markets Index die Quote indischer Aktien von 8,1 auf 8,7 Prozent. James Sullivan von der Investmentbank JP Morgan meint, das Land verkörpere «die beste Wachstumsgeschichte, die es unter Schwellenländern weltweit gibt.»

Auch Indien kann Erfolge in der Pandemie-Bekämpfung vorweisen, zumal der grösste Impfstoffhersteller der Welt in diesem Land ansässig ist. Seit dem Jahresbeginn geht es an der Börse in Mumbai indes etwas ruhiger zu, der aktuelle Indexstand von rund 50 000 bedeutet einen Auftrieb von gut vier Prozent seit Jahresbeginn. Da lohnt ein Vergleich der Finanzmärkte von Indien und China, den Yerian Syzdykov, Global Head of Emerging Markets beim Vermögensverwalter Amundi, vorgenommen hat. Kurz gesagt, lautet sein Fazit so: Neutral gegenüber China, wohingegen Indiens Aktien seiner Meinung weiter interessant sind und noch Wachstumspotential bergen.

Indien mit starkem BIP-Wachstum
Im jüngsten Amundi Investment Insights Blue Paper schätzt Syzdykov, dass sich das Wirtschaftswachstum des Subkontinents 2021 auf rund 9 Prozent erholen wird. Das läge deutlich über dem Durchschnitt der Emerging Markets, den der IWF auf 6,3 Prozent beziffert. «Nachdem Indien längere Zeit nicht für grosses Wachstum stand, können wir jetzt optimistischer sein», schreibt er. Auf Anfrage ergänzt er, die Aktien repräsentierten eine «strukturelle Wachstumsstory» und die Erträge sollten schon im ersten Halbjahr die Vorjahreswerte übertreffen. Ausgeblendet wird dabei die Bürokratie, welche die Entwicklung des Landes immer wieder hemmt.

Nach der Meinung von Syzdykov sollte ein starkes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auch 2022 dazu beitragen, dass das unbestritten hohe Haushaltsdefizit des Landes wieder sinkt. Die Regierung setze die richtigen strukturellen Akzente. Grössere Sorgen bereitet dem Finanzexperten die aktuelle Inflationsrate von mehr als 6 Prozent, die er «besorgniserregend» nennt. Ein andauernder Anstieg der Teuerung in dieser Grössenordnung würde die Zentralbank zwingen, ihre Geldpolitik früher und schneller zu straffen, vermutet er. Indische Aktien seien nicht mehr billig, und die Kurse enthielten zum Teil schon einen verbesserten Gewinnausblick für 2022, gibt Sysdykov zu bedenken. Unter den Branchen bevorzugt er Privatbanken, Industrieunternehmen mit höheren inländischen oder ausländischen Investitionen sowie ausgewählte inländische Zykliker.

In China betont selektiv
In China werde sich das BIP-Wachstum auf absehbare Zeit auf Werte um 5 Prozent im Jahr abschwächen, erwartet der Fachmann von Amundi. Neben neuen Erfolgen im Export, die eine Aufwertung des Yuan nach sich ziehen könnten, werde im 100. Jahr der Kommunistischen Partei 2021 die Binnenwirtschaft als Wachstumsmotor weiter an Bedeutung gewinnen. Die Inflation sollte auf etwa 2 Prozent im zweiten Halbjahr anziehen.

Zur Vorsicht mahnen Syzdykov der hohe Verschuldungsgrad und die immer schwierigeren Produktivitätssteigerungen. Seine «neutrale Haltung» gegenüber chinesischen Unternehmen begründet der Experte vor allem mit den hohen Kursen, nicht zuletzt in Aktien der neuen Technologien wie Elektroautos, Halbleiter oder Cloud-Systemen. «In den meisten Fällen erscheinen uns die Bewertungen derzeit zu hoch», schreibt er und bevorzugt daher Unternehmen für erneuerbare Energien, Gaming und Freizeit