Oswald Grübel: «Es wird schwer, wenn nicht unmöglich werden, an die Profitabilität der US-Banken heranzukommen.»

Oswald Grübel hat die Schweizer Bankenwelt als CEO der Credit Suisse, und später in gleicher Funktion bei der UBS, zweifelsohne massgeblich mitgeprägt. Er ist ein profunder Kenner der globalen Finanzindustrie und beobachtet deren Entwicklung sehr genau, wie sich im exlusiven Interview mit dem Onliner zeigt.

Herr Grübel, wir leben in verrückten Zeiten. Regierungen sprechen aufgrund der Corona-Pandemie immer wieder neue finanzielle Hilfspakete in Milliardenhöhe. Wo führt das hin?

Oswald Grübel: Bis jetzt sind in der G7 weit über 10 Billionen Dollar an Hilfspaketen gesprochen worden, das schürt Inflationsängste und Verunsicherung. Deshalb sind die Aktienmärkte, Edelmetalle und auch die Sparquoten stark gestiegen.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle der Schweizer Grossbanken ob ihrer «unbürokratischen» Kreditvergabe? Werden die Unternehmen die damit verbundene Schuldenlast überhaupt wieder abbauen können?

Die Kredite der Schweizer Grossbanken sind teilweise durch Garantien vom Bund gedeckt, und es wurden ausreichend Rückstellungen gemacht. Die erwarteten Kreditausfälle sollten kein zu grosses Problem für sie sein. Die am stärksten von Covid betroffenen Branchen, Gastronomie, Unterhaltung, Immobilien, Reiseindustrie etc. könnten aber Schwierigkeiten haben, ihre Kredite termingerecht zurückzuzahlen, weil sich unser Verhalten in diesen Bereichen verändert hat. Einige, schon vorher schwach kapitalisierte Unternehmen, werden wohl untergehen.

Erwarten Sie in den kommenden Jahren massive (Firmen-)Kreditausfälle aufgrund der vielleicht etwas zu sorglosen Kreditvergabepolitik, die von der Politik gefördert wurde?

Das kommt darauf an, wie schnell wir wieder zu unserem Verhalten von vor der Pandemie zurückkehren. Da wir das nicht abschätzen können, kann eine längere Rezession durchaus zu grösseren Kreditabschreibungen, Kreditstundungen oder Verlängerungen führen. Das tiefe Zinsumfeld und weitere staatliche Unterstützung werden den kapitalschwachen Firmen eine Zeit lang helfen.

Der Handel in digitalen Bitcoin ist in den letzten Jahren regelrecht explodiert, und neue Bitcoin-Banken sind gegründet worden. Ein Markt, der sich ohne die Grossbanken entwickelt. Bis jetzt sind das noch verkraftbare Meteoriten-Einschläge auf die Bankenwelt, aber warten auf den grossen Einschlag scheint mir keine gute Strategie zu sein.

Oswald Grübel

Die globalen Aktienmärkte zeigen sich unbeeindruckt von Covid-19. Hat der Markt tatsächlich immer recht oder stehen wir ökonomisch betrachtet am Anfang vom Ende?

Die Aktienmärkte stehen wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie und die Technologie-Aktien sogar auf Höchstkursen. Märkte antizipieren immer die Zukunft und sind jetzt überzeugt, dass die Regierungen eine Rezession mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern werden und wir mit Hilfe von Impfstoffen die Pandemie besiegen. Die rekordtiefen Zinsen, die hohen Sparraten, die enorm gestiegene Benutzung und Verbesserungen in der Technologie, treiben die Aktienkurse. Jede starke Überzeugung birgt aber auch die Gefahr, dass es zu kurzfristigen Markteinbrüchen kommen kann, die dann wieder eine bessere Kaufgelegenheit bieten. Ökonomisch betrachtet versuchen die Regierungen schon seit Jahren, Wirtschaftswachstum durch extrem tiefe Zinsen und höhere Verschuldung zu erreichen, das kann und wird noch viele Jahre so weitergehen. Die Folgen sind Geldentwertung und Flucht in Sachwerte und Aktien. Dieser Trend wird anhalten solange die Politik nicht bereit ist, eine längere Rezession in Kauf zu nehmen, und ich glaube, wir wissen alle, dass das nicht stattfinden wird.


Sind Aktieninvestments in volatilen Zeiten, wie wir sie gerade erleben, wirklich eine kluge Wahl? Aktive Investmentansätze bescheren doch in erster Linie den Banken hohe Erträge, derweil passive (Index-) Strategien für die Kunden oftmals ein günstigeres Kosten-/Ertrags- bzw. Renditeverhältnis aufweisen.

Ja, bei Minuszinsen oder Zinssätzen, die tiefer sind als die Inflationsrate, bleiben nur Aktien oder Sachwerte als Investment übrig. Zudem steigern die tiefen Zinsen die Profitabilität der Firmen. Aktive Aktieninvestments sind nur für Leute geeignet mit einer fundierten Marktkenntnis, wenn man die nicht hat, sollte man sich passiv verhalten und börsenkotierte Fonds oder Indexfonds kaufen.

Immer wieder wird der Ruf nach einer nachhaltigen Finanzwirtschaft laut. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Man meint damit, dass Banken sich bei der Kreditvergabe oder Finanzierung noch mehr auf umweltfreundliche Unternehmen konzentrieren. Das findet statt. Banken können aber nur Kredite vergeben und Finanzierungen tätigen, wenn die finanziellen Eckwerte der Firmen den regulatorischen Forderungen entsprechen, das war nicht immer der Fall in der Vergangenheit. Auch können sie nicht ihre Verpflichtungen bei nicht nachhaltigen Unternehmen einfach kündigen, das würde die Wirtschaft ruinieren. Deshalb ist dieser Prozess abhängig vom Wachstum der Umweltindustrie.

Wie sinnvoll ist es überhaupt, die Finanzindustrie in Sachen Klimaschutz in die Pflicht zu nehmen?

Die Finanzindustrie muss die ganze Wirtschaft finanzieren und nicht nur Teile. Die Kritik kommt rückblickend hauptsächlich von NGOs, die nachhaltige Projekte bevorzugt haben wollen. Aber auch Anleger kaufen heute vermehrt Aktien in Firmen, die in der nachhaltigen Energiegewinnung tätig sind. Diese Aktien haben dieses Jahr Höchstkurse erreicht und ein neuer Investmenttrend ist entstanden.

Nachhaltigkeit hat auch mit «Mass halten» zu tun: Sie haben es bei der UBS vorgemacht, nur Ihr Fixgehalt als CEO bezogen und keine Boni. Weshalb hat Ihr Beispiel – zumindest in der Schweizer Finanzindustrie – keine Schule gemacht?

Weil wir Menschen gerne mehr anstatt weniger bezahlt bekommen wollen, das ist auch das Prinzip der Gewerkschaften. Das ist ein gesundes Verhalten, wenn wir damit auch die Leistung steigern. Das Bankgeschäft ist heute bei uns viel stärker reguliert als noch vor zehn Jahren und legt den Schwerpunkt auf Risikominimierung und mehr persönliche Haftung. Der daraufhin erfolgte teilweise Rückzug der Schweizer Grossbanken aus dem internationalen Geschäft hat die Erträge geschrumpft. Zudem sind sie im Wandel zur Digitalisierung, um die Kosten zu senken. Es wird aber schwer, wenn nicht unmöglich werden, an die Profitabilität der US-Banken heranzukommen.

Stichwort Digitalisierung: wie gross erachten Sie die Möglichkeit, dass die sogenannten Challenger- bzw. Neo-Banken, oder Tech-Giganten wie Google oder Amazon, die alteingesessenen Finanzinstitute über die Zeit verdrängen oder zumindest stark in Bedrängnis bringen werden?

Sie sind eine Gefahr für das traditionelle Bankgeschäft, denn sie werden sich die Geschäftsfelder, in denen sie konkurrenzfähig sind, herauspicken und zu tieferen Preisen anbieten. Selbst Aktienplatzierungen von neuen Unternehmen finden schon per Internet statt, ohne oder nur mit geringer Beteiligung der Banken. Aber auch neu gegründete Unternehmen machen es den bestehenden Banken schwer mitzuhalten. Zum Beispiel der 2015 gegründete Gratisbroker «Robinhood» hat heute mehr als 15 Millionen Kunden und ist sehr erfolgreich. Auch der Handel in digitalen Bitcoin ist in den letzten Jahren regelrecht explodiert und neue Bitcoin-Banken sind gegründet worden. Ein Markt der sich ohne die Grossbanken entwickelt. Bis jetzt sind das noch verkraftbare Meteoriten-Einschläge auf die Bankenwelt, aber warten auf den grossen Einschlag scheint mir keine gute Strategie zu sein.

Apropos Bitcoins, die gerade einmal wieder im Aufwind sind: die Kurse steigen und damit wohl auch die Phantasie der Anleger. Was halten Sie persönlich von Bitcoins? Haben Kryptowährungen wirklich Potenzial oder sind sie einfach nur ein weiterer Hype?

Eine neue Währung, ein neues Zahlungsmittel kann nur entstehen, wenn genügend Menschen ihm ihr Vertrauen schenken. Das scheint mit Bitcoin zur Zeit der Fall zu sein. Wie Gold, das sich in der Menschheitsgeschichte wegen seiner Seltenheit als krisenresistent erwiesen hat, setzt heute die jüngere Generation auf Bitcoin. Weil es eine finale Menge davon gibt, weil sie global handelbar und unabhängig von Staatspolitik ist, und weil man sie digital in unbegrenzten Bruchteilen handeln kann. Regierungen sind gegen Bitcoin, weil es eine Konkurrenz zur Staatswährung werden könnte. Allerdings ist der Markt in Bitcoin noch sehr volatil und intransparent. Ich glaube, Bitcoin wird wegen seiner Vorzüge gegenüber herkömmlichen Währungen länger überleben als wir es uns heute vorstellen können.

Anderes Thema: Sowohl die CS als auch die UBS dementieren öffentlich eine Fusion. Ist diese tatsächlich so abwegig?

Falls man das in Betracht zieht, müsste die FINMA eine neue «Too big to fail»-Definition erfinden. Denn 2009 hat sie festgestellt, dass jede einzelne Grossbank schon zu gross für die Schweiz ist.

Und wenn Sie heute eine Bank auf der grünen Wiese bauen könnten, wie sähe diese aus? Hat das klassische Bankgeschäft überhaupt noch eine Zukunft?

Es müsste eine total digitale Bank sein, die ihre Dienstleistungen zu viel tieferen Preisen anbieten kann als die jetzigen Banken, und sie müsste konkurrenzfähig gegenüber den grossen digitalen Prädatoren sein. Das klassische Bankgeschäft wird sich mit dem Generationenwechsel stark verändern und Sparten ihres Geschäftes an andere Anbieter verlieren, wenn es nicht konkurrenzfähig bleibt.

Hauptbildnachweis: Reto Flückiger-Wälchli