Chinas Neustart: Eine andere Richtung

Chinas Wirtschaft hat bereits das Niveau von vor der Pandemie erreicht und könnte den USA und Europa sechs bis neun Monate voraus sein. Die Zukunftsstrategie lautet: geringere politische Unterstützung, Kontrolle über die Finanzintermediation – und weniger Abhängigkeit vom Rest der Welt. Dies birgt Risiken für das weitere Wachstum.

China ist ein Land, das die Pandemie eindeutig für seinen eigenen Neustart nutzte. Der Ausbruch der Krise im Westen diente der Kommunistischen Partei Chinas als Ablenkung, um das neue Sicherheitsgesetz für Hongkong einzuführen und das Prinzip «Ein Land, zwei Systeme» 27 Jahre früher als geplant zu beenden. Während des grössten Teils des Jahres 2020 sind die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt und ihre politischen Entscheidungsträger in einem ganz anderen Takt marschiert als die Politiker in den Industrieländern.

Strenges Regime – strenge Durchsetzung
Chinas Wirtschaft könnte den USA und Europa sechs bis neun Monate voraus sein. Das Land hat im Wesentlichen eine Normalisierung zurück auf das Niveau von vor der Pandemie erreicht, da es die Einhaltung der Kontaktbeschränkungen mit einer Strenge durchsetzen konnte, die nur in China möglich ist. Das Ausmass an politischer Unterstützung während der Krise war nie so gross, wie es in den Industrieländern der Fall war. Die Behörden sind so zuversichtlich über das Ende der Krise, dass sie die politische Unterstützung derzeit zurückfahren.

Renminbi legt zu
Die kurzfristigen Zinssätze sind um 100 Basispunkte gestiegen, die Rendite 10-jähriger Anleihen hat sich wieder normalisiert und die chinesische Währung hat gegenüber dem Dollar seit Mai um etwa 10 % zugelegt. Nach ihrem politischen Jahresplan wollen die Behörden die Sozialfinanzierung und das Geldmengenwachstum stärker an das nominale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anpassen – eine beträchtliche Anpassung nach unten. Dieser Schritt ist Teil der Strategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs. Dieser sieht eine Begrenzung des Kreditwachstums im Immobiliensektor vor sowie eine Umleitung von Ersparnissen und Krediten in die High-Tech-Produktionsindustrie, um die Abhängigkeit des Landes von westlichen High-Tech-Importen zu verringern.

Im weiteren Verlauf des Jahres könnte sich das chinesische Wirtschaftswachstum abschwächen.

Kim Catechis, Head of Investment Strategy, Martin Currie

Diese politischen Entwicklungen könnten im späteren Jahresverlauf sehr wichtig sein. Präsident Xi Jinping wird im Juli, rechtzeitig zum 100-jährigen Bestehen der Kommunistischen Partei Chinas, eine starke Wirtschaft vorweisen wollen. Im weiteren Verlauf des Jahres könnte sich das Wachstum jedoch abschwächen. Die Besorgnis der Führung über die zunehmende Verschuldung und das Ausmass des konsolidierten Haushaltsdefizits haben die politischen Entscheidungsträger dazu veranlasst, die Kreditpumpe nicht ständig anzuwerfen, um das geplante Wachstum zu fördern. Eine zu schnelle Einstellung der letztjährigen Massnahmen könnte einen erneuten Deflationsdruck auslösen und der globalen Erholung etwas den Wind aus den Segeln nehmen. Es würde einen grossen Unterschied machen, wenn die Behörden bereit wären, ein internes Finanzökosystem entstehen zu lassen, um die produktiven Segmente der Wirtschaft zu bedienen, die von den staatlichen Banken keinen Zugang zu Krediten erhalten. Diese Änderung zeichnet sich jedoch nicht ab.

Staat gibt Kontrolle nicht aus der Hand
Die Absage des Ant-Börsengangs durch die Aufsichtsbehörden und die anschliessende Untersuchung von Alibaba unterstreichen die Entschlossenheit Pekings, die Kontrolle über die Finanzintermediation zu behalten. Selbst das Experiment mit einer digitalen Währung zeigt den Wunsch der Kommunistischen Partei Chinas nach Kontrolle. Die breite Verwendung einer digitalen Währung würde der chinesischen Regierung eine unglaubliche Kontrolle über die gezielte und direkte Zufuhr von digitalem Fiatgeld geben, wo immer sie will.

Die Chinesen sind der festen Überzeugung, dass sie den Rest der Welt nicht wirklich brauchen.

Kim Catechis

Ein weiterer Faktor, der die Wachstumsaussichten Chinas belasten könnte, ist der Handel. Es wird nicht erwartet, dass die Biden-Regierung die Zölle aufheben wird. Chinas mangelnde Bereitschaft, sich an die Regeln der internationalen Ordnung zu halten, oder zumindest an die Ordnung, die für den Handel mit den USA erforderlich ist, wie zum Beispiel Industriesubventionen und forcierte Technologietransfers, bleibt ein ungelöstes Problem. Die Chinesen sind der festen Überzeugung, dass sie den Rest der Welt nicht wirklich brauchen, und treiben die Entwicklung der Binnennachfrage und den Aufbau einer High-Tech-Infrastruktur mit aller Kraft voran. Unterdessen haben China und die EU ein Investitionsabkommen geschlossen, das EU-Unternehmen gleiche Bedingungen in China bietet und chinesischen Unternehmen einen gewissen Marktzugang ermöglicht.

Kim Catechis ist derzeit Head of Investment Strategy bei Martin Currie und wird ab 1. April als Investment-Stratege des neu gegründeten Franklin Templeton Investment Institutes tätig sein. Die 1881 gegründete Investment-Boutique Martin Currie verwaltet ein Vermögen von 18,6 Milliarden Dollar und wurde im vergangenen Jahr von Franklin Templeton übernommen.