Hat die EU in Sachen Handelsabkommen mit den USA kapituliert?
Auf den ersten Blick bietet das Handelsabkommen zwischen den USA und der EU für die Europäer wenig Grund zur Freude. EU-Exporte in die USA werden nun mit einem hohen Zollsatz von 15% belegt – zehnmal so hoch wie vor dem Handelskrieg, als er bei etwa 1,5% lag. Diese scheinbare Kapitulation der EU verdient jedoch eine genauere Betrachtung unter drei Gesichtspunkten.
Das Abkommen verhindert das Worst-Case-Szenario, das Trump mit US-Zöllen von 30%, chaotischen Vergeltungsmassnahmen und einem ausgewachsenen Handelskrieg angedroht hatte. Europa verfügt nicht über die strategischen wirtschaftlichen und technologischen Hebel, die China in einigen wichtigen Bereichen der industriellen Lieferketten hat. Zwar sind amerikanische Hersteller stärker von europäischen Lieferanten von Vorprodukten abhängig als umgekehrt, aber in einer Eskalation hätte Trump den Kampf auf Beschränkungen der Lieferung von Energierohstoffen und digitalen Dienstleistungen für die europäische Wirtschaft ausweiten können, wo die EU vollständig von den USA abhängig ist.
Apolline Menut, Ökonomin, CarmignacDie wirtschaftlichen Kosten mögen schmerzen, aber die strategische Kalkulation ist brutal rational.
Darüber hinaus gelang es den Europäern, einige Schlüsselbranchen vor den kostspieligeren sektoralen Zöllen (zwischen 25 und 50% oder mehr) zu schützen: Das Abkommen senkt die Zölle auf Autos (von 25% gemäss «Section 232» auf 15%) und umfasst sowohl Halbleiter (die aufgrund einer laufenden BIS-Untersuchung mit einer Abgabe von 25% bedroht waren) als auch Arzneimittel (für die Trump Zölle von bis zu 200% angedroht hatte). Dies verringert die handelspolitische Unsicherheit für europäische Lieferketten erheblich, auch wenn der Teufel im Detail steckt – insbesondere bei den unklaren «Null-für-Null»-Zollbestimmungen.
Geopolitik triumphiert über Wirtschaft
Mehr als wirtschaftliche Überlegungen waren strategische Kalküle ausschlaggebend für das Einlenken Brüssels. Für die EU ist es von grundlegender Bedeutung, dass Trump sich weiterhin für die Ukraine engagiert. Die Union hat bereits Zugeständnisse bei den NATO-Ausgaben gemacht und das einst tabuisierte Ziel von 5% des BIP akzeptiert. Durch intensive Lobbyarbeit der EU-Staats- und Regierungschefs konnte ein wichtiger Sieg errungen werden: Trump wurde davon überzeugt, (1) Russland ein hartes 50-Tage-Ultimatum zu stellen und (2) die Bewaffnung der Ukraine durch EU-finanzierte Käufe fortzusetzen. Ein Handelskonflikt, den wir nicht gewinnen konnten, wäre ein strategischer Langzeitfehler gewesen, der aus einer kurzsichtigen Suche nach kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteilen entstanden wäre. Vor diesem Hintergrund können wir diese 15% Zölle als Prämie für eine geopolitische Versicherung gegen Russland betrachten. In der neuen Weltordnung, in der «Macht vor Recht» geht, erfordert die Realpolitik eine Neubewertung des Preises für militärische Unterstützung. Wir gehen davon aus, dass dieselbe geostrategische Kalkulation hinter der Entscheidung Japans stand, die bittere Pille von 15% zu schlucken.
Leere Versprechungen zu Investitionen und Energie
Die viel gepriesenen Investitionszusagen in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar und US-Energieimporte im Wert von 750 Milliarden US-Dollar erscheinen eher als Wunschdenken denn als realisierbare Ziele. Insbesondere die Energieprognosen strapazieren die Glaubwürdigkeit: Bei den aktuellen Preisen würden selbst maximale US-Exporte kaum 150 Milliarden US-Dollar erreichen – weit weniger als die von Von der Leyen angepriesenen 250 Milliarden US-Dollar. Dies ist kein Durchbruch im Handel, sondern Schadensbegrenzung aus diplomatischer Pragmatik. Die EU hat bittere Bedingungen geschluckt, um die geopolitische Ausrichtung zu wahren. Die wirtschaftlichen Kosten mögen schmerzen, aber die strategische Kalkulation ist brutal rational.