Trotz Volatilität: Die Märkte sind gesünder als allgemein angenommen

Anhaltende Inflation, Befürchtungen über eine straffere Geldpolitik und geopolitische Spannungen, die von der Grenzkrise zwischen Russland und der Ukraine bis hin zu den Beziehungen zwischen den USA und China reichen: Diese Faktoren schüren die Unsicherheit an den Märkten und dürften Anleger in den kommenden Monaten weiter unter Druck setzen.

Die Heftigkeit der Marktschwankungen spiegelt eine zunehmend risikoscheue Anlegerstimmung wider, die teuer bewertete Wachstumstitel und spekulative Vermögenswerte wie Kryptowährungen besonders hart trifft. Wertorientiertere Aktien in den Bereichen Energie, Finanzwerte und Basiskonsumgüter haben sich dagegen besser entwickelt, was darauf hindeutet, dass sich eine längerfristige Marktrotation abzeichnet. Der NASDAQ Composite ist zwischenzeitlich um 7,6 Prozent gefallen und verzeichnet damit den grössten Rückgang seit Beginn der Pandemie. Am 26. Januar lagen insgesamt 44 Prozent der Aktien im NASDAQ Composite 50 Prozent oder mehr unter ihren 52-Wochen-Höchstständen.

Kurskorrekturen bei wachstumsstarken Unternehmen nicht unüblich
Innerhalb des Technologiesektors deutet die jüngste Kursentwicklung darauf hin, dass die Anleger qualitativ hochwertige Unternehmen mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) gegenüber höher bewerteten Unternehmen bevorzugen. Letztere dürften tendenziell empfindlicher auf steigende Zinsen reagieren. Die Volatilität der Aktienkurse von aufstrebenden Unternehmen war jedoch zu erwarten; schliesslich haben in den letzten 15 Jahren einige wachstumsstarke Unternehmen mehrere Kurskorrekturen erlebt.

Auch wenn die Volatilität wahrscheinlich hoch bleiben wird, stehen die Märkte besser da als viele Investoren glauben.

Christophe Braun, Investmentdirektor Aktien, Capital Group

Trotzdem sollten Anleger keine Angst vor hoch bewerteten Unternehmen haben und sie vollständig meiden, denn die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass viele Unternehmen mit hohen Multiples weiter an Wert gewinnen können, solange die Fundamentaldaten im Laufe der Zeit über den Erwartungen liegen. Anleger, die die Marktturbulenzen überstanden haben und investiert blieben, konnten weiterhin attraktive Renditen erzielen.

Fundamentalanalyse langfristig entscheidend
Langfristig werden allerdings die Einstiegspreise weniger wichtig sein. Es kommt auf die Qualität der Werte an, weshalb wir uns auf eine gründliche Fundamentalanalyse konzentrieren, um langfristige Gewinner mit unterschätztem Potenzial zu finden. Dabei kommen auch Titel in Frage, die bereits aktuell als teuer gelten, denn die Bewertung muss auf lange Sicht hinweg beurteilt werden. Dies gilt insbesondere für Wachstumsunternehmen, die über grosse Märkte und niedrige Marktdurchdringungsraten verfügen. Das führt zu einem potenziell sehr langem Umsatz- und Gewinnwachstum, aber letztlich geht es darum, langfristige Gewinner zu identifizieren – kurzfristige Preis- und Volatilitätsbetrachtungen sind da nur begrenzt von Bedeutung.

Auch wenn die erwartete geldpolitischen Straffung zu einer höheren Marktvolatilität führen kann, werden die US-Aktien durch das Gewinnwachstum gestützt. Und auch wenn die Bewertungen im historischen Vergleich hoch sind, betrachten wir sie im Lichte des aktuellen und prognostizierten Zinsniveaus als nicht exorbitant. Wir glauben im Gegenteil, dass die Gewinne der Unternehmen des S&P 500 im Jahr 2022 um 8 bis 10 Prozent im Durchschnitt wachsen können, was angesichts der starken Erholung der Unternehmensgewinne im vergangenen Jahr immer noch eine respektable Rate ist.

Die Inflation ist zwar durchaus ein Grund zur Sorge mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Lage, sie kann sich aber auch positiv auf das Gewinnwachstum auswirken.

Christophe Braun

Die Inflation ist zwar durchaus ein Grund zur Sorge mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Lage, sie kann sich aber auch positiv auf das Gewinnwachstum auswirken. Entgegen der landläufigen Meinung tendiert der Markt nämlich dazu, in den Phasen nach der ersten Anhebung des Leitzinses zu steigen. Unser Basisszenario geht davon aus, dass das US-BIP im Jahr 2022 um zwei bis drei Prozent wachsen wird, da die fiskalischen Anreize nachlassen und die Geldpolitik gestrafft wird. Dieses langsamere – aber immer noch positive – Wirtschaftswachstum dürfte einen Anstieg der Unternehmensgewinne begünstigen. Auch wenn eine Korrektur in jedem Jahr und in jedem wirtschaftlichen Umfeld nie ausgeschlossen ist, erwarte ich angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen, der Ertragsstärke und des Zinsniveaus keinen systemischen Marktrückgang.

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