Kein Grund für grossen «Leitzinsoptimismus»

Mit dem Comeback des Zinses kehren Anleihen 2023 auf die Anlagebühne zurück. Der Aktienmarkt ist nicht mehr alternativlos. Generell ist vor übergrossem «Leitzinsoptimismus» zu warnen. Die Zentralbanken werden ihre Gangart weiter verschärfen und die Liquidität verknappen – besonders in Europa. Der Ausblick für risikobehaftete Asset wird trotzdem besser.

Am makroökonomischen Horizont zeige sich ein gemischtes Bild. Die zu erwartende Rezession dürfte vergleichsweise milde ausfallen – immer vorausgesetzt, die Corona-Pandemie kehrt nicht zurück und der Krieg gegen die Ukraine breitet sich nicht weiter aus.

Die Weltkonjunktur hat sich in den letzten Monaten als überraschend resilient erwiesen.

Werner Krämer, Senior Economic Analyst, Lazard Asset Management

Die Weltkonjunktur hat sich in den letzten Monaten als überraschend resilient erwiesen. China hat seine die Null-Covid-Strategie aufgehoben und versucht nun, den kriselnden Immobilienmarkt zu stützen, was die dortige Konjunkturschwäche dämpft. Die Unternehmensdaten zeigen weltweit weiterhin eine gewisse Robustheit. Gleiches gilt für den Arbeitsmarkt. Die Beschäftigungszahlen sind extrem stabil, weil angesichts des überall knappen Personals auch in einer Krise kaum Mitarbeiter entlassen werden. Die Gefahren einer echten Energiekrise mit Rationierungen vor allem in Europa sind eher geringer geworden. Zudem greifen allmählich die Energiehilfen der einzelnen Länder, sodass sich der private Verbrauch behaupten könnte.

Kern der Inflation bleibt ein Problem
Gleichzeitig ist zu erkennen, dass der Höhepunkt des Inflationsdrucks weltweit vermutlich überschritten ist, weil sich die zyklischen Komponenten der Inflation (Energiepreise) deutlich abschwächen. Es ist aber zu erwarten, dass die strukturellen Bestandteile des Preisdrucks verhindern, dass der Inflationsrückgang ganz schnell und problemlos verläuft. Dies liegt zum Teil daran, dass die Arbeitsmärkte ziemlich eng bleiben. Hier spielt auch die Demographie eine Rolle. Zudem muss man die vielen staatlichen Eingriffe in zahlreichen Ländern als inflationär ansehen, und die Bekämpfung des Klimawandels durch die Internalisierung der negativen externen Produktionskosten in die Preisbildung ist ebenfalls preistreibend. Hier laute das Stichwort «Greenflation». Insgesamt ist es möglich, die sogenannte «Headline Inflation» relativ schnell abzusenken, aber die Kernraten dürften noch länger ein Problem darstellen. Vor diesem Hintergrund ist es relativ unsicher, wie die Zentralbanken reagieren werden. Allgemein erwarte der Kapitalmarkt in der zweiten Jahreshälfte eine mildere Geldpolitik, die sogar Zinssenkungen beinhalten könnte. Dies ist jedoch eventuell eine trügerische Hoffnung, sollte sich ein Teil der Inflation als hartnäckig und strukturell erweisen.

Optimistischer Rentenausblick
Insgesamt bin ich jedoch recht optimistisch gestimmt, was die Rentenmärkte betrifft. Der Zins ist für Rentenanleger wieder zurückgekehrt und das böse Inflationsgespenst aus dem Jahr 2022 ist mehrheitlich eingepreist. Auf Basis der Inflationserwartungen sind viele Realrenditen mittlerweile wieder positiv. Aus meiner Sicht nähern sich die Staatsanleiherenditen langsam ihrem fairen Wert, den wir in den USA auf 4 bis 4,5 Prozent spezifizieren und für die Bund-Rendite bei 2,5 bis 3 Prozent beziffern. Dies lässt ein gewisses Risiko steigender Renditen offen, zeigt aber auch, dass 80 Prozent des Bärenmarktes vorbei sein sollten.

Die Zeit, in der Anleihen kaum noch eine Funktion in der Kapitalanlage hatten, ist definitiv vorüber. Der Zins ist zurück.

Werner Krämer

Aufgefallen ist zuletzt eine Underperformance bei deutschen Bundesanleihen und das hat zwei Gründe: Während man von der US-Zentralbank mittlerweile ein baldiges Ende der Zinserhöhungen und daher schnell folgend Zinssenkungen erwartet, ist man für die Eurozone pessimistischer geworden. Denn hier sehe ich den Inflationsdruck noch negativer und erwarte daher, dass die EZB länger und stärker restriktiv agieren muss als die Fed.

Ehemaliger Klassenbester im Hintertreffen
Ein weiterer Negativfaktor für Bundesanleihen kommt hinzu: Nachdem sich Deutschland jahrzehntelang als Austeritätsweltmeister profiliert hat, wurde die fiskalische Zurückhaltung in den letzten Jahren deutlich reduziert. Die deutsche Bundesregierung gibt zurzeit Geld aus, als gäbe es kein Morgen. Im kommenden Jahr erwarte ich absolute Rekordemissionen des deutschen Staates – und dies in Zeiten, in denen die EZB als «Buyer of Last Resort» angesichts eines irgendwann zu erwartenden «Quantitative Tightenings» nicht mehr zur Verfügung steht. Dies birgt ein Risiko für den Bund-Markt und könnte für die erwartete Stabilisierung des Renditeniveaus ein Problem werden. Ein genauer Blick lohnt sich jedoch bei zahlreichen Anleihe-Segmenten, seien es dänische Pfandbriefe, Unternehmensanleihen, Nordic High Yield, Nachranganleihen oder Emerging Markets-Anleihen. Die stark angestiegenen Renditen liegen mittlerweile über den Anlagezielen der meisten Investoren. Die Zeit, in der Anleihen kaum noch eine Funktion in der Kapitalanlage hatten, ist definitiv vorüber. Der Zins ist zurück.

TINA gilt nicht mehr bei Aktien
Auf der Aktienseite ist das vielfach gehörte «There Is No Alternative (TINA)»-Argument nicht mehr gültig. Es stimmt schlicht nicht mehr, dass grosse Teile des Rentenmarkts so unattraktiv sind, dass sie als Anlagealternative kaum noch infrage komen. Auf der Aktienseite sind aber die Gewinnrenditen und Dividendenrenditen relativ zu den Renditen am Rentenmarkt immer noch in Ordnung, zumindest in Europa. Fazit: Balanced-Mandate bzw. Multi-Asset-Ansätze könnten in diesem Umfeld eine Renaissance erleben. Aktien sind wieder günstiger und damit chancenreicher. Renten bieten einen attraktiven Kupon und wieder mehr Sicherheit. Vor diesem Hintergrund stellen Wandelanleihen zurzeit erneut einen interessanten Kompromiss für viele Investoren dar. Hintergrund: Setzt der Aktienmarkt wieder zu einer Erholung ein, partizipieren Wandelanleihen stark von ihrem Aktien-Exposure. Bei grösseren Korrekturen hingegen werden sie eher zu Unternehmensanleihen, bieten Schutz und weisen im Vergleich zu Aktien ein attraktives «Downside Capture» auf.

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