White Collar – Chiefs & Heads

«White Collar» ist unsere Satire-Kolumne über (Un-)Sinnigkeiten aus der Geschäftswelt. In der neuen Folge widmet sich Andreas Hönger dem Thema Titelinflation.

Menschen bilden Hierarchien. Ob früher im Adel, im Militär, in der Kirche oder in der Privatwirtschaft; gerade hier sind Rang und Titel inflationär, was die Navigation schwierig macht. Trotzdem wollen wir eine kleine Rundreise wagen.

Chairman of the Board: Verwaltungsratspräsident
Der Chairman hat, wie sein Name impliziert, den grössten Stuhl. Er ist der Oberste. Er hat das grösste, schönste Büro und den schönsten Sitzungssaal; den Board Room [1]. Meistens ist der Chairman ein älterer Herr (sehr selten eine junge Dame) mit savoir-vivre. Er hat eine gut besetzte Anhängerschaft, das Board of Directors, das meist auch aus älteren Herren (und einer Frau) besteht und über eine einigermassen seriöse Ausstrahlung verfügt. Vielfach ist der Chairman aber nur Staffage, der wirkliche Anführer ist meist der CEO.

Nach dem Chairman folgen die Leute auf dem C-Level, vorwiegend Officers, wie im Militär. Komischerweise heissen sie nicht Boss, sondern Chief, weil sie sich als Häuptlinge fühlen.

CEO: Chief Executive Officer
Der CEO, vielfach auch ein etwas älterer Mann (aber nicht so alt wie der Chairman), ist der eigentliche Chef des Ladens. Er verdient regelmässig unanständig viel. Ganz oben heisst er Group CEO. CEOs kann man auch klonen, indem man noch CEOs nach Regionen oder Klein-CEOs für jede Gruppengesellschaft kreiert. Das hilft, einen grösseren Hofstaat mit Günstlingen zu unterhalten.

CoS: Chief of Staff
Das ist nicht der Personalchef. Der CEO braucht, um sich seinen anspruchs- und verantwortungsvollen Tätigkeiten widmen zu können, eine fleissige, anhängliche Sekretärin mit hohem Rang, die ihm den Kleinkram und Privates abnimmt. Aber täuschen Sie sich nicht: Es ist meist auch ein Mann.

CFO: Chief Financial Officer
Der CFO ist als Kassenwart eine mächtige Figur, denn er hat und gibt das Geld. Darum ist er gefürchtet und alle biedern sich bei ihm an; Status ist schön, aber ohne Geld nicht viel wert.

CPO: Chief Procurement Officer
Der CPO ist der Antagonist des CFO, weil er den ganzen Tag nur Zeug einkauft und das Geld der Firma ausgibt. Er muss deshalb streng beaufsichtigt werden, damit er nicht überbordet und alle persönlichen Bestechungsgelder der Lieferanten annimmt.

CIO: CIO Chief Information (& Digital & Technology) Officer
Da wir uns im Daten- und Digitalisierungszeitalter befinden, hat der CIO Aufwind. Er hat zudem den Vorteil, dass die anderen Chiefs von IT keine Ahnung haben, denn sie sind ja keine Digital Natives. Der CIO kann also fast unbeschränkt Mittel beantragen und Projekte befördern oder zu Fall bringen.

O Rang! O Würde! / Wie oft durch äussre Schal' und Form erzwingst du / Ehrfurcht von Toren; lockst die Bessern selbst / durch falschen Schein!

William Shakespeare

CCO: Chief Compliance (& Governance) Officer
Seine Aufgabe ist, die geldgetriebenen Aussendienstler und die internen Mitarbeitenden dahingehend zu erziehen, dass sie die Kunden nicht über den Tisch ziehen oder andere Straftaten begehen. Es wäre zwar einfacher, die Leute mittels richtiger, langfristiger Vergütungspolitik zu steuern, aber dann bräuchte es den CCO nicht mehr.

CRO: Chief Risk Officer
Leben ist Risiko. Das weiss der CRO. Er beschäftigt sich darum mit Frameworks, welche die Risiken der Firma auf eine erträgliches Mass beschränken sollen. Das gelingt ihm aber derzeit mässig, weil viele schwarze Schwäne vorbei schwimmen. Aber ein Risikokonzept braucht es halt einfach, auch wenn es nichts nützt.

CCO: Chief Operating Officer
Er leitet das operative Geschäft; ihm obliegt die Leitung, Steuerung und Organisation der gesamten Betriebsprozesse und -leistungen. Sie merken; dafür ist eigentlich der CEO angestellt. Aber der muss Repräsentieren, seinen CoS beschäftigen und überhaupt möchte er nicht so viel arbeiten.

GC: General Counsel
Der Einzige, der nicht als Häuptling bezeichnet werden möchte, weil er als Jurist weiss, wie der Hase läuft. Ihm ist klar, dass der General über dem Chief steht. Unklar ist, warum es daneben noch einen Chief Compliance Officer braucht. Vermutlich will sich der GC nicht mit Aussendienstlern und Mitarbeitenden herumärgern; dafür hat er nicht das Jurastudium und womöglich noch die Anwaltsprüfung bestanden. Er ist zu intellektuell höheren Aufgaben prädestiniert.

In der agilen VUCA Welt ist unumgänglich, dass ständig neue Chief Officers kreiert werden. Jede neue Mode muss natürlich entsprechend betitelt und in der Geschäftsleitung vertreten sein. Es gibt einen Chief Sustainabilty Officer (CSO), Chief Diversity Officer (CDO) und neu einen Chief Well-Being Officer (CWO) oder Chief Happiness Officer (CHO). Letztere sind für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden und ein angenehmes Arbeitsklima zuständig. Wie sie das machen ist undefininiert und es stellt sich die Frage, wozu die Armada von anderen Chiefs denn zuständig sein soll.

Jetzt hat man immer noch viele Leute, die hierarchisieren möchten, und es nicht auf den obgenannten C-Level geschafft haben. Die darf man nicht im Regen stehen lassen. Entweder gibt man ihnen einen Titel, der Macht und Bonus verspricht und/oder man macht sie zum Head.

MD: Managing (Executive) Director
Das sind Mitarbeitende, die vom Geschäft nichts mehr verstehen, aber irgendetwas managen. Dafür gibts viele Unterstellte, ein hohes Monatssalär und einen unanständig fetten Bonus.

D: Director
Der D ist nicht so hoch, dass er die Seele verkaufen und sich dauernd mit Stuhlsägern befassen muss. Und doch ist es ein Titel, der Respekt hervorruft, vor allem, weil man das Geschäft noch versteht. Dafür wird man gut entschädigt. In jeder Hierarchie gibt eine Stufe, die anzustreben ist. In der Privatwirtschaft ist es diejenige des Directors.

VD: Vice-President
Ein unnötiger Titel; weder Fisch noch Vogel. Bei den Pflichten wird man der Direktion zugerechnet, nicht aber beim Lohn.

AVP: Assistant Vice-President
Wir nähern uns jetzt nicht langsam, aber sicher der Ebene der Knochenarbeit. Der AVP ist der Korporal, der von oben und von unten getreten wird. Eine Sandwichposition, die dazu noch echtes Tagesgeschäft erledigen muss und mässig entschädigt wird.

MA: Mitarbeitende
Die arbeitende Klasse ohne Titel.

Neben den Titeln gibt es noch Funktionsbezeichnungen, die etwas hermachen sollen. Sie werden Head of Something genannt. Aufgrund der Fülle der Köpfe können hier nur einige wenige Beispiele genannt werden.

Head of Human Resources
Einer der bekanntesten Heads. Vorwiegend eine Frau, die vorgibt, die menschlichen Rohstoffe zu verwalten. Tatsächlich ist sie mehr schmückendes Beiwerk und hat Verwaltungsfunktion. Personalentscheide treffen die Manager der Linie.

Head Key Clients
Wenn Sie nicht von einem Solchen beraten werden, sind Sie der Firma als Kunde im besten Fall Wurscht. Oder man möchte Sie loswerden. Bestes Indiz dafür ist, dass Sie eine kostenpflichtige Hotline anrufen müssen und dort lange Minuten in der Warteschlaufe landen.

Es gibt unzählige weitere Heads. Die grossen Köpfe sind für grosse Themen umfassend zuständig und ihre Bezeichnung ist entsprechend kurz: Head of Sales, of Marketing, of Operations, usw. Werden die Bezeichnungen länger und haben sie noch Länder- oder Regionenbezeichnungen, sind es selbsterfundene, regelmässig hierarchisch unbedeutende Heads. Beispiel: Head of Professional Services and Engagements Switzerland.

Quintessenz: Seien Sie Head of Yourself, beleben sie das trostlose Geschäftsleben und drucken Sie eine eigene, kreative Bezeichnung auf Ihre Visitenkarte!

[1] Wer sich für Board Rooms interessiert, dem seien die Fotobände «The Table of Power 1 & 2» von Jacqueline Hassink empfohlen.

Hauptbildnachweis: Unsplash