Ein (verhalten positiver) Update zur Eurozone

Angesichts der vielen Spezialfaktoren, welche in den letzten Quartalen die Wirtschaftsaktivität der Euro-Länder beeinflusst haben und zum Teil noch nicht wirklich vorüber sind, stellt sich die Frage: Wie gut geht es der Eurozone eigentlich? Unsere Ansicht: Nicht so schlecht, aber es bestehen zunehmend Risiken.

Politisch erscheint der Euroraum gegen innen vielleicht stabiler als auch schon, aber geopolitisch ist er verwundbar. Denn sowohl Russland wie auch vor allem China haben eine grössere Bedeutung für die Wirtschaft der Eurozone als für die US-Wirtschaft. Die wegen des Ukrainekrieges und partieller Abhängigkeit von China höhere konjunkturelle Verwundbarkeit der Euro-Länder lässt uns zurzeit den klar defensiven, weniger konjunktursensitiven Schweizer Aktienmarkt gegenüber der Eurozone favorisieren.

Die Abhängigkeit der EU-Wirtschaft von Asien generell und China speziell bleibt weiter ein Thema, denn sie ist viel grösser als jene der US-Wirtschaft.

Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki Baumann

Die wirtschaftliche Aktivität des Euroraums hat sich in letzter Zeit eher verschlechtert. Zwar besteht keine klare Rezession, sondern eher Stagnation, denn der Arbeitsmarkt hat sich bisher verhalten gezeigt. Allerdings steigt die Arbeitslosigkeit in Deutschland, der wichtigsten Volkswirtschaft in der Eurozone, seit Monaten wieder. Die Beschäftigungssituation der gesamten Eurozone dürfte sich in den kommenden Monaten weiter abkühlen, da davon auszugehen ist, dass sich das Wirtschaftswachstum in den Euro-Ländern wegen der deutlich angestiegenen Zinsen tendenziell abschwächen dürfte. Der rückläufige Trend der Inflation aufgrund des geringeren Nachfragedrucks ist positiv. Jedoch bestehen wegen der Nahostsituation weiter Unsicherheiten betreffend Energiepreisentwicklung, besonders bei Öl und Gas. Daher dürfte die Europäische Zentralbank mit Veränderungen der Leitzinsen momentan zuwarten. Auch eine Rolle spielt dabei die Situation in Italien, die in der Vergangenheit die Zinspolitik der EZB oft beeinflusst hat. Die Fiskalsituation ist in Italien nicht besser geworden und könnte sich negativ auf die Verschärfung der Kreditbedingungen für die europäische Wirtschaft auswirken. Dies angesichts der Erhöhung des italienischen Haushaltdefizits, mit der die Staatsverschuldung von Italien steigen dürfte.

Es ist davon auszugehen ist, dass sich das Wirtschaftswachstum in den Euro-Ländern wegen der deutlich angestiegenen Zinsen tendenziell abschwächen dürfte.

Gérard Piasko

Einen für die Europäische Zentralbank, aber auch die Finanzmärkte bedeutenden Unsicherheitsfaktor stellt die europäische Lohnentwicklung dar. Wenn das Lohnwachstum deutlich – und nicht nur leicht – zurückgeht, wäre dies für die Firmengewinne ein geringerer Kostenfaktor und würde mögliche Zinssenkungen wahrscheinlicher machen. Bisher zeigt sich das Lohnwachstum jedoch steigend. Die fiskalische bzw. staatliche Situation dürfte in der Eurozone, besonders wegen der Defizitproblematik in Deutschland, weniger konjunkturelle Unterstützung geben als in den letzten Jahren. Dies bedeutet, dass die Staatsausgaben im Euroraum die Konjunktur nicht mehr so stimulieren dürften wie 2020 bis 2023. Die Konjunkturdynamik der Euro-Länder zeigt bei den verarbeitenden Industrien mehr Schwäche als bei den Dienstleistungssektoren. Die massive Konkurrenz der deutschen Autoindustrie durch die von der chinesischen Regierung enorm subventionierten chinesischen Elektroautohersteller, die im Euroraum laufend mehr Marktanteile gewinnen, spielt hier eine nicht unerhebliche Rolle. Die Abhängigkeit der EU-Wirtschaft von Asien generell und China speziell bleibt weiter ein Thema, denn sie ist viel grösser als jene der US-Wirtschaft. Das bedeutet, dass ein weiter unbefriedigender Verlauf der Konjunktur Chinas nicht nur für Deutschland, sondern auch für die übrige Eurozone einen nicht unerheblichen Belastungsfaktor darstellen kann. Zudem haben sich die Finanzierungsbedingungen für die Haushalte, die Regierungen und auch die Unternehmen durch die enormen Zinserhöhungen seit 2023 nicht verbessert. Darum ist ein Wachstumsrückgang der Kreditvolumen zunehmend wahrscheinlicher. Eine tendenziell höhere Reservebildung der Finanzinstitute für mögliche Kreditausfälle würde daher nicht erstaunen. In diesem Umfeld wäre eine unterdurchschnittliche Performance von besonders konjunkturabhängigen Firmen keine Überraschung. Darum könnte eine Fokussierung auf Qualitätsaktien mit stabilerer Profitabilität und relativ niedriger Verschuldung auch in konjunkturell schwierigeren Zeiten sinnvoll sein.

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