Vom Babyboom zum Botboom
Die globale Bevölkerungsstruktur verändert sich. In den nächsten 25 Jahren wird die Alterung der Gesellschaft in Kombination mit niedrigen Geburtenraten in den führenden fortgeschrittenen Volkswirtschaften dazu führen, dass die Erwerbsbevölkerung schrumpft und sich der Altenquotient erhöht. Als Folge davon verlieren bisher bewährte Wachstumsmotoren an Schwung.
Mit den Chancen, die sich daraus ergeben, befasst sich ein neuer Bericht des Pictet Research Institute zum Thema Demografie und Technologie. Denn der demografische Wandel fällt auch mit dem Beginn einer neuen Ära zusammen, die von Automatisierung, künstlicher Intelligenz (KI) und einer neuen Dimension der Produktivität geprägt ist. Der Zeitpunkt für diese technologischen Errungenschaften ist mehr als günstig – er könnte sogar entscheidend sein. Volkswirtschaften, die frühzeitig und strategisch vorausschauend auf Automatisierung und KI setzen, werden aus dieser Phase voraussichtlich stärker, resilienter und langfristig besser aufgestellt hervorgehen. Maria Vassalou, Leiterin des Pictet Research Institute: «Alternde Volkswirtschaften haben nur zwei Optionen: nichts tun und dem Niedergang entgegensehen oder sich wandeln und auch in Zukunft Wachstum verzeichnen. Der Rückgang der Erwerbsbevölkerung lässt sich zum Glück durch Automatisierung und KI weitgehend ausgleichen, deren Entwicklung kommt zu einem günstigen Zeitpunkt.»
Maria Vassalou, Leiterin des Pictet Research InstituteAlternde Volkswirtschaften haben nur zwei Optionen: nichts tun und dem Niedergang entgegensehen oder sich wandeln und auch in Zukunft Wachstum verzeichnen.
«Zusätzlich zu der demografischen Verschiebung vollzieht sich ein Strukturwandel der Wirtschaft», fügt sie hinzu. «Profitieren werden davon insbesondere jene Branchen, denen es gelingt, angesichts der Veränderung von Konsummustern und der Verknappung von Arbeitskräften die Bedürfnisse der alternden Bevölkerung mithilfe der Automatisierung zu decken. Das ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern eine langfristige Transformation mit massgeblichen Folgen für die Kapitalallokation und die Messung der Produktivität – und dafür, womit sich Wachstum erzielen lässt.»
Demografischer Wandel als globaler Wendepunkt
Bis 2050 werden die Altenquotienten in allen grossen fortgeschrittenen Volkswirtschaften stark ansteigen. Spitzenreiter sind Japan und China, wo die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter drastisch schrumpfen wird. Die Geburtenraten sinken weiter, und auch wenn Länder wie Kanada und die USA diese Entwicklung durch Zuwanderung etwas abfedern können, ist der generelle Trend eindeutig: Die Zeiten, in denen die demografische Dividende zum Tragen kam, sind vorbei. Das wirkt sich schon heute auf den Konsum aus. Wenn Menschen älter werden, verlagern sich ihre Ausgaben auf die Bereiche Wohnen, Gesundheit und Nahrungsmittel – lebensnotwendige Bereiche mit einem wachsenden Potenzial für Automatisierung. Zugleich sinkt ihre Nachfrage nach Transportmitteln, Kleidung und Freizeitaktivitäten.
Automatisierung: von der Substitution zur Produktivität
Die Technologie rückt in Bereiche vor, in denen Arbeitskräfte in den Hintergrund treten. In der Regel verläuft die Einführung von Robotern in zwei Phasen: Zunächst werden knappe Arbeitskräfte ersetzt, dann erhöht sich dank Output- und Effizienzsteigerungen die Produktivität. Japan etwa, wo der demografische Druck früher als in den meisten anderen Ländern zu spüren war, ist bereits in die Produktivitätsphase eingetreten. Andere Volkswirtschaften, vor allem in Europa und Ostasien, befinden sich noch überwiegend in der Substitutionsphase, sodass es hier einiges an Aufholbedarf gibt. Zugleich steht die KI kurz vor der Skalierung. Die dafür benötigte Infrastruktur (Cloud Computing, markierte Datensätze, auf rechenintensive Aufgaben ausgelegte GPUs und Schaltkreise) wird in mehreren Volkswirtschaften aufgebaut. Erste Anwendungen in den Bereichen Diagnostik, Logistik und Finanzdienstleistungen lassen bereits Produktivitätssteigerungen erkennen. Wenn ihr Siegeszug anhält, könnten KI-Anwendungen bis in die 2030er-Jahre in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften zwischen 0,4 Prozent und 1,5 Prozent zum jährlichen BIP-Wachstum beitragen.
Gewinner und Verlierer nach Branchen
Die aktuellen demografischen und technologischen Umwälzungen haben nicht nur wirtschaftliche Auswirkungen – sie verändern die Struktur des globalen Wachstums. Anleger sind daher gut beraten, über Konjunkturtrends hinaus strukturelle Wendepunkte im Blick zu behalten. Am stärksten wird der Wandel Bereichen wie Wohnen, Gesundheit und Nahrungsmittel zugutekommen. So steigt beispielsweise die Nachfrage nach Wohnraum nicht nur mengenmässig, sondern auch in Bezug auf konkrete Anforderungen, denn im höheren Alter benötigen Menschen zunehmend Smart-Home-Technologien und eine altersgerechte Infrastruktur. Im Gesundheitswesen findet eine Umorientierung von der Behandlung im Krankheitsfall zugunsten proaktiver Ansätze für ein gesundes Altern statt. Dadurch eröffnen sich Chancen in den Bereichen Medizintechnik, Pharmazeutika und Wellness-Technologien. Zugleich hält bei der Produktion von Nahrungsmitteln – einem unelastischen Gut – die Automatisierung Einzug, denn in der Produktion und Verpackung lassen sich dank KI und Robotik Effizienzsteigerungen erzielen. Für Anleger bedeutet das in erster Linie, dass herkömmliche Strategien mit Investitionen in bestimmte Sektoren wohl nicht mehr aus-reichen. Stattdessen empfiehlt es sich, Portfolios nach Themen zusammenzustellen, die auf die demografische Nachfrage und das Automatisierungspotenzial abgestimmt sind. Unternehmen, die ältere Verbraucher ansprechen und in Branchen tätig sind, die sich für den Einsatz von KI und Robotik eignen, werden voraussichtlich von steigender Nachfrage und Produktivitätszuwächsen profitieren. Das schlägt sich in überdurchschnittlichem Gewinnwachstum und höheren Margen nieder. Angesichts des Strukturwandels in der Wirtschaft geht es über das Wachstum hinaus auch um Resilienz.
Welche Märkte werden profitieren?
Sich in Bezug auf diese Trends zu engagieren, ist natürlich nicht genug. Denn wer in der Lage ist, Innovationen zu skalieren und Produktivitätsgewinne zu erzielen, hängt ganz wesentlich auch von der verfügbaren Infrastruktur ab. Standorte mit einer robusten digitalen Infrastruktur, qualifizierten Arbeitskräften und günstigen politischen Rahmenbedingungen sind besser dafür gerüstet, den demografischen Gegenwind zu einem Wettbewerbsvorteil zu machen. Daher sind Anleger gefordert, zwischen den Ländern zu unterscheiden – nicht alle werden gleichermassen profitieren. So hat es etwa Japan dank der frühzeitigen Automatisierung geschafft, die Substitution von Arbeitskräften hinter sich zu lassen und in die Phase der Produktivitätszuwächse einzutreten. Demgegenüber hinken Teile Europas aufgrund unzureichender Investitionen in Basistechnologien noch hinterher. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Asset-Allokation. Anleger sollten bevorzugt auf Regionen und Unternehmen setzen, die über die institutionelle Kapazität zur Implementierung und Skalierung von KI und Automatisierung verfügen. Anhaltspunkte dafür sind Investitionen in Cloud-Infrastruktur, Datensysteme und Weiterbildungsmassnahmen für Arbeitnehmer. Zudem gilt es, die J-Kurve der Produktivität durch KI im Auge zu behalten: In Volkswirtschaften, die derzeit schwächeln, aber auf dem richtigen Weg sind, könnten sich antizyklische Chancen bieten. Strukturelle Resilienz – die Fähigkeit zur Anpassung an den demografischen und technologischen Wandel – wird zu einem wichtigen Anlagekriterium. So empfiehlt es sich, in den Portfolios jenen Unternehmen und Regionen den Vorzug zu geben, die bereit sind, den Wandel anzuführen. Im Zuge der Neugestaltung der Weltwirtschaft bietet sich dort das Potenzial, überdurchschnittliche Renditen.