Finanzplatz Schweiz: Bitte nicht zu früh beerdigen (Teil 1)

Die angekündigten Filialschliessungen der Grossbanken UBS und CS haben neue Ängste um einen Kahlschlag auf dem Finanzplatz Schweiz ausgelöst. Bisher haben sich aber solche Düsterprognosen als übertrieben erwiesen.

«Kahlschlag auf dem Finanzplatz Schweiz». Nach der Bekanntgabe der beiden Grossbanken, einen merklichen Teil ihres Filialnetzes zu schliessen, war diese Schlagzeile postwendend in allen Medien zu finden. «In der Schweizer Finanzbranche wird es in den kommenden Monaten zu einem massiven Stellenabbau kommen. Denn die meisten Banken haben trotz fortschreitender Digitalisierung, steigender Kosten und engerer Margen unbeirrt mit überdimensionierten Personaletats gearbeitet. Damit ist nun Schluss angesichts der drohenden Rezession», ist Finanzpublizist Claude Baumann überzeugt.

Geht die Hälfte der Jobs weg?
Die beiden Grossbankenchefs widersprechen diesen Thesen nicht. Nach den Worten von Credit-Suisse-Chef Thomas Gottstein ist ein erheblicher Stellenabbau in der Schweiz in der Tat unumgänglich. Und der abgetretene UBS-Chef Sergio Ermottti prophezeite bereits im Herbst 2017, also noch vor der Corona-Epidemie, die Digitalisierung werde in den nächsten zehn Jahren bis zu 30 Prozent der Stellen kosten. Ein Jahr später rechnete die US-Grossbank Citigroup öffentlich vor, Roboter würden in den nächsten fünf Jahren 10'000 ihrer bisher 20'000 Angestellten in den Bereichen Technologie und Operations ersetzen.

Eine Meinung, die sich mittlerweile auch beim helvetischen Publikum durchgesetzt hat: Die grosse Mehrheit teilt laut einer Umfrage die Ansicht, in der Schweizer Finanzbranche werde es zu einem regelrechten Kahlschlag kommen. Bis zu 40 Prozent der Jobs könnten dabei vernichtet werden. Abgegeben wurden die meisten dieser Prognosen bereits im ersten Halbjahr 2020. Nach der Filialschliessungsrunde der Grossbanken, sind sie fast unverändert wieder aus der Schublade geholt worden. Doch es könnte wieder einmal voreilig sein.

Der Schweizer Finanzplatz ist im so schwierigen Jahr 2020 entgegen den Prognosen nicht etwa geschrumpft, sondern sogar leicht gewachsen.

Fakten besser als Prognosen
Denn die Fakten sehen anders aus: Der Schweizer Finanzplatz ist im so schwierigen Jahr 2020 entgegen den Prognosen nicht etwa geschrumpft, sondern sogar leicht gewachsen. Nach dem Bankenbarometer der Schweizerische Bankiervereinigung (SBV), das hauptsächlich auf einer Umfrage zur Personalentwicklung bei den Banken basiert, ergibt sich für das erste Halbjahr 2020 eine leichte Zunahme der Beschäftigung in der Schweiz: Die Anzahl Beschäftigter im Schweizer Banking ist in dieser Zeit von 87’122 auf 87’269 Stellen angestiegen, also um 147 Stellen oder 0,2 Prozent.

Gemäss unseren Erhebungen wird der Sektor Finanz- und Unternehmensdienstleistungen den Personalbestand bis im Frühling um 3 Prozent aufstocken.

Gianni Valeri, Country Manager Manpower Schweiz

Und dieser leichte Aufwärtstrend dürfte aufgrund der guten Resultate der Finanzinstitute im Geschäftsjahr 2020 auch heuer anhalten. «Gemäss unseren Erhebungen wird der Sektor Finanz- und Unternehmensdienstleistungen den Personalbestand bis im Frühling um 3 Prozent aufstocken», prognostiziert Gianni Valeri, Country Manager von Manpower Schweiz.

Corona ist nicht überall eine Wachstumsbremse
Vor allem die günstige Börsenentwicklung und der überaus rege Handel haben nach Valeri dazu beigetragen, dass es der Finanzbranche 2020 merklich besser ergangen sei, als praktisch allen anderen Branchen. Auch die Prognosen für 2021 dürften als günstig bezeichnet werden. Ähnlich positiv fällt das Bankenbarometer 2021 von EY Schweiz aus.

In der Branche selber herrscht Gelassenheit vor: Die Schwyzer Kantonalbank interpretiert die Filialschliessungen der Grossbanken nicht als Anzeichen eines baldigen Endes des Finanzplatzes Schweiz. «Der Finanzplatz wird die Herausforderungen durch den technologischen Umbruch und das veränderte Marktverhalten meistern», ist auch Jürg Staub, Geschäftsleitungsmitglied von Reichmuth & Co Privatbankiers, überzeugt.