Warum gilt Südkorea eigentlich als Schwellenland?

Der MSCI klassifiziert Volkswirtschaften und Aktienmärkte und prägt so internationale Anlagestrategien. Der Indexanbieter stuft Südkorea als Schwellenland ein.

Die Klassifizierung der globalen Aktienmärkte durch MSCI hat inzwischen normativen Charakter. Die Märkte werden in drei Hauptkategorien unterteilt: Frontier Markets, Emerging Markets und Developed Markets. Für die Einordnung eines Marktes sind Faktoren wie wirtschaftliche Entwicklung, Grösse und Liquidität des Aktienmarktes sowie die Marktzugänglichkeit entscheidend. Jede dieser drei Klassifizierungen erfordert bestimmte Mindestanforderungen hinsichtlich der Unternehmensgrösse, gemessen an der vollständigen oder variablen Marktkapitalisierung sowie an der Aktienliquidität. Die Anforderungen nehmen mit jeder Stufe zu. Eine weitere Hürde ist die Mindestanzahl von Unternehmen, die diese Kriterien pro Land erfüllen müssen. In den Frontier Markets muss das mindestens ein Unternehmen, in Schwellenländern drei und in den Developed Markets fünf.

Südkorea wird aufgrund von Problemen mit der Marktzugänglichkeit nicht als entwickelter Markt, sondern als Schwellenland eingestuft.

Andrew Rymer, Senior Strategist, Schroders

Die Marktzugänglichkeit bewertet den Aufwand, mit dem internationale institutionelle Anleger beim Kauf und Verkauf von lokalen Aktien rechnen müssen. Wenn dieser Prozess reibungslos und weniger restriktiv verläuft und gleichzeitig robuste, effiziente und sichere Abläufe gewährleistet sind, wird ein Markt eher als «entwickelt» eingestuft. Die Bewertungskriterien umfassen auch Beschränkungen für den Erwerb von Eigentum durch Ausländer, operative Rahmenbedingungen, die Verfügbarkeit von unterschiedlichen Anlageinstrumenten und so weiter. Das nachstehende Diagramm zeigt, dass die MSCI Emerging Market- und Frontier-Indizes auch Volkswirtschaften umfassen, die von der Weltbank bereits als Hocheinkommensländer – die höchste Einstufung – definiert werden.

Südkorea ist ein Paradebeispiel für einen Markt, der sich in diesem Spannungsfeld befindet. Das Land erfüllt die volkswirtschaftlichen Kriterien, die für die Einstufung als Developed Market ausschlaggebend ist. Allerdings stellen das Fehlen eines Offshore-Devisenmarktes und ein Verbot von Leerverkäufen für alle börsennotierten Aktien bis März 2025, neben anderen Faktoren, Hindernisse dar. Daher wird Südkorea aufgrund von Problemen mit der Marktzugänglichkeit nicht als entwickelter Markt, sondern als Schwellenland eingestuft.

Neuklassifizierungen als Chance für aktive Strategien
Die Neubewertung von Ländern und die Anpassung der Indizes im Laufe der Jahre sind keine Seltenheit. MSCI führt vierteljährliche Überprüfungen durch und nimmt im Juni eine jährliche Überprüfung der Marktklassifizierung vor. Auch die Marktzugänglichkeit wird jährlich bewertet. Änderungen können aber auch schneller und ausserhalb des Zyklus erfolgen. Wie etwa der Einmarsch Russlands in der Ukraine, woraufhin der Markt für viele internationale Anleger uninteressant wurde. Neuklassifizierungen boten in der Vergangenheit aktiven Anlegern, die ausserhalb der Benchmark investieren, immer wieder die Möglichkeit, ihre Allokation aufgrund der Bekanntmachung der Entscheidung noch bevor diese Änderungen tatsächlich umgesetzt wurden, anzupassen. Auf Marktebene kann beispielsweise die Umstellung von Frontier auf Emerging Markets dazu führen, dass ein Markt für eine grössere Gruppe von Anleger attraktiv wird. Gleichzeitig kann ein Markt, der in den Frontier-Ländern ein grosses Gewicht hat, in den Emerging Markets aufgrund von Faktoren wie der Marktkapitalisierung des Unternehmens oder der Liquidität unter Umständen übersehen werden. Kurz gesagt: Es kann besser sein, ein grosser Fisch in einem kleinen Teich zu sein, als ein kleiner Fisch in einem grossen Teich.

Schwellenländer sind keine homogene Gruppen, da sie ein breites Spektrum an Volkswirtschaften und Aktienmärkten umfassen. Die zugrundeliegenden Faktoren für die Konstruktion von Emerging Markets-Indizes und deren fortlaufende Entwicklung bringen einerseits Herausforderungen und Komplexität mit sich, bergen aber auch Chancen für Anleger mit einem langfristigen, flexiblen Ansatz.

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