FINMA-Direktor Stefan Walter spricht über Finanzinnovationen und Regulierung in der Schweiz
Der FINMA-Direktor Stefan Walter hielt am diesjährigen «Point Zero Forum» in Zürich eine Keynote zum Thema «Finanzinnovationen und Regulierung in der Schweiz». Eine, wie wir finden, bemerkenswert klare und souveräne Rede, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen.
«Vor einem Jahr hatte ich die Freude, hier vor Ihnen zu sprechen. Damals habe ich in meinen Ausführungen erläutert, warum Innovation und Aufsicht keine gegenläufigen Konzepte sind. Nur in einem klar definierten und funktionierenden Regulierungs- und Aufsichtsrahmen kann Innovation erfolgreich sein und nachhaltig zum Wachstum des Finanzsektors und der Wirtschaft beitragen.
Ich möchte mich heute mit Ihnen auf eine kurze Reise in die Vergangenheit begeben und zeigen, dass die Schweiz einen Regulierungsrahmen geschaffen hat, der Finanzinnovation langfristig unterstützt.
Wie stark Regulierung und Aufsicht ausfallen, ist abhängig von dem Ausmass der mit den Geschäftsmodellen verbundenen Risiken. Sieht ein Geschäftsmodell die Nutzung von Fristen- oder Liquiditätstransformation vor, ergeben sich daraus prudenzielle Risiken, die mit entsprechenden Vorschriften und Standards adressiert werden müssen. Diese Risiken umfassen nicht nur Risiken, die sich auf die Kunden dieses spezifischen Dienstleisters auswirken, sondern auch Stabilitäts- und Ansteckungsrisiken, die in diesem Fall typisch für die Kreditintermediation sind und durch bankähnliche Regulierung minimiert werden müssen. Entsprechende Geschäftsmodelle müssen deshalb wahrscheinlich wie eine Bank bewilligt und überwacht werden.
Bei einem Geschäftsmodell, das vorrangig auf Zahlungsverkehr und Verwahrung setzt und keinerlei Kreditintermediation vorsieht, würde der Aufsichtsbedarf geringer ausfallen. Doch Risiken wie das Gegenparteirisiko für die Kunden oder operationelle Risiken bleiben relevant und müssen durch prudenzielle Regulierung wie die Fintech-Bewilligung in der Schweiz begrenzt werden. In all diesen Fällen wird es notwendig sein, Verhaltensrisiken zu minimieren, und deshalb muss es Verhaltensregeln bei Geldwäschereibekämpfung, Sanktionsregeln oder Anlegerschutz geben. Um Innovation solide und effizient zu gestalten, müssen Aufsicht und Regulierung technologieunabhängig sein. In der Schweiz gibt es keine Technologie, die von der FINMA gegenüber anderen bevorzugt wird. Sie verfolgt einen «funktionalen Ansatz», das heisst, «same risks, same rules». Dank einer technologieneutralen und prinzipienbasierten Regulierung kann sich die Aufsicht auch schnell auf neue Konzepte und Technologien einstellen. Neben einem technologieunabhängigen und funktionalen Ansatz bedarf es einer aktiven Kommunikation, um die notwendige Rechtsklarheit zu schaffen.
Stefan Walter, Direktor der FINMADie Schweiz zählt zu den Ländern, die bei Fragen in Sachen Finanzinnovation sehr schnell ein hohes Mass an Rechtsklarheit erreicht haben.
Die Schweiz zählt zu den Ländern, die bei Fragen in Sachen Finanzinnovation sehr schnell ein hohes Mass an Rechtsklarheit erreicht haben. 2021 sorgte das DLT-Gesetz für Antworten und Rechtssicherheit in verschiedenen Bereichen, nicht nur in der prudenziellen Regulierung, sondern auch im Privatrecht und Insolvenzrecht. Selbst vor Inkrafttreten des Gesetzes konnte die FINMA mit ihrem «same business, same rules»- Ansatz Rechtsklarheit schaffen, ohne langwierige Rechtsverfahren durchlaufen zu müssen. Nach Inkrafttreten des DLT-Gesetzes konnte die FINMA mit der Anwendung eines funktionalen Ansatzes bei der Regulierung Antworten auf neue Entwicklungen und auf neue rechtliche Fragen, die sich stellten, geben.
Wie wichtig Kommunikation ist, verdeutlichen die ausgewählten Beispiele auf dieser Folie: von Video- und Online-Identifizierung bis zur ICO-Wegleitung und der Wegleitung zu Stablecoins. In all diesen Bereichen und vielen weiteren ist es der FINMA gelungen, regulatorische Klarheit zu schaffen und gleichzeitig den Kunden- und Anlegerschutz zu verbessern. Lassen Sie mich dies anhand einiger Beispiele näher erläutern:
- Unser Rundschreiben zur Video- und Online-Identifizierung trat 2016 in Kraft. Was dazumal einen grossen Schritt nach vorne darstellte und von einigen als Experiment erachtet wurde, entwickelte sich zu einer allgemeinen Dienstleistung, die jetzt von vielen Finanzdienstleistern angeboten wird.
- Als die ICO-Welle 2017 und 2018 Fahrt aufnahm, war die FINMA eine der ersten Aufsichtsbehörden, oder vielleicht sogar die erste, die eine technologieunabhängige Klassifizierung dieser neuen Instrumente vorgenommen und eine «Token-Taxonomie» präsentiert hat. Die erste Aufsichtsmitteilung zu Stablecoins folgte ein Jahr später.
- Eine Aufsichtsmitteilung zur Travel Rule wurde 2019 veröffentlicht. Die Travel Rule stellt sicher, dass bei jeder Transaktion Angaben zum Absender und zum Empfänger der Transaktion übermittelt werden. Die Travel Rule gilt für alle Arten von Transfers, einschliesslich natürlich Krypto-Transaktionen. In ihrer Aufsichtsmitteilung erläuterte die FINMA ihre Aufsichtserwartungen und machte Angaben dazu, wie diese Erwartungen erfüllt werden können.
- Ein jüngeres Beispiel ist unsere Aufsichtsmitteilung zu Governance und Risikomanagement beim Einsatz Künstlicher Intelligenz.
Durch eine klare Kommunikation der «Verkehrsregeln» lässt sich die Rechtssicherheit für Projekte, die diese neuen Technologien nutzen, deutlich erhöhen – ein sehr wichtiger Faktor für erfolgreiche Finanzinnovation. Diese klaren regulatorischen Anforderungen und ihre prinzipienbasierte Anwendung auf neue Finanzinnovationen bilden den Rahmen, innerhalb dessen Innovatoren und Unternehmer kalkulierte Risiken eingehen können, während gleichzeitig der notwendige Anleger- und Verbraucherschutz gewahrt bleibt. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, dass die FINMA Marktentwicklungen versteht. Die FINMA steht in engem Kontakt mit Marktteilnehmern und Innovatoren. Der FinTech-Desk der FINMA beantwortet rund 100 Anfragen pro Jahr von FinTech- und Krypto-Projekten und sorgt für Rechtsklarheit, wenn es um die Frage geht, ob ein Projekt eine Bewilligung benötigt, und wenn ja, welche. In diesem Zusammenhang sollte auch darauf hingewiesen werden, dass die Antwortzeit bei regulatorischen Fragen deutlich gesunken ist, von mehr als vier Monaten noch vor ein paar Jahren auf weniger als einen Monat im vergangenen Jahr.
Stefan WalterInnovative Projekte, die mit diesen Zielen vereinbar sind, werden bei der FINMA transparente Anforderungen und aufgeschlossene Ansprechpartner vorfinden.
Die FINMA erhält nicht nur Anfragen von Studierenden, die den Finanzmarkt von ihrer Garage aus revolutionieren möchten, sondern auch von klassischen Banken. Wenn eine Bank plant, Dienstleistungen im Bereich Krypto-Assets zu erbringen, stellt die FINMA sicher, dass die Bank angemessene Massnahmen zur Risikosteuerung ergriffen hat. Die FINMA hat 40 Anträge dieser Art von Banken bearbeitet. Die FINMA hat auch ein granulares Reporting kryptobasierter Vermögenswerte eingeführt, das wie auf dieser Folie zu sehen ist, einen guten Überblick über die von Banken erbrachten Krypto- Dienstleistungen liefert. Diese Zahlen werden im Jahresbericht der FINMA veröffentlicht. Lassen Sie mich jetzt anhand von drei konkreten Beispielen erläutern, wie die FINMA zu Rechtsklarheit, zur Risikominderung und zur Vertrauensbildung in neue Technologien beiträgt.
Beispiel 1: DLT-Handelssystem und operationelle Risiken
Die Schweizer DLT-Gesetzgebung hat Rechtsklarheit und Kundenschutz in vielerlei Hinsicht verbessert. Ein Aspekt ist der Kundenschutz, wenn ein Kryptoverwahrer in Konkurs geht. Ein weiterer ebenso wichtiger Aspekt ist, dass bei der Übertragung von Vermögenswerten auf öffentlichen Blockchains Rechtsklarheit geschaffen und eindeutige Anforderungen formuliert wurden. Damit erhalten Innovatoren und Unternehmer in der Schweiz das notwendige regulatorische Umfeld mit klaren Verkehrsregeln, um Finanzinnovation in diesem von schnellen Veränderungen geprägten Bereich voranzutreiben. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist die Bewilligung als DLT-Handelssystem, das Bestandteil der DLT-Gesetzgebung war. Die FINMA hat erst vor Kurzem das bisher erste DLT- Handelssystem bewilligt. Die Bewilligung erlaubt den Handel, die Abwicklung und die Verwahrung sogenannter DLT-Effekten, die auf einer Blockchain, einschliesslich öffentlicher Blockchains, übertragen werden können. Die Nutzung öffentlicher Blockchains, die ohne klare Strukturen bezüglich Verantwortlichkeit, Haftung und Governance als Abwicklungskanäle für regulierte Zwecke betrieben werden, wirft die Frage nach dem Umgang mit spezifischen operationellen Risiken auf. Es gibt keine Telefonnummer, die man anrufen kann, wenn etwas schiefgeht. Deshalb muss das DLT-Handelssystem selbst als regulierter Nutzer einer solchen Blockchain die entsprechenden Vorsorgemassnahmen ergreifen. Das heisst, die FINMA verlangt vor Erteilung der Bewilligung und als Aufsichtsanforderung, dass der Betreiber nicht nur die selbst entwickelten Smart Contracts einer Prüfung unterzieht, sondern auch die Blockchain, die sein Handelssystem nutzt. Es muss klar definierte Verfahren geben, die bei Betriebsstörungen eine Fortsetzung des Betriebs gewährleisten. Darüber hinaus müssen die Pflichten, Rollen und Verantwortlichkeiten der beteiligten Parteien geregelt sein. Diese Massnahmen tragen dazu bei, die spezifischen mit öffentlichen Blockchains verbundenen operationellen Risiken einzudämmen.
Beispiel 2: Stablecoins und AML-/Sanktionsrisiken
Die Herausgabe von Stablecoins ist ein weiteres Beispiel für eine Tätigkeit, die erhöhte inhärente Risiken birgt und deshalb von einem klaren Rechtsrahmen und klaren Aufsichtserwartungen profitiert. Zu den Risiken von Stablecoins zählen prudenzielle und integritätsbezogene Risiken. Die integritätsbezogenen Risiken ergeben sich aus der Anonymität von Peer-to-Peer-Transaktionen auf der öffentlichen Blockchain, schnellen grenzüberschreitenden Transaktionen und der Tatsache, dass Stablecoins nicht nur als Zahlungsmittel, sondern auch als Wertaufbewahrungsmittel fungieren. Solche Transaktionen bergen hohe Risiken in den Bereichen Geldwäscherei, Terrorismusfinanzierung und Sanktionsumgehung. Untersuchungen spezialisierter Blockchain-Analysefirmen bestätigen nicht nur diese Risiken, sondern auch, dass Stablecoins zunehmend für illegale Transaktionen und seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs zur Umgehung von Sanktionen verwendet werden. In der im Vorjahr veröffentlichten Aufsichtsmitteilung zur Herausgabe von Stablecoins führte die FINMA aus, wie eine angemessene Risikominimierung erreicht werden kann. Es gibt bereits Projekte am Markt, die unseren Anforderungen an das Risk Assessment entsprechen. Ein Beweis dafür, dass diese in der Praxis erfüllt werden können.
Beispiel 3: Krypto-ETPs und Risiken für Anleger
Mit einem dritten und letzten Beispiel möchte ich aufzeigen, wie die FINMA zur Festlegung der Verkehrsregeln beiträgt, die notwendig sind, um den Schutz und das Vertrauen unter den Kundinnen und Kunden zu erhöhen. Dieses Beispiel betrifft Krypto-ETPs und deren Sicherheiten. 2023 verlangte die FINMA Anpassungen der internen Börsenregeln und -vorschriften, welche die Behandlung von Exchange Traded Products (ETPs) regeln, um damit den Anlegerschutz zu verbessern. ETPs können am Schweizer Markt wie Finanzprodukte gehandelt werden. Sie sind als handelbare Effekten an den Schweizer Börsen gemäss der Selbstregulierung der jeweiligen Börse zugelassen. Das Segment der Kryptowährungs-basierten ETPs ist stark gewachsen. ETPs bilden die Kursentwicklung eines Basiswerts ab, wobei auch Kryptowährungen als Basiswert eingesetzt werden können. Krypto-ETPs werden häufig von Zweckgesellschaften herausgegeben und müssen vollständig besichert sein. Dabei müssen die Sicherheiten, also die Kryptowährungen, bei einem Verwahrer hinterlegt sein. Die FINMA stellte bei der Besicherung dieser Produkte Qualitätsmängel fest: Die Sicherheiten in Kryptowährungen waren in einigen Fällen bei ausländischen Verwahrern hinterlegt, die keiner prudenziellen Regulierung oder Aufsicht unterlagen. Zudem ist es in vielen Ländern aus rechtlicher Sicht nicht klar, ob die Sicherheit separiert werden kann, wenn der Verwahrer in Konkurs geht. Ebenso unklar ist, ob der Verwahrer die Sicherheit wiederverwerten oder reinvestieren kann. Der Fall FTX und andere prominente Konkurse haben diese Risiken deutlich gemacht. In der Schweiz sorgte das DLT-Gesetz für Rechtsklarheit hinsichtlich dieser Fragen, so auch beim Schutz des Kunden für den Fall, dass der Verwahrer in Konkurs geht. Die FINMA schaltete sich ein, um sicherzustellen, dass es sich bei dem Herausgeber des Krypto-ETP entweder um ein angemessen beaufsichtigtes Institut wie eine Bank handelt oder dass das mit der Verwahrung der Sicherheit betraute Unternehmen einer angemessenen Aufsicht untersteht und die Krypto-Sicherheit jederzeit für den Herausgeber verwahrt. Ein Thema, das es an den Krypto-Märkten künftig im Auge zu behalten gilt, ist der Kundenschutz am Point of Sale. Anders als an den traditionellen Märkten gibt es diesbezüglich keine regulatorischen Anforderungen. Die FINMA setzt sich dafür ein, die Entwicklung angemessener Vorschriften zur Verbesserung dieser Situation zu unterstützen. Ein weiteres wichtiges Thema ist schliesslich die Integrität des Marktes und das hohe Mass an betrügerischem Verhalten an den Krypto-Märkten. In dem heutigen Roundtable-Gespräch möchte die FINMA darüber diskutieren, inwieweit dieselben Regeln wie für die Wertpapiermärkte notwendig oder ausreichend sind, um Integrität beim Handel mit Krypto-Assets sicherzustellen. Diese zukunftsgerichteten Diskussionen helfen der FINMA, entstehende Probleme zu erkennen und frühzeitig nützliche Informationen bereitzustellen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Beispiele der DLT-Handelssysteme, der Stablecoins und der ETPs zeigen, dass die frühzeitige Festlegung von Verkehrsregeln dabei hilft, die Basis für anschliessendes Wachstum und Innovation in diesen Märkten so zu gestalten, dass sie mit einer soliden Steuerung der Risiken und Kundenschutz vereinbar ist. Seit ihrer Gründung im Jahr 2019 sorgt die FINMA für die regulatorischen und aufsichtlichen Voraussetzungen, die ein dynamisches FinTech-Umfeld unterstützen können. Wir werden uns auch künftig auf unser Mandat, Gläubiger, Anleger und Versicherte sowie die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte zu schützen, konzentrieren. Innovative Projekte, die mit diesen Zielen vereinbar sind, werden bei der FINMA transparente Anforderungen und aufgeschlossene Ansprechpartner vorfinden.»