Schwellenländer auf Erholungskurs – Anleihe-Investoren könnten profitieren

«First in, first out» – für die Schwellenländer dürfte dies gleich dreifach gelten: in Bezug auf die Corona-Pandemie, die geldpolitische Straffung als Reaktion auf Rekordinflationsraten und ein sich abschwächendes Wachstumsumfeld. Die negativen Effekte aus den drei Entwicklungen haben die Schwellenländer den entwickelten Ländern vorweggenommen. Die gute Nachricht: Auch bei der jetzt anstehenden wirtschaftlichen Erholung haben die Schwellenländer die Nase vorn.

Zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt dürfte das Wachstumsgefälle zwischen den Schwellen- und den Industrieländern zugunsten der Entwicklungsländer zunehmen. Gemäss den Berechnungen des Internationalen Währungsfonds dürfte sich das Wachstum in den Industrienationen von 2,7% im Jahr 2022 auf 1,2% bzw. 1,4% in den Jahren 2023 und 2024 verlangsamen. Im Gegensatz dazu dürfte das Wachstum in den Schwellenländern von 3,9% im Jahr 2022 auf 4,0% im Jahr 2023 und 4,3% im Jahr 2024 steigen. Anders ausgedrückt: 2022 lag das Epizentrum der Finanzmarktkrise in den Schwellenländern. 2023 hat sich dieses Zentrum einschliesslich der jüngsten Turbulenzen im Finanzsektor in die Industrieländer verlagert, da sich das Wachstum in den Vereinigten Staaten und Europa im Jahr 2023 voraussichtlich deutlich verlangsamen wird.

Wir rechnen damit, dass einige Schwellenländer, die die Zinsen sehr aggressiv erhöht hatten, bereits Mitte 2023 mit Zinssenkungen beginnen werden.

Denise Simon, Co-Head Emerging Market Debt, Lazard Asset Management

Grund dafür ist, dass der Höhepunkt der Inflation und damit das Ende der geldpolitischen Straffung in vielen Schwellenländern erreicht ist. Zudem hat das Ende von Chinas Null-Covid-Politik die allgemeinen Wachstumsaussichten der Schwellenländer gestärkt, da das Land der grösste Abnehmer von Rohstoffen und der grösste Handelspartner der meisten anderen Schwellenländer ist.

Rekordinflation gehört der Vergangenheit an
Nach einem stetigen Anstieg von Ende 2021 bis Mitte 2022 hat die Inflation im Sommer 2022 sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenländern ihren Höhepunkt erreicht. Seitdem ist ein deutlicher Rückgang sowohl der Gesamt- als auch der Kerninflation besonders in den Schwellenländern zu beobachten. Da Lebensmittel und Energie in den Schwellenländern einen grösseren Anteil an der Inflation haben als in den Industrieländern, erwarten wir für die kommenden Quartale in den Schwellenländern einen noch schnelleren Inflationsabbau. Die Zentralbanken der Schwellenländer stehen deshalb kurz davor, ihre Geldpolitik zu lockern: Wir rechnen damit, dass einige Schwellenländer, die die Zinsen sehr aggressiv erhöht hatten, bereits Mitte 2023 mit Zinssenkungen beginnen werden. In der Vergangenheit verzeichneten festverzinslichen Wertpapieren im geldpolitischen Zyklus mit hohen Zinsen, überdurchschnittliche Renditen. Sobald sich eine Phase stark restriktiver Geldpolitik dann jedoch ihrem Ende genähert hat, ist es in der Regel zu bedeutenden Rückgängen der Anleiherenditen gekommen. Wir sind jedoch der Meinung, dass die aktuelle Situation für die Schwellenländer etwas anders sein dürfte, da ihre Ausgangssituation mit gewichteten durchschnittlichen Leitzinsen von rund 8% noch extremer ist. Länder wie Brasilien, Mexiko, Chile, Uruguay, Kolumbien und Ungarn werden wahrscheinlich alle von zweistelligen Ausgangswerten aus mit Zinssenkungen beginnen. Das heisst, sobald die Lockerungszyklen beginnen, könnten wir Zinssenkungen grossen Ausmasses sehen, möglicherweise um 100 Basispunkte oder mehr.

Länder wie Brasilien, Mexiko, Chile, Uruguay, Kolumbien und Ungarn werden wahrscheinlich alle von zweistelligen Ausgangswerten aus mit Zinssenkungen beginnen. Das heisst, sobald die Lockerungszyklen beginnen, könnten wir Zinssenkungen grossen Ausmasses sehen, möglicherweise um 100 Basispunkte oder mehr.

Denise Simon

Kurzfristig selektiv bleiben
Wir beobachten die potenziellen Auswirkungen der Turbulenzen im Bankensektor und eine mögliche Ansteckung der globalen Märkte genau, wobei wir von einer Verschärfung der Finanzierungsbedingungen und global gesehen von einem geringeren Wachstum ausgehen. Wir setzen deshalb derzeit etwa nur die Hälfte unseres Risikobudgets in den Portfolios ein. Mittelfristig sind wir der Ansicht, dass die allgemeinen Trends, die die Schwellenländer unterstützen intakt bleiben. Das sind zunehmende Wachstumsdifferenzen, ein Höchststand der Inflation und eine Lockerung der Geldpolitik. Die fundamentalen Entwicklungen in den einzelnen Ländern sind unterschiedlich, was zu einem hohen Mass an Differenzierung und ausgewählten Chancen in den jeweiligen Märkten führt. Die meisten Emittenten mit einem BB-Rating und besser werden von starken Bilanzen und soliden Fundamentaldaten profitieren. Zu letzteren zählen wir verbesserte Haushaltsdefizite, niedrige Verschuldung und komfortable Reserven. Bei der Positionierung konzentrieren wir uns in erster Linie auf Credits mit Qualität, d. h. solche mit einem BB-Rating und höher, und auf lokale Zinspositionierungen in den Märkten, in denen wir Spielraum für eine Lockerung sehen. Chancen sehen wir insbesondere bei bestimmten Staatsanleihen mit BB-Rating, die eine attraktive Mischung aus hohem Carry und Bilanzstärke bieten. Dazu gehören aus unserer Sicht Serbien, die Dominikanische Republik und die Elfenbeinküste. Zinsseitig sehen wir eine Reihe attraktiver idiosynkratischer Gelegenheiten, vor allem in den Hochzins-Bereichen von Ländern wie Südafrika, Mexiko und Brasilien. Bei den Währungen gehen wir sehr selektiv vor und konzentrieren uns auf Bereiche, die eine attraktive Risikoprämie bieten. Wir gehen deshalb davon aus, dass wir von dem sich verbessernden Wachstumspfad in den Schwellenländern, insbesondere in Asien, profitieren werden.

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