Finanzmärkte derzeit von der realen Welt entkoppelt – Schweiz bleibt eine Insel der Glückseligen

Das unabhängige Schweizer Kreditresearch-Unternehmen Independent Credit View (I-CV) analysierte in der Länderstudie 2020, welche seit dem Jahr 2009 jährlich erstellt wird, die fundamentale Kreditqualität von 51 Staaten.

Der Ausbruch von Covid-19 bremste die bisher schleppende Wirtschaftsentwicklung mit einem Schlag aus. Die Dauer und die Tiefe der Rezession sowie Auswirkungen auf die Bonität hängt von der individuellen Ausgangslage und Widerstandsfähigkeit der einzelnen Staaten ab. Bereits vor der Krise überstrapazierte Bilanzen und trotz positivem Wirtschaftsumfeld nicht erfolgte Reformen bieten dabei vielerorts eine prekäre Ausgangslage. Tiefere Steuereinnahmen und massive Ausgaben der Staaten zur Entschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen führen zu hohen Staatsdefiziten und zu steigenden Schulden.

Investoren hoffen auf Notenbanken und Regierungen

«Die erfolgreiche Bewältigung der Krise erfordert rigorose Anpassungen bei überschuldeten Unternehmen, Haushalten und Staaten zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit nach der Krise. Die Flexibilität sowie die Glaubwürdigkeit der Notenbanken und Regierungen wird auf die Probe gestellt und schwelende politische Risiken drohen zu eskalieren. Eine wohlüberlegte Exitstrategie, welche insbesondere eine Zombifizierung der Wirtschaft verhindert, ist zentral für eine nachhaltige Gesundung. Allerdings haben sich die Finanzmärkte derzeit komplett von der realen Welt entkoppelt. Viele Investoren glauben, dass sie in Krisensituationen stets von Notenbanken und Regierungen gerettet werden und gehen deshalb höhere Risiken ein. In diesem Umfeld war der Blick unserer Länderstudie 2020 auf die Entwicklungen herausfordernder denn je und führte zu zehn Downgrades», so René Hermann, Lead-Autor der I-CV Länderstudie.

Generell glauben wir, dass die Beruhigung der Märkte nur temporärer Natur sein wird. Es wird wieder zu heftigen Ausschlägen kommen.

René Hermann, Independent Credit View AG

Nordeuropäische Länder bleiben Safe Havens
Die I-CV Länderstudie 2020 weist Nordeuropa mit Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden als Safe Havens aus. Diese Staaten gingen mit einer tiefen Verschuldung in die Krise und die Aussichten auf eine rasche Rückkehr zu Wirtschaftswachstum sind intakt. «Deutschland kratzt an diesem Status, aber der starke Schuldenanstieg, hohe Eventualverpflichtungen und eine lediglich moderate Wirtschaftserholung verhindern ein zu positives Bild. Das AAA-Rating wie bei der Schweiz bleibt derweil erhalten. Der dritte im Bunde der DACH-Region, Österreich, ist unverändert mit AA geratet. Erwartungsgemäss verzeichnen wir in diesem Umfeld kein Upgrade, während zehn Staaten eine Abstufung erhielten. Darunter beispielsweise Kanada, Mexiko sowie die Türkei, welcher wir schon letztes Jahr eine problematische Entwicklung attestierten», so Hermann.

Beruhigung nur temporärer Natur
Resümierend und ausblickend meint Hermann: «Die aus Bonitätssicht negativen Konsequenzen für Unternehmen, Haushalte und Länder werden sich im kommenden Jahr materialisieren. Wir erwarten einen Anstieg der Kreditausfälle – insbesondere, wenn die Sondermassnahmen auslaufen – und steigende Arbeitslosigkeit, was den Konsum belasten wird. Länder mit hoher Gesamtverschuldung, einseitiger Wirtschaft und schwachen Institutionen haben Mühe, dem Schuldensumpf zu entkommen (Italien, Griechenland). Hier bleiben tiefe Zinsen entscheidend für die Tragbarkeit. Für den reibungslosen Kapitalmarktzugang sind wirtschaftliche Reife, robuste Institutionen und vertrauenswürdige Governance wichtige Voraussetzungen. Investoren sollten daher Staaten mit einer relativ tiefen Gesamtverschuldung, intaktem Erholungspotenzial und stabilen politischen Verhältnissen, wie zum Beispiel die genannten Safe Havens, bevorzugen.