Ist Chinas Netto-Null-Ziel für 2060 realistisch?
Die COVID-19-Pandemie hat die Heterogenität bei den ESG-Kompetenzen in den unterschiedlichen Märkten – auch in den Schwellenländern – aufgezeigt und insbesondere China in den Fokus gerückt.
Institutionelle und vermögende Anleger kurbeln die Nachfrage nach ESG-Investitionen in China schon seit einiger Zeit an. Dort sind die Kapitalzuflüsse in börsengehandelte Fonds (ETFs) mit ESG-Ausrichtung zwischen 2018 und 2019 um 464 Prozent gestiegen. Gleichzeitig gab es einen Boom bei einer breiteren Palette von «reinen ESG-Produkten», die den Anlegern angeboten werden – ein Beweis dafür, dass nachhaltiges Investieren bereits zum Mainstream geworden ist. Die zunehmende Verfügbarkeit von Daten wird Anlegern dabei helfen, ESG-konformen Unternehmen zu erkennen. Dennoch bleiben Herausforderungen hinsichtlich der Entwicklung Chinas in diesem Bereich bestehen.
Michael Lai, Portfoliomanager, Franklin Templeton2019 hat China die Führung übernommen und doppelt so viel Wind- und dreimal so viel Solarenergie wie die USA produziert.
Im neuesten Fünfjahresplan hat die Volksrepublik ihre längerfristigen Klimaziele abgesteckt, insbesondere durch die erstmalige Festlegung einer Obergrenze für Kohlendioxid-emissionen. Das Ziel, bis 2060 Kohlenstoffneutralität zu erreichen, zeigt gleich mehrere Aufgaben für das Land auf. Gegenwärtig ist China für 28 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich. Das ist mehr als die Anteile der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zusammen. Um klimaneutral zu werden muss das Reich der Mitte Kohlendioxidemissionen um bis zu 90 Prozent (auf Grundlage von Daten aus dem Jahr 2019) senken und den Rest durch natürliche Systeme oder Technologien, die der Atmosphäre mehr CO2 entziehen als sie ihr zuführen, ausgleichen. Dies ist ein gewaltiges Unterfangen, vor allem weil immer noch eine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen besteht. Der Anteil des Kohleverbrauchs am Energiemix wird für diesen Balanceakt entscheidend sein, zusätzlich zur Bedeutung der Aufrechterhaltung der Energiesicherheit.
Michael LaiGegenwärtig ist China für 28 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich. Das ist mehr als die Anteile der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zusammen.
Das erste Ziel liegt darin, den Zenit bei der Kohlenstoffemission vor 2030 zu erreichen. Dies wird aus unserer Sicht ein wichtiger Meilenstein sein. Andererseits ist China weltweit führend bei sauberen Technologien wie Elektrofahrzeugen, Batterien, Solarzellen und Windkraftanlagen. Elektrofahrzeuge spielen im Industrie-Masterplan «Made in China 2025» eine führende Rolle – Peking will bis 2024 erreichen, dass 20 Prozent aller neuen Autos auf den Strassen Elektrofahrzeuge sind. In den Vereinigten Staaten gab es 2013 fünfmal mehr Elektrofahrzeuge wie in China, doch inzwischen finden sich im Reich der Mitte doppelt so viele E-Autos wie in den USA. Das unterstreicht die beherrschende Position der Volksrepublik am internationalen Markt für Elektrofahrzeuge. Auch bei der Wind- und Solarenergie hat sich das Verhältnis zwischen den USA und China umgekehrt – 2019 hat China die Führung übernommen und doppelt so viel Wind- und dreimal so viel Solarenergie wie die USA produziert.
Sobald grüne Energie das gleiche kostet wie die Alternativen oder günstiger wird, dürfte sie noch weitere Zuwächse verzeichnen. Doch, ob China das Klimaneutralitätsziel erreicht, hängt davon von ausreichendem Kapital zur Finanzierung dieser Energiewende ab. Unserer Meinung nach wird es entscheidend darauf ankommen, für einen ausgeglichenen Energiemix zu sorgen, um auch die Energiesicherheit zu gewährleisten.
