Nearshoring: IT- und Bankjobs vor Rückkehr nach Zentraleuropa

Der allgegenwärtige Kostendruck im Banking hat dazu geführt, dass sogenanntes Offshoring bei vielen Instituten ein essentieller Teil der IT-Strategie geworden ist. Dabei wurden zentrale Technologieservices in Billiglohnländer – etwa nach Asien ­– ausgegliedert. Die globale Pandemie und die Massnahmen zur Eindämmung wirken derzeit wie ein Brennglas für die Probleme dieser Praxis. In vielen Häusern wird es zu einem Umdenken kommen. IT-Jobs werden mittelfristig den Weg zurück nach Europa und in die Schweiz finden.

Länder wie Indien oder die Philippinen gewannen in den letzten Jahrzehnten einen guten Ruf als Standorte für IT- und Technologieservices. Trotz offensichtlicher Vorteile wie dem beeindruckenden Pool an Talenten und den günstigeren Lohnkosten bestanden seit jeher auch Nachteile. Kritisch sind etwa die starken Zeitzonenunterschiede, welche die Zusammenarbeit innerhalb des Teams beeinträchtigen und Verzögerungen mit sich bringen. Auch Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede, etwa im Umgang mit Feedback, stellen Hindernisse dar. In diversen Offshoring-Ländern herrscht darüber hinaus ein instabiles politisches Klima und geopolitische Risiken können im Ernstfall direkte Auswirkungen auf die Geschäftsabläufe der Geldhäuser mit sich bringen.

Die strengen Lockdowns in Asien spiegelten sich unmittelbar in den Operations europäischer Grossbanken wider: So kam es zu Ausfällen und wiederholten technischen Störungen.

Andrea Hoffmann, Partner bei Capco

Globale Pandemie wird zur Zäsur
Besonders zutage traten die Probleme im vergangenen Frühjahr als Staaten weltweit dazu übergingen, ad hoc Gegenmassnahmen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie zu treffen. Die strengen Lockdowns in Asien spiegelten sich unmittelbar in den Operations europäischer Grossbanken wider: So kam es zu Ausfällen und wiederholten technischen Störungen. Im Chaos der Ausnahmesituation waren Institute kaum in der Lage, ihre Interkontinental-Teams zu koordinieren und gezielte Vorkehrungen zu treffen. Aufgrund der ausserordentlichen Systemrelevanz der Banken, gerade in der Krise, werden derartige Probleme sicherlich in aller Tiefe analysiert. In der Zwischenzeit waren Banken zudem gezwungen, ihre Digitalisierung mit noch stärkerem Nachdruck voranzutreiben.

Portugal und Polen – IT-Hotspots von morgen?
Der nachdrückliche Fokus auf der Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette macht es für Banken extrem attraktiv, für ihre IT-Operations Kooperationen mit Experten im europäischen Ausland zu forcieren. Neben Osteuropa entpuppt sich auch Portugal als ein Technologiehotspot von morgen. Anders als Teams in Asien bringen Experten in diesen Regionen ein viel besseres Verständnis der Verbraucheransprüche mit und verstehen sich auf eine ausgereifte Antizipation von (digitalen) Trends. Für Banken ist es folgerichtig möglich, diese Experten weitaus tiefer in die Prozesse zu integrieren, nicht zuletzt auch für Operations an der direkten Schnittstelle zu Kunden. Diese Nearshoring-Teams wickeln somit nicht nur technische Commodities ab, sondern bergen das Potential, zum Ideeninkubator für neue Anwendungen, etwa im Bereich der User Experience zu werden.

Der stärkere Fokus auf europäische – oder auch innerschweizerische Teams – ist ein logischer Schritt der Digitalstrategie heimischer Wettbewerber.

Andrea Hoffmann

Nearshoring – essentieller Baustein der Digitalstrategie
Der stärkere Fokus auf europäische – oder auch innerschweizerische Teams – ist ein logischer Schritt der Digitalstrategie heimischer Wettbewerber. Die Vorteile sind offensichtlich: Einfachere Erreichbarkeit, vergleichbare regulatorische Rahmenbedingungen oder auch die kulturellen Ähnlichkeiten. Gerade jedoch das tiefere Verbraucherverständnis wird sich in Zukunft als Mehrwert herauskristallisieren. Im Falle der osteuropäischen Fachleute kann angemerkt werden, dass dortige Institute im europäischen Vergleich nicht selten digitale Vorreiter darstellen. Die Chance ist gekommen, dieses Know-how auch für die Banken Zentraleuropas zu nutzen.

Andrea Hoffmann ist Partner bei der Bankenberatung Capco in Zürich. Der studierte Politologe ist Experte für Transformationsthemen in der Finanzwelt. Unter anderem beschäftigt sich Hoffmann mit der Anpassung von IT-Strategien und deren Implementierung.