Globalisierung am Wendepunkt – aber nicht am Ende

Ab den 1990er-Jahren erlebte die Welt einen Globalisierungsschub. Der Fall des Eisernen Vorhangs öffnete neue Märkte, 1995 wurde die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet, und 2001 trat mit China das bevölkerungsreichste Land der Welt der WTO bei. Die globalen Exporte im Verhältnis zur globalen Wirtschaftsleistung – als eine Messgrösse für den Globalisierungsgrad – stiegen zwischen 1990 und 2008 von knapp 15% auf 25%.

Die internationale Arbeitsteilung war einer der stärksten Treiber des Wohlstands der letzten 200 Jahre. Das Modell der komparativen Vor-teile – jedes Land produziert die Güter, die es im Vergleich zu anderen Ländern günstiger/effizienter herstellen kann – ist eines der anerkanntesten Prinzipien der Ökonomie. Die Corona-Pandemie hat uns allerdings vor Augen geführt, dass diese Arbeitsteilung Abhängigkeiten schafft und dies problematisch werden kann, wenn die Wertschöpfungsketten unterbrochen werden. Deshalb – so die Überlegung – könnte es zu Anpassungen bei den Arbeitsprozessen der Unternehmen kommen, beispielsweise zur Repatriierung der Produktion oder zu erhöhter Lagerhaltung, und demzufolge zu einem Rückgang des globalen Handelsvolumens – zu einer De-Globalisierung.

Die Globalisierung hat seit der Finanzkrise zwar nicht weiter zugenommen. Aber eben auch nicht abgenommen.

Thomas Heller, Chief Investment Officer, Frankfurter Bankgesellschaft Gruppe

Fünf Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie lässt sich das in den Zahlen nicht ablesen. Die Globalisierung hat seit der Finanzkrise zwar nicht weiter zugenommen. Aber eben auch nicht abgenommen. Während die wertmässige Exportquote seit 2008 unter Schwankungen seitwärts verläuft, haben die transportierten Tonnen-Kilometer (die zurückgelegte Distanz multipliziert mit dem Gewicht) gemäss Schätzungen der UNCTAD (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung) sogar stetig zugelegt, und zwar mehr als die Wirtschaftsleistung. Zudem hat der schwieriger zu messende grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr (z.B. Finanzdienstleistungen, Tourismus, Telekommunikation) zugenommen. Auch wenn es in den Gesamtzahlen nicht sichtbar ist, gibt es hingegen Anzeichen für eine partielle Re-Regionalisierung und verstärkte Diversifizierung der Lieferketten (Reshoring, Nearshoring). Wird nun der gegenwärtige Handelskonflikt das Rad der Globalisierung endgültig zurückdrehen? Immerhin ist es das erklärte Ziel der US-Regierung, die Importe zu reduzieren und die Produktion wieder vermehrt im Inland anzusiedeln. Zölle und eine aktive Repatriierungspolitik à la USA können gewisse Entwicklungen in diese Richtung begünstigen sowie sektorale und regionale Verschiebungen auslösen. Es gibt aber auch wirtschaftlich induzierte Veränderungen in den globalen Handelsströmen. Dabei geht es unter anderem darum, die Zulieferer näher an den Absatzmarkt zu bringen, die Lieferketten zu diversifizieren und Abhängigkeiten zu reduzieren. Entsprechend kommt es in einzelnen Sektoren zu Verlagerungen der Produktion, und es gibt Länder, die davon profitieren (in der Vergangenheit etwa Mexiko und Vietnam).

Der Welthandel verschiebt sich, schrumpft aber nicht fundamental.

Thomas Heller

Die Richtung ist vorgezeichnet, und es wird bis zu einem gewissen Grad zu einer De-Globalisierung kommen. Wird sie substanziell ausfallen und lange anhalten? Das ist zumindest fraglich. Die ökonomischen Treiber der grenzüberschreitenden Arbeitsteilung und der globale Wettbewerb sind nicht ausser Kraft gesetzt. Langfristig wird die Effizienz bei der Erstellung und im Vertrieb von Gütern wieder vermehrt in den Vordergrund rücken und dem wirtschaftlichen De-Globalisierungs-Trend die Spitze brechen. Die OECD meint dazu: «Wirtschaftliche Logik begrenzt […] das Tempo einer umfassenden De-Globalisierung. Produktionskosten, Skalenvorteile, grenzüberschreitende Spezialisierung und komplexe Wertschöpfungsketten […] sprechen dafür, dass vollständiges «Onshoring» teuer und oft nicht realisierbar ist. Analysen der OECD und Forschungsarbeiten zeigen, dass Offshoring und Reshoring koexistieren: Staaten und Firmen treten eher in eine Phase der «Geopolitik-gestützten Regionalisierung» ein als in eine radikale Abkehr vom internationalen Handel.» Der verstärkte Aufbau regionalisierter, resilienter Lieferketten und Produktionsprozesse scheint also wahrscheinlicher als eine Rückkehr zu rein nationaler Produktion. Eine umfassende De-Globalisierung ist somit weder empirisch belegt noch zu erwarten: Der Welthandel verschiebt sich, schrumpft aber nicht fundamental.

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