Wie gut geht es der Eurozone?

Angesichts der vielen Spezialfaktoren, welche in den letzten Monaten die Wirtschaftsaktivität der Eurozone beeinflusst haben und zum Teil noch nicht wirklich vorüber sind, stellt sich die Frage: Wie gut geht es der Eurozone eigentlich?

Wir würden antworten: Nicht so schlecht wie befürchtet, doch mit zunehmenden Risiken. Denn sowohl die Währungssituation (wieder stärkerer Euro als Belastung) als auch der schwächelnde Absatzmarkt China haben eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Wirtschaft der Eurozone. Die konjunkturell stärkere Verwundbarkeit des Eurozone-Aktienindex lässt uns den defensiveren Schweizer Aktienmarkt gegenüber anderen europäischen Aktien favorisieren.

Die Eurozone zeigte dank mildem Herbst und Winter sowie frühzeitiger Vorbereitung auf die Energiemangellage trotz Ukraine-Krieg im gesamten Jahr 2022 ein, wenn auch nur geringes, Konjunkturwachstum. Dieses wurde besonders von den Dienstleistungssektoren unterstützt, welche von der durch Corona aufgestauten Nachfrage nach Ausgehen und Tourismus profitierten. Aus genau diesem Grund wird jedoch in der zweiten Jahreshälfte 2023 ein schwächeres Wirtschaftswachstum wahrscheinlich, denn das relativ hohe Niveau der Ausgaben für Dienstleistungen vom Sommer/Herbst 2022 kreiert einen so genannten Basiseffekt. Das dürfte 2023 nochmalige Steigerungen zwar nicht unmöglich, aber doch schwieriger machen. Der gleiche Effekt einer hohen Basis vom Jahr 2022 führt übrigens wohl auch bei der Gesamtinflation zu einem Rückgang des Anstiegs gegenüber dem Vorjahr in Prozent im Verlauf der kommenden Monate. Dennoch bleiben die Konsumentenpreise historisch überdurchschnittlich und die Kerninflation ohne Nahrungsmittel und Energiepreise noch klar von dem von der Europäischen Zentralbank gewünschten Niveau von 2% entfernt, weshalb weitere Zinserhöhungen möglich sind.

Durch die Branchenzusammensetzung ist der Aktienmarkt der Eurozone konjunkturabhängiger als der schweizerische Aktienmarkt.

Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki Baumann

Eine wichtige Folge der historisch hohen Konsumentenpreise ist ein Rückgang der inflationsbereinigten oder anders gesagt «realen» Einkommen, weil der Anstieg der Preise, die bezahlt werden müssen, über dem Anstieg der Einkommen liegt. Daher ist zu erwarten, dass die Sparneigung allmählich zunimmt, wo dies möglich ist. Zudem hat sich auch die Vermögenssituation gemäss einer Studie der Europäischen Kommission aufgrund des Rückgangs der Aktien- und Anleihenwerte 2022 sowie partiell der Immobilienwerte generell eher verschlechtert. Dazu kommen 2023 die Auswirkungen höherer Zinsen und verschärfter Finanzierungsbedingungen, da die Banken restriktiver in der Kreditvergabe werden – ähnlich wie in den USA. Dies dürfte nicht nur den Konsum behindern, sondern auch Unternehmensinvestitionen.

Die Gesamtinflation wird sich wegen des oben beschriebenen Basiseffekts, der im zweiten und dritten Quartal 2022 besonders hohen Niveaus der Rohstoffpreise, zwar in der Jahresveränderung im Verlauf von 2023 reduzieren. Jedoch könnte die Weitergabe höherer Unternehmenskosten an die Kunden die Kerninflation ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise relativ hoch halten, besonders, wenn die Lohnkosten steigen. Die Quantifizierung der Inflation wird nun durch die Wechselkurse erschwert. Dies bedeutet, dass der Euro-Rückgang 2022 besonders inflationär wirkte und die Wirkung in 2023 nicht eindeutig ist. Absehbar ist hingegen, dass die Preise für Dienstleistungen historisch hoch bleiben dürften, da der Druck auf höhere Löhne in Dienstleistungsbranchen wie Gastgewerbe, öffentlicher Dienst oder Gesundheitswesen zunehmen wird. Dies könnte sich erst ändern, wenn die Arbeitslosigkeit deutlich ansteigt, was jedoch die Risiken einer stärkeren Rezession klar erhöhen würde. Der zum Vorjahr insgesamt stärkere Euro könnte zudem Exporte abbremsen. Im Weiteren ist für die kommenden Quartale mit einer angespannten Lage der Staatsfinanzen zu rechnen. Die Unterstützungspakete, um die Bevölkerung in vielen Ländern der Eurozone von hohen Energiekosten zu entlasten, haben tendenziell die Verschuldung in der Eurozone weiter erhöht und belasten die Haushaltsbudgets.

Als Konklusion würde uns in der Eurozone gegen Ende 2023 eine Konjunkturabschwächung bei historisch weiter überdurchschnittlicher Inflation nicht überraschen. Durch die Branchenzusammensetzung ist der europäische Aktienmarkt, insbesondere der Aktienindex der Eurozone, konjunkturabhängiger als der schweizerische Aktienmarkt. Der Schweizer Aktienindex hat eine höhere Gewichtung an defensiven, also weniger vom Verlauf der Konjunktur abhängigen Firmen. Wird favorisieren zurzeit daher den schweizerischen Aktienmarkt gegenüber dem Aktienmarkt der Eurozone.

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