Wie wird 2023 für Schweizer Aktien?

Ein herausforderndes Jahr für den Schweizer Aktien-Markt neigt sich zu Ende. Obwohl Ende 2021 viele Schweizer Qualitätswerte aufgrund der erfolgreichen Vorjahre noch ein sehr hohes Bewertungsniveau auswiesen, zeigte sich in diesem Jahr, dass dies eine Fehleinschätzung war.

Die Probleme haben sich bereits zu Beginn des Jahres gezeigt: Die eingeschränkte Supply Chain, steigende Zinsen und global steigende Inflationsraten, der Ausbruch des Ukraine-Kriegs sowie höhere Input-Kosten inkl. eines möglichen bevorstehenden Energie-Mangels in diesem Winter waren ein sehr gefährlicher Mix für die globalen Aktienmärkte.

Bezüglich der Inflation erwarten wir den Höchststand in der EU und den USA noch dieses Jahr. Daher dürften die weiteren Zinserhöhungen in abnehmendem Ausmass erfolgen, was uns für 2023 zuversichtlicher stimmt

Marc Hänni, Head of Swiss Equities, Vontobel

Der Schweizer Markt mit seiner ausgesprochen exportorientierten Wirtschaft war von den meisten Faktoren besonders betroffen. Aber auch die hohe Volatilität machte den Anlegern zu schaffen. So lag die Monatsperformance des breitgefächerten Swiss Performance Index im Januar bei -5.7%, im Februar bei -2.2% worauf dann im März eine Gegenbewegung von +2.4% stattgefunden hat. Ähnlich sprunghaft waren der Sommer und Herbst. Diese starken Performance-Schwankungen machten es den Investoren sehr schwierig, richtig positioniert zu sein.

Optimistischer Ausblick trotz Rezessionsgefahr
Derzeit steht und fällt die Zuversicht für 2023 mit den Inflations- und Zinserwartungen in Europa und den USA. Beinahe wöchentlich schwankt der Markt zwischen Euphorie einer sich abzeichnenden Abschwächung der Inflation und eines hartnäckig starken Preisanstiegs, der nur durch eine forcierte Rezession durchbrochen werden kann. Bezüglich der Inflation erwarten wir den Höchststand in der EU und den USA noch dieses Jahr. Daher dürften die weiteren Zinserhöhungen in abnehmendem Ausmass erfolgen, was uns für 2023 zuversichtlicher stimmt insbesondere für qualitativ hochstehende Wachstumstitel. Bezüglich einer Rezession ist zu früh, um zu sagen, ob die Schweiz im nächsten Jahr in eine Rezession eintreten wird. Es wird davon abhängen, ob sich unsere wichtigsten Handelspartner, wie z.B. Deutschland, Italien, Frankreich sowie die USA und China ausserhalb von Europa, in ein negatives Wirtschaftswachstum bewegen, denn zu stark sind die Schweizer Unternehmen von der Exportabhängigkeit betroffen. Wir sind trotzdem der Meinung, dass ein grosser Teil dieser Rezessionsängste aufgrund der Marktkorrektur im laufenden Jahr bereits in den Aktienkursen eingepreist ist. Wir sehen die Schweiz in einem Rezessionsszenario im Vorteil, weil das Margenniveau des Schweizer Aktienmarktes (gemessen am SPI) verglichen zu andern Länder-Indizes nicht nur höher liegt, sondern auch deutlich stabiler ist. Dies liegt nicht zuletzt an den Indexschwergewichten wie Nestlé, Roche und Novartis, die vergleichsweise defensiv ausgerichtet sind. Insgesamt fällt auch auf, dass es vielen Schweizer Unternehmen immer wieder gelungen ist, sich auf neue Marktbegebenheiten gut einzustellen; die Aufhebung der Untergrenze des Schweizer Frankens zum Euro im Januar 2015 durch die SNB ist nur ein Beispiel.

Schweizer Nebenwerte gut positioniert in einem anspruchsvollen Umfeld
Obwohl Schweizer Nebenwerte tendenziell eher pro-zyklischer ausgerichtet sind, haben es Unternehmen aus vielen verschiedenen Sektoren zu globaler Marktführerschaft gebracht. Lindt & Sprüngli, Straumann, Schindler oder VAT sind gute Beispiele hierfür. Diese Unternehmen zeichnen sich aus durch ihre hohe Innovationskraft, gepaart mit einer starken Bilanz und hohen Marktanteilen. Aber auch bezüglich langfristiger strategischer Ausrichtung, Unternehmenskultur oder ESG-Kriterien sind die meisten Vertreter führend. Wir gehen davon aus, dass das Gros der Schweizer Nebenwerte genau diese Stärken auch in einem anspruchsvolleren Umfeld ausspielen kann.

Lohninflation gibt mehr Anlass zur Sorge als Energiekosten
Die steigende Inflation seit Ende letzten Jahres hat dazu geführt, dass viele Schweizer Unternehmen verschiedene Preis-Erhöhungsrunden durchgeführt haben, insgesamt sprechen wir von bis zu 20% höheren Preisen. Diese Überwälzung an die Kunden ist auch nötig, denn nur so kann sichergestellt werden, dass aufgrund der höheren Inputpreise die Margen nicht negativ beeinträchtigt werden. Vor allem bei Unternehmen, welche direkt die Endkunden bedienen, dürfte dies aber je länger je anspruchsvoller werden (Stichwort Lohnpreisspirale). Hingegen scheint sich die Situation bzgl. Supply Chain Management - sowohl was die Verfügbarkeit als auch die Preise betrifft - in den letzten Wochen stabilisiert zu haben. Um das Thema Energiekosten wurde aus unserer Sicht ein zu grosser Hype seitens der Medien verursacht. Den grössten negativen Einfluss sehen wir bei Unternehmen aus dem Industrie-, Chemie- sowie Bausektor. Aber selbst dort beträgt der Anteil der Energiekosten im Verhältnis zum Gesamtumsatz lediglich maximum 4%. Das höchste Verhältnis Energiekosten zu Umsatz besteht bei Holcim (rund 10%) sowie Vetropack (geschätzte 18%), da deren Produktionen sehr energieintensiv sind. Viel stärker als die Energiekosten beschäftigen die Unternehmen für nächstes Jahr die steigende Lohninflation. In ausgewählten Märkten in Osteuropa (bspw. Polen) sind die Löhne in den letzten 12 Monaten um beinahe 20% gestiegen. Auch in den USA sind die Löhne stark angestiegen und in Ländern in Europa, wo Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen (bspw. Deutschland, Frankreich oder Belgien), dürften die Lohnverhandlungen für nächstes Jahr ebenfalls herausfordernd werden.

Welchen Einfluss hat ein starker Schweizer Franken?
Da sich die beiden wichtigsten Währungspaare für Schweizer Unternehmen im laufenden Jahr in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben, haben sich die positiven und negativen Währungseffekte bis zu einem gewissen Mass aufgehoben (Aufwertung des USD im Durchschnitt um 5% und Abwertung des EUR um fast 7%). Insgesamt haben die Schweizer Unternehmen sicher von einer tiefen Inputinflation profitiert, da zwei Drittel der Importe aus der EU stammen. Zudem kommt die hierzulande wenig spürbare Lohninflation den Schweizer Firmen mit einem hohen Anteil an Mitarbeitern am Hauptsitz zugute, während dieselben Unternehmen in ihren Absatzmärkten im Ausland trotzdem Preiserhöhungen durchsetzen können. Insgesamt hilft diese Währungs- und Inflationskonstellation also, um die Margen möglichst stabil zu halten.

Die Bewertung vieler Schweizer Qualitätswerte aus dem Mid & Small Cap Segment befindet sich momentan wieder auf einem attraktiven Einstiegsniveau.

Marc Hänni

Schweizer Mid- und Small-Cap Qualitätswerte attraktiv
Längerfristig haben Schweizer Mid & Small Caps (gemessen am SPI Extra) guten Chancen den Gesamtmarkt (SPI) zu übertreffen. In den letzten drei Jahren hat sich das Bild jedoch etwas anders dargestellt. In diesem Zeitraum konnten die Nebenwerte mit dem Gesamtmarkt nicht Schritt halten. Die Underperformance ist jedoch auf insgesamt drei Perioden zurückzuführen, nämlich auf das 4. Quartal 2018 (Befürchtungen über einen bevorstehenden Handelskrieg zwischen den USA und China), das erste Quartal 2020 (Ausbruch der Corona-Pandemie) sowie das laufende Jahr mit den oben erwähnten Herausforderungen (Inflation, steigende Zinsen, Ukraine-Krieg, steigende Energiepreise, Rezessions-Ängste etc.). Grundsätzlich sehen wir das Nebenwertesegment als deutlich zyklischer. Entsprechend stark geraten die Aktienkurse dieses Marktsegments immer dann unter Druck, wenn Befürchtungen über eine globale Rezession aufkommen. Jedoch sind wir überzeugt, dass es sich dabei um ein kurzfristiges Phänomen handelt. Für Investoren mit einem mittel- bis langfristigen Anlagehorizont beurteilen wir das aktuelle Marktumfeld als sehr interessant. Die Bewertung vieler Schweizer Qualitätswerte aus dem Mid & Small Cap Segment befindet sich momentan wieder auf einem attraktiven Einstiegsniveau. Zu Beginn des Jahres wies das Kurs-Gewinn-Verhältnis dieses Marktsegments eine Prämie von über 30% im 15-jährigen Durchschnitt auf. Aktuell berechnen wir aufgrund der Marktkorrektur einen Abschlag von rund 5%. Mittel- bis langfristig erwarten wir, dass Schweizer Mid und Small Caps ihre ursprüngliche Stärke wiedererlangen.

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