Alternde Gesellschaften – das Ende der «Japanisierung»

Seit Mitte der 1990er Jahre ist die «Japanisierung» zu einem Kürzel für eine angeblich immerwährende wirtschaftliche Malaise geworden, mit der andere reiche, aber schnell alternde Länder in den kommenden Jahrzehnten konfrontiert werden könnten. Umso bemerkenswerter waren daher einige der jüngsten Zeitungsschlagzeilen: «Grosse japanische Unternehmen stimmen kräftigen Lohnerhöhungen zu».

Streng genommen finden die tatsächlichen Lohnverhandlungen in Japan meist auf Betriebsebene statt. Die Frühjahrslohngespräche, «Shunto» genannt, stammen ursprünglich aus den Zeiten des japanischen Wirtschaftsbooms, um durch relativ eng koordinierte Lohnverhandlungen in zeitlich geregelter Reihenfolge überbordende Gehaltssteigerungen einzuhegen. In den letzten zehn Jahren hofften japanische Politiker stattdessen auf einen «positiven Kreislauf zwischen Löhnen und Preisen», d.h. eine Kombination steigender Preisen und höherer Löhne. Es wurde viel darüber diskutiert, warum das Erbe der Schuldenkrisen der 1990er Jahre trotz einer expansiveren Geld- und Fiskalpolitik seit über dreissig Jahren zu schleppendem Wachstum und niedriger Inflation geführt hat.

Endlich Lohnwachstum, sogar in Japan:

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«Shunto» ist besonders auf den informellen Informationsaustausch der Sozialpartner mit der Regierung angewiesen. Die Regierung hat ihre Präferenz für Lohnerhöhungen von 3 Prozent oder mehr deutlich gemacht. Damit würde man sich dann wohl endlich dem Inflationsziel von 2 Prozent nähern, unter Berücksichtigung der Produktivitätsentwicklung und der altersbedingten Gehaltserhöhungen in Höhe von etwa 1,7 Prozent pro Jahr für die japanischen Arbeitnehmer, die noch lebenslang beschäftigt sind. Allerdings nur, wenn die Abschlüsse für Grossunternehmen auch für die Löhne und Gehälter der Beschäftigten in nicht gewerkschaftlich organisierten kleineren Betrieben den Ton angeben. Schon vor der jetzigen «Shunto» schien das Lohnwachstum anzuziehen.

Seit vielen Jahren wird die 'Japanisierung' als Erklärung für niedrige Inflation und Zinssätze in anderen alternden Volkswirtschaften herangezogen, aber da ist oft mehr im Spiel.

Björn Jesch, Chief Investment Officer, DWS

Wir gehen derzeit davon aus, dass die unter neuer Führung stehende Bank of Japan (BoJ) auf Beweise für nachhaltige, gesamtwirtschaftliche Lohnzuwächse warten wird. Sollte die BoJ zu einem Normalisierungskurs übergehen, hätte dies angesichts des Umfangs der japanischen Investitionsströme enorme Auswirkungen auf die weltweiten Aktien-, Anleihe- und Devisenmärkte. Seit vielen Jahren wird die «Japanisierung» als Erklärung für niedrige Inflation und Zinssätze in anderen alternden Volkswirtschaften herangezogen, aber da ist oft mehr im Spiel. Das erste Beispiel für «Japanisierung» war wohl die Grosse Depression, als die Bevölkerung noch jung war und wuchs. Seit einigen Jahren mehren sich Gegenstimmen, die Japans Erfahrung in vielerlei Hinsicht als irreführend ansehen. Aufgrund kultureller, politischer und sprachlicher Barrieren war Japans Arbeitsmarkt lange isoliert. Da die Einstiegslöhne im Vergleich zu anderen reichen Ländern inzwischen sehr niedrig sind, versuchen immer mehr junge Japaner ins Ausland zu fliehen. Es wird deutlicher, dass die «Japanisierung» nicht mehr das ist, was sie einmal war. Und man mit Schlüssen für Trends in anderen alternden Gesellschaften sehr vorsichtig sein sollte.