Zeno Staub: «Die Börse spiegelt Erwartungen, nicht das Heute.»

Die Zürcher Privatbank Vontobel schafft es offenbar immer wieder, sich neu zu erfinden. Der Architekt dahinter ist CEO Zeno Staub, der im Interview mit dem Onliner über den Umbau der Bank, seinen Kundenfokus und Bitcoin spricht.

Herr Staub, Sie machen offenbar einiges richtig. Die Vontobel-Aktie zeigt sich überaus robust und ist im Vergleich mit anderen, vergleichbaren Schweizer Finanztiteln ein Lichtblick. Worauf führen Sie diese Aktien-Performance zurück?

Zeno Staub: Warren Buffet hat einmal sinngemäss gesagt, wenn ein Geschäft sich gut entwickelt, dann folgt vielleicht auch der Aktienkurs. Wir fokussieren uns auf unsere Kunden und deren Bedürfnisse und damit auf unser Geschäft. Und im Übrigen gilt wie beim Fussball auch bei Vontobel, dass eine gute Saison immer der Erfolg eines guten Teams ist. Vontobel ist zudem seit jeher unternehmerisch fokussiert und hat immer nur das getan, was das Unternehmen wirklich konnte. Von einem Schweizer Wertpapierhaus haben wir uns konsequent zu einem kundenzentrierten Investmenthaus entwickelt, das für globale Anlageexpertise und aktives Asset Management steht. Mehr als 80 Prozent des Geschäfts erzielen wir heute mit Beratungs- und Vermögensdienstleistungen. Dabei setzen wir auf langfristige wiederkehrende Erträge. Unser Risikoprofil ist zudem eher konservativ. Entsprechend ist unser Geschäft als Investmenthaus entgegen dem typischen Banking deutlich weniger kapitalintensiv. Unsere Kunden und Investoren wissen genau, was sie von uns erwarten können.

Das Virus ändert nichts daran, dass Investieren auf Dauer das neue Sparen sein wird. Im Gegenteil, die wirtschaftliche Situation in Zeiten von Corona und danach macht eine Zinswende nochmals unwahrscheinlicher. Das alte Sparbuch ist und bleibt keine Alternative zum Investieren.

Zeno Staub, CEO Vontobel

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das operative Geschäft von Vontobel? Wie gehen Sie persönlich mit der Pandemie-Thematik um?

Persönliche Kontakte mit unseren Kunden und auch den Kollegen wurden und werden mit Blick auf das Virus stark begrenzt. Die gute Nachricht aber ist, dass wir aus der Not eine Tugend machen. Die Wirtschaft insgesamt und auch wir als Vontobel machen einen digitalen Sprung, der uns hilft, auch in Zeiten von Corona-Lockdowns für unsere Kunden jederzeit in vollem Umfang da zu sein. Hier zahlt sich aus, dass wir bereits vor Jahren in eine skalierbare, stabile IT investiert haben. Hinzu kommt: das Virus ändert nichts daran, dass Investieren auf Dauer das neue Sparen sein wird. Im Gegenteil, die wirtschaftliche Situation in Zeiten von Corona und danach macht eine Zinswende nochmals unwahrscheinlicher. Das alte Sparbuch ist und bleibt keine Alternative zum Investieren. Auch haben sich die Pensionslücken und damit der Vorsorgebedarf nicht verringert. Und in nicht gleichgerichteten Märkten können aktive Asset Manager für ihre Kunden den Unterschied machen.

Vontobel verzeichnete innerhalb der letzten zwölf Monate drei gewichtige Personalabgänge auf oberster Management-Ebene: der Leiter Investment Banking, der CFO und auch der Leiter Asset Management, dessen Verantwortungsbereich erst vor Kurzem noch deutlich angewachsen ist, haben die Bank verlassen. Was sind die Gründe für die erhöhte Fluktuation im Management von Vontobel?

Der eine Kollege war rund 35 Jahre bei Vontobel. Die beiden anderen waren jeweils rund zehn Jahre erfolgreich auf den Positionen bei uns tätig, nachdem sie schon bei anderen Unternehmen eine eindrucksvolle Karriere gemacht hatten. Schliesslich hatte einer von beiden das 60. Lebensjahr bereits vor einiger Zeit überschritten. Ich denke, dass man mit derart erfolgreichen Lebensläufen jedes Recht hat, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Hinzu kommt, dass alle mit Vontobel weiterhin verbunden sind. So wird Axel Schwarzer, der in hohem Masse für das Wachstum im Asset Management steht, als Chairman des Supervisory Boards der Vontobel-Tochter TwentyFour Asset Management tätig sein. Unser ehemaliger CFO Martin Sieg Castagnola unterstützt heute Dr. Hans-Dieter Vontobel beim Management seiner Beteiligungen und Immobilien. Und schliesslich haben wir gezeigt, dass wir in den eigenen Reihen sehr gute Leute haben und auch attraktiv für sehr gute Frauen und Männer von aussen sind. Also kein Grund zur Sorge.

Mit der Neuausrichtung der Bank setzt sich auch das Executive Committee auf Stufe Holding neu zusammen. Auffällig ist, dass die operativen Sparten auf dieser Ebene nicht vertreten sind. Was sind die Gründe hierfür?

Wir haben uns im Rahmen der Neuaufstellung zum reinen kundenzentrierten Investmenthaus auch intern gewandelt. Sie können nicht kundenzentriert arbeiten, wenn die Organisation nach Produktsparten aufgestellt ist. Wir haben die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, für unsere Kunden geändert. Wir sind One Vontobel für unsere Kunden und jeder von uns, ganz gleich ob die Kollegin oder der Kollege im Vertrieb, als Portfoliomanager oder in der IT tätig ist, trägt Verantwortung dafür, dass wir unsere Versprechen gegenüber unseren Kunden in vollem Umfang erfüllen. Insofern haben wir die Verantwortlichkeiten für unsere Kunden auf breitere Schultern gestellt. Wir arbeiten als eine Firma und unterscheiden darum auch nicht zwischen sogenannten operativen Sparten und Support-Funktionen – wir sind alle operativ.

Die Börse spiegelt Erwartungen, nicht das Heute.

Zeno Staub

Sie haben die Bank in den letzten Monaten umgebaut und neu ausgerichtet. Der wichtigste Ertragspfeiler bleibt das Asset Management. Ein Schattendasein fristet hingegen nach wie vor das Private Banking. Warum bleibt das organische Wachstum in diesem Bereich weiterhin aus?

Da wir erst am 11. Februar unser Jahresergebnis vorlegen, kann ich noch nicht über die Zahlen im Detail sprechen. Aber wir haben bereits im November darüber informiert, dass Wealth Management in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres annualisiert ein Nettoneugeldwachstum in Höhe von über sechs Prozent erzielte. Gleiches gilt auch für unser Geschäft mit Externen Vermögensverwaltern. Die betreuten Vermögen beider Kundengruppen lagen per 30. September 2020 bei rund CHF 76 Milliarden. Unsere Zahlen zeigen auch, dass entgegen dem allgemeinen Druck durchwegs gute Margen erzielt werden. Wir wachsen und verdienen also im Vermögensverwaltungsgeschäft in einem Umfang, der keinen Vergleich scheuen muss. Und wir setzen uns im Gegensatz zu anderen Vermögensverwaltern auch für die Zukunft bewusst klare Wachstumsziele, wie beispielsweise ein ambitioniertes jährliches Nettoneugeldwachstum zwischen vier und sechs Prozent, um diesen Anspruch zu unterstreichen.


Fragezeichen wirft – zumindest für Aussenstehende – der Umbau des Investment Banking auf, das neu unter der Bezeichnung «Platforms & Services» auftritt. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Wir haben im Dezember 2019 nicht das Investment Banking umgebaut, sondern uns insgesamt als reines kundenzentriertes Investmenthaus neu aufgestellt. Wir stehen komplett auf der Seite unsere Kunden und haben uns hierfür von dem Sell-Side-Geschäft getrennt. So haben wir beispielsweise einen Teil unsere Brokeragegeschäfts an die ZKB abgeben. Unsere Kunden profitieren weiterhin von dem Wissen unseres vielfach ausgezeichneten Aktien-Research-Teams und der Expertise in strukturierten Produkten in unserem Center of Excellence Structured Solutions & Treasury. Die aktuellen Statistiken zeigen, dass wir unsere Position in den verschiedenen

Märkten auch im vergangenen Jahr verteidigen oder ausbauen konnten. Die starke Position in unseren Märkten spiegelt sich auch in den Auszeichnungen, die wir 2020 für unseren Service und unsere Produkte erhalten haben. In Deutschland wurden wir als Gesamtsieger mit dem Deutschen Zertifikate Award ausgezeichnet. Vor zwei Wochen haben wir in Italien eine Auszeichnung für das beste Zertifikat des Jahres erhalten. Darüber hinaus wurden wir zu einem der besten Emittenten gewählt. In der Schweiz erhielten wir auf den Swiss Derivates Awards 2020 insgesamt vier Auszeichnungen, unter anderem den Top Service Award. Unsere Berater in den Kundeneinheiten Platforms & Services sowie Digital Investing sind die Ansprechpartner unserer institutionellen Kunden wie EAMs oder Banken beziehungsweise die privaten Kunden, die vornehmlich über digitale Kanäle mit uns arbeiten wollen. Kunden denken nicht in Produkten, sondern in Lösungen. Daher macht es auch keinen Sinn, sich in Produktgruppen zu organisieren, wenn Kundenzentriertheit nicht nur ein Lippenbekenntnis sein soll.

Stichwort Kryptowährungen: Vontobel ist auch in diesem Bereich aktiv. Wie beurteilen Sie persönlich die Zukunft von Bitcoin und Co.? Wo genau ist das Geschäft mit Kryptowährungen bei Vontobel angesiedelt?

Vontobel war einer der ersten Emittenten von Zertifikaten auf Bitcoin. Wir haben damit Anlegern die Möglichkeit gegeben, an der Entwicklung des Bitcoin zu partizipieren, ohne Bitcoin direkt kaufen zu müssen. Im vergangenen Jahr haben wir uns aus betriebswirtschaftlichen Gründen entschlossen, bis auf Weiteres von der Emission neuer Produkte Abstand zu nehmen. Es ist kein Entscheid gegen Bitcoin, aber es rechnet sich ein weiterer Ausbau schlicht nicht. Sollte sich die Situation ändern, werden wir mit dem Team Structured Solutions den Entscheid überprüfen.

Ein anderer grosser Trend ist die Digitalisierung in der Finanzindustrie. Was im Retail-Geschäft sicher sinnvoll ist, findet zunehmend auch im gehobenen Private Banking statt. Auch hier setzt Vontobel Akzente, beispielsweise mit einer eigenen App namens «Volt». Welchen Stellenwert räumen Sie digitalen Services im Geschäft mit vermögenden Kundinnen und Kunden ein?

Mit der Universität Luzern und Raiffeisen haben wir im vergangenen Jahr mehr als 1'200 Schweizerinnen und Schweizer nach ihrer Einstellung zum digitalen Investieren befragt. Das Ergebnis bestätigt unsere Strategie. Die Schweizer sind digitalen Lösungen gegenüber aufgeschlossen und bevorzugen hier vor allem hybride Möglichkeiten – also digitale Tools mit Menschen als Ansprechpartner. Sie legen Wert auf einfache Bedienbarkeit und Transparenz sowie ein gutes Produktangebot. Und sie vertrauen eher Lösungen von etablierten Finanzdienstleistern als von reinen Tech-Konzernen. Ferner bestätigte die Umfrage, dass digitales Investieren keine Frage des Alters ist. Es sind vor allem ältere Anleger, die sich für das Thema interessieren und Wert auf eine echte Auswahl bei den Anlagelösungen legen. Diese Aussagen und auch das direkte Feedback, das wir von unseren Kunden erhalten, zeigen, dass es nicht um ein entweder oder geht, sondern um ein sowohl als auch, wenn man Wachstumschancen nicht verpassen möchte. Wir werden daher gezielt weiter in technologische Lösungen für unsere privaten Kunden investieren, die Wachstumsmöglichkeiten nutzen und weiter lernen.

Anderes Thema: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) verfüg über ein riesiges Vermögen. Wie immer in Krisenzeiten, ist auch im Rahmen der Pandemie punktuell der Ruf laut geworden, die Nationalbank möge die darbende Wirtschaft mit ausserordentlichen Zahlungen unterstützen. Was halten Sie von solchen Ideen? Wie beurteilen Sie grundsätzlich die Politik der SNB?

Wir sind ein Investmenthaus und keine Geschäftsbank, die im Firmenkreditgeschäft aktiv ist. Und es steht mir auch nicht an, der SNB Noten zu geben. Die wichtigste Hilfe für die Wirtschaft und die Menschen ist sicherlich die konsequente Bekämpfung des Corona-Virus, damit wir möglichst bald wieder ein normales Leben führen können. Zudem scheinen mir in einer derartigen Krise fiskale Massnahmen am geeignetsten und hier hat sich die Schweiz mit Tempo, Klarheit und Einfachheit hervorgetan.

Bleiben wir bei der SNB: Wäre ein Staatsfonds, wie ihn beispielsweise Norwegen kennt, allenfalls eine Option, die es weiterzuverfolgen gilt?

Ich gebe keine Ratschläge von der Seitenlinie. Die SNB ist im Rahmen ihres Mandates ausschliesslich auf Geldpolitik und letztlich auf die Sicherstellung der Geldwertstabilität ausgerichtet.
Grundsätzlich ist das eine Frage an die Politik und nicht an die Währungshüter.

Abschlussfrage: Ist die Börse noch real?

Die Börse spiegelt Erwartungen, nicht das Heute.

Hauptbildnachweis: Reto Flückiger-Wälchli