Eine Generation von Anlegern wird sich an ein neues Zinsumfeld gewöhnen müssen

Die Zinsen werden sich wahrscheinlich zwischen 4,5% und 5,5% einpendeln – eine Spanne, die es seit 2008 nicht mehr gegeben hat und die sicherlich eher an die 1980er und 1990er Jahre erinnert. Viele Think Tanks sind der Meinung, dass die Zinsen wieder sinken werden, sobald sich die Auswirkungen von Covid-19 auf das globale Finanzsystem bemerkbar machen. Die heutige Situation ist jedoch nicht nur eine Folge der jahrelangen quantitativen Lockerungsprogramme nach der Finanzkrise, sie ist und auch nicht alleine auf die Auswirkungen der globalen Pandemie zurückzuführen.

Die Weltwirtschaft geht wahrscheinlich in ein Umfeld höherer Zinssätze über. Hierfür gibt es eine Vielzahl von Faktoren, zu denen nicht zuletzt die anhaltenden Auswirkungen der Inflation, des höheren Produktivitätswachstums und der Kosten des klimaneutralen Umbaus der Wirtschaft gehören. Zu diesen Faktoren kommen die schwierige demografische Situation und die hohe Staatsverschuldung in der westlichen Welt hinzu. In der Summe erhöhen diese Aspekte die Wahrscheinlichkeit, dass die Zinsen längere Zeit höher sein werden. Dies wird sich entsprechend auf die Investitionschancen und -risiken auswirken.

Das Wachstum dürfte aufgrund der Häufigkeit und des Ausmasses der Schocks sowie der proaktiven Fiskal- und Geldpolitik der Behörden künftig wahrscheinlich grösseren Schwankungen unterworfen sein.

Shamik Dhar, Chefökonom, BNY Mellon IM

Der langfristige Durchschnittszinssatz ist eine enorm wichtige wirtschaftliche Variable, sowohl für die Wirtschaftspolitiker als auch für die Anleger. Für Anleger ist der «sichere Zinssatz» der Leitzins, von dem sich die Einpreisung aller anderen Vermögenswerte ableitet. Daher ist es für wirtschaftspolitische Entscheidungsträger und Finanzinvestoren von entscheidender Bedeutung, das langfristige Durchschnittsniveau der Zinssätze prognostizieren zu können.

Inflationsschocks Zukunft eventuell häufiger als in den vergangenen zwei Jahrzehnten
Infolgedessen könnte auch der zur Gewährleistung der Preisstabilität erforderliche Nominalzins höher ausfallen. Das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen besagt, dass die Umstellung auf Inflationsziele in den 1980er Jahren neben den vorherrschenden langfristigen Disinflationstrends auch zu einer Senkung der Leitzinsen führte. Generell müssen die Inflationsziele möglicherweise überprüft und in Zukunft sogar angehoben werden. Selbst wenn die Ziele nicht de jure angehoben werden, könnten die Zentralbanken bereit sein, Inflationsabweichungen vom Ziel länger zu tolerieren, insbesondere wenn die wirtschaftlichen Kosten für das Erreichen des Inflationsziels steigen. Das Inflationsziel könnte ausgedient haben und die politische Einmischung in die Zentralbanken zunehmen. Es gibt eine völlig legitime Debatte über die richtige Höhe des Inflationsziels. Schliesslich argumentierten viele Ökonomen während eines Grossteils der Zeit nach der Finanzkrise, dass das Zwei-Prozent-Ziel zu niedrig sei, weil negative Nachfrageschocks uns zu leicht und häufig in Richtung der Nullgrenze treiben könnten.

Fat Tails
In den letzten Jahren gab es mehrere aussergewöhnliche Ereignisse, die die Märkte und die Weltwirtschaft beeinflusst haben, etwa ein Krieg und eine Pandemie. Solche Störungen des normalen Funktionierens von Handel und Wirtschaft führen oft zu einer höheren Wahrscheinlichkeit extremer Ergebnisse, die Ökonomen als «Fat Tails» bezeichnen. Die Volatilität könnte in einer Welt wie der heutigen, die von «Fat-Tail-Schocks» geprägt sei, zwar präsenter sein, sich aber als weniger wirksam als Dämpfer für die Zinssätze erweisen. Da die Weltwirtschaft eine Reihe von technologischen, demografischen, geopolitischen und klimatischen Veränderungen durchläuft, ist davon auszugehen, dass sich die Wachstumsrisiken in einer Weise verändern, die den Abwärtsdruck auf die Realzinsen verringert. Das Wachstum dürfte aufgrund der Häufigkeit und des Ausmasses der Schocks sowie der proaktiven Fiskal- und Geldpolitik der Behörden künftig wahrscheinlich grösseren Schwankungen unterworfen sein. Zeitgleich bestünde allerdings auch ein grösseres Gleichgewicht zwischen Abwärts- und Aufwärtsrisiken.

Übergang zu umweltfreundlicheren Technologien & Energiequellen wirkt sich auf Zinssätze aus
Die Ersetzung von «verschmutzendem» durch grünes Kapital in den kommenden Jahren hängt von vielen Faktoren ab, und viele sind schwer vorherzusagen. Die Dynamik des Gesamttrends lässt jedoch darauf schliessen, dass die Auswirkungen in den nächsten 20 bis 30 Jahren zu einem bescheidenen Aufwärtsdruck auf die realen Zinssätze führen werden, der sich bis in die 2030er Jahre vorverlagern wird.

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