Existiert der «Fed-Put» tatsächlich?
Kennen Sie das Gefühl, wenn man etwas im Grunde weiss oder zumindest eine starke Vermutung hat und es dann doch nochmal etwas ganz anderes ist, wenn man die vermeintliche Gewissheit aus berufenem Munde bestätigt erhält?
So erging es mir im vergangenen Herbst, konkret am Tag vor der ersten Zinssenkung der amerikanischen Notenbank (Fed). Ich hatte die Gelegenheit, in sehr kleiner Runde mit Richard Clarida zu sprechen, der von 2018 bis 2022 stellvertretender Vorsitzender der Fed war. Heute arbeitet er als Dozent, Referent und als wirtschaftlicher Berater des amerikanischen Vermögensverwalters Pimco.
Natürlich wollte die Runde von Clarida zunächst wissen, was die Fed am nächsten Tag seiner Meinung nach tun werde. Dazu später mehr. Eine meiner Fragen lautete: «Wir Marktbeobachter verfolgen jede Regung der Fed. Verfolgt die Fed auch, was die Analysten sagen und was am Markt eingepreist ist?» Clarida bestätigte, was man eigentlich weiss: Die Fed will die Märkte bei ihren Aktionen nicht auf dem falschen Fuss erwischen. Das Terrain ist vor den Zinsentscheiden jeweils verbal gut bereitet, grössere Überraschungen bleiben in der Regel aus. Gemäss Auswertung des Finanzinformationsdienstleisters Bloomberg gab es – abgesehen von den ausserplanmässigen Zinssenkungen in Krisenzeiten – in den letzten 20 Jahren nur drei überraschende Zinsentscheide – zwei davon während der Finanzkrise, die letzte im Mai 2022, als die Zinserhöhung stärker ausfiel als erwartet.
Thomas Heller, CIO der Frankfurter Bankgesellschaft GruppeOhne das Kind explizit beim Namen zu nennen, bestätigte der ehemalige Fed-Vizechef, dass es den 'Fed-Put' gibt.
Ein am Markt viel diskutiertes Thema ist der sogenannte «Fed-Put». Dieser besagt, dass man daraufsetzen kann, dass die Fed unterstützend eingreift, wenn es in der Wirtschaft oder an den Märkten zu Verwerfungen kommt. Gibt es diesen «Fed-Put» tatsächlich? Die Fed hat ein duales Mandat: Preisstabilität und Vollbeschäftigung. Aber warum nicht, so Clarida, weitere Aspekte berücksichtigen, wenn das eigentliche Mandat nicht konterkariert wird? Da schien der amerikanische Pragmatismus durch. Ohne das Kind explizit beim Namen zu nennen, bestätigte der ehemalige Fed-Vizechef, dass es den «Fed-Put» gibt.
Dann rief Richard Clarida der Gesprächsrunde in Erinnerung, dass von den 19 Mitgliedern des Offenmarktausschusses (FOMC), der die geldpolitische Ausrichtung festlegt, nur jeweils zwölf stimmberechtigt sind (vier davon wechseln jährlich). Das ist soweit bekannt. Das heisst aber auch – und dessen ist sich wohl nicht jede und jeder explizit bewusst –, dass mehr als ein Drittel der FOMC-Mitglieder zu den Fed-Projektionen bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung, der Inflation und dem erwarteten Zinsverlauf beitragen, diese jedoch nicht in die geldpolitischen Entscheidungen einfliessen. Das könne im (allerdings seltenen) Extremfall zu Diskrepanzen zwischen der «Fed-Durchschnittsmeinung» und den effektiven geldpolitischen Entscheidungen führen. Bemerkenswert war auch die Aussage von Clarida, dass «The chairman typically gets what he wants», dass also der Vorsitzende üblicherweise bekomme, was er wolle. Jedes FOMC-Mitglied ist bei seiner Stimmabgabe frei, und der Fed-Chef kann überstimmt werden. Er scheint aber mehr als ein «primus inter pares» zu sein, ein Erster unter Gleichen, und hat eine noch stärkere Position, als ich vermutet hätte. Die bilateralen Gespräche des Vorsitzenden mit jedem FOMC-Mitglied vor jeder Sitzung zeitigen offenbar Wirkung. Meist werden die Entscheidungen einstimmig gefällt, ab und zu mit einer abweichenden Stimme (zuletzt im Dezember 2024), ganz selten mit zwei Abweichungen (letztmals im September 2020). Es gilt also noch genauer hinzuhören als ohnehin schon, wenn Fed-Chef Powell spricht.
Zum Abschluss noch die Beantwortung der eingangs an Richard Clarida gerichteten Frage nach dem Fed-Zinsentscheid am Tag nach diesem sehr aufschlussreichen Gespräch. Die am Markt eingepreiste Erwartung lag exakt zwischen einer Senkung um 25 Basispunkte (Bp) und einer um 50 Bp. Richard Claridas Prognose: Senkung um 25 Bp. Es wurden 50. Selbst «Insider» können sich also täuschen. Und mit ihm meine Wenigkeit sowie die Hälfte der Marktbeobachter.