Halbzeit an den Börsenmärkten

Es ist Halbzeit im Börsenjahr 2023, Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Sie fällt praktisch durchwegs positiv aus. Nach einem deutlichen Rücksetzer im Zuge der Turbulenzen im US-Bankensektor im März nahmen die Aktienmärkte im zweiten Quartal den Aufwärtstrend vom Jahresbeginn wieder auf.

Spitzenreiter unter den grösseren Märkten ist Japan mit einem Plus von mehr als 22% (in Yen) in den ersten sechs Monaten. Die USA (S&P 500 +16.9%) und die Eurozone (EuroStoxx +15.6%) legten ebenfalls deutlich zu. Der Schweizer Markt (SPI +8.2%) hinkte etwas hinterher, da er aufgrund seiner Zusammensetzung von der zyklischen Erholung Anfang Jahr und danach von der Technologiehausse weniger profitierte. Eine gewichtige Ausnahme im positiven Gesamtbild bildet der chinesische Aktienmarkt. Dieser hatte im Zuge der Wiedereröffnung der Wirtschaft bereits ab Ende 2022 deutlich zugelegt (Hang Seng Index +50%, Shanghai Shenzhen Index +40%), bekundete aber zusehends Mühe und büsste ab Februar laufend an Terrain ein. Mit grossen Hoffnungen ins Jahr gestartet zeigte sich bald, dass die Bäume in China nicht in den Himmel wachsen.

Das Überraschende am bisherigen Börsenjahr ist nicht, dass sich die Aktienmärkte erholt haben. Überraschend ist vielmehr, dass sie sich, abgesehen vom kurzen Taucher in der erwähnten Bankenkrise, als äusserst robust erwiesen.

Thomas Heller, Chief Investment Officer, Belvédère Asset Management

Das Überraschende am bisherigen Börsenjahr ist nicht, dass sich die Aktienmärkte erholt haben – wenngleich das Ausmass so nicht erwartet werden konnte. Überraschend ist vielmehr, dass sie sich, abgesehen vom kurzen Taucher in der erwähnten Bankenkrise, als äusserst robust erwiesen. Insbesondere, dass die noch im April erwartete Lockerung der Geldpolitik in den USA – vermeintlich eine der Stützen der Börsenhausse – komplett ausgepreist wurde, ohne dass dies Spuren am Aktienmarkt hinterlassen hat, ist sehr bemerkenswert. Auch die Diskussionen um die Schuldenobergrenze in den USA, sonst ein «Garant» für erhöhte Volatilität, vermochten die Märkte nicht zu erschüttern. Die positive Entwicklung wird abgerundet von den Zinsmärkten. Die Notenbanken haben ihre Zinsanhebungen fortgesetzt. Dennoch sind die langfristigen Zinsen, insbesondere in der Schweiz, per Saldo gesunken (sinkende Zinsen = steigende Kurse). Oder vielleicht gerade deswegen, könnte das doch ein Zeichen sein, dass die Zinsmärkte eine weitere

Wachstumsverlangsamung erwarten. Oder gar eine Rezession?
Womit wir beim Ausblick auf die zweite Jahreshälfte wären. Was kann von den Finanzmärkten bis Ende Jahr erwartet werden? Wie vor Monatsfrist an dieser Stelle aufgeführt, halten sich – daran hat sich nichts geändert – Chancen und Risiken die Waage. Eine Rezession ist bislang ausgeblieben, stellt aber eines der Risiken für die Märkte dar. Wohl nicht mehr 2023, aber ins kommende Jahr hinein. Von der Zinsseite sollte sich für die Aktienmärkte kein Gegenwind aufbauen. Der Leitzinszyklus steht kurz vor dem Höhepunkt und auch am langen Ende rechnen wir mit keinem markanten Anstieg. Es fehlen allerdings auch die treibenden Kräfte für Aktien. Dem stehen etwa die vor allem in den USA hohen Bewertungen entgegen. Somit scheint das wahrscheinlichste Szenario vorerst eine Konsolidierung auf den aktuellen Niveaus. Ab September könnte sich der Nebel lichten, wohin die Reise geht. Dabei liegt das Augenmerk auf der Inflation, der Reaktion der Notenbanken, den Unternehmensergebnissen und der bereits aufgeworfenen Frage der Rezession. Dann wird sich zeigen, ob die Chancen oder die Risiken obsiegen.

Hauptbildnachweis: Pixabay