Gold: Ein neues aufsichtsrechtliches Asset?
Die jüngste gesetzgeberische Initiative in der Schweiz zur Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen für ausländische Tochtergesellschaften der UBS hat die Debatte über die Anwendung der Basel-III-Vorschriften neu entfacht – insbesondere hinsichtlich der regulatorischen Behandlung von Gold im Bankensektor. Obwohl das Edelmetall alle technischen Voraussetzungen erfüllt, um als hochwertige liquide Aktiva (HQLA) anerkannt zu werden, wirft seine formelle Ausgrenzung aus dieser Kategorie Fragen zur Angemessenheit der aktuellen Standards im Verhältnis zur Marktrealität auf.
Aus technischer Sicht erfüllt Gold die von Basel III festgelegten Kriterien für HQLA in hohem Masse: Es weist eine aussergewöhnliche Liquidität auf, mit täglichen Handelsvolumina von über 200 Milliarden US-Dollar, und ist frei von Kredit- oder Emittentenrisiken. Dennoch ist es derzeit nicht zulässig, zur Erfüllung der Liquiditätsdeckungsquote (LCR) verwendet zu werden – eine umso erstaunlichere Ausgrenzung, da Gold auf den Finanzmärkten häufig als Sicherheitsinstrument für Finanzierungs- und Derivatgeschäfte akzeptiert wird. Diese Diskrepanz zwischen gelebter Marktpraxis und regulatorischem Rahmen stellt eine erhebliche Inkohärenz dar.
Bilanztechnisch geniesst Gold eine günstige aufsichtsrechtliche Behandlung. Es wird in den Bankbilanzen – sowohl nach dem Standardansatz als auch nach dem fortgeschrittenen Ansatz der Eigenkapitalanforderungen – als risikofreies Asset eingestuft und erfordert daher keine zusätzliche Eigenkapitalunterlegung. Allerdings bleibt es vom sogenannten «Common Equity Tier 1» (CET1), dem harten Kern des bankaufsichtlichen Eigenkapitals gemäss Basel III, ausgeschlossen. Diese Ausgrenzung ergibt sich aus der Natur des CET1, das ausschliesslich aus reinem Eigenkapital wie Stammaktien und einbehaltenen Gewinnen besteht.
Arthur Jurus, Head of Investment Office, ODDO BHFFür die Schweiz wäre eine regulatorische Neubeurteilung von Gold eine strategische Chance. Sie würde es den Schweizer Banken ermöglichen, ihr Liquiditätsmanagement zu optimieren und zugleich ihre Rolle im globalen Finanzsystem zu festigen.
Gleichzeitig durchläuft der Markt für physisches Gold einen strukturellen Wandel. Zentralbanken – insbesondere jene Chinas – haben ihre Goldkäufe stark ausgeweitet, mit 244 Tonnen allein im ersten Quartal 2025. Dies spiegelt eine gezielte Strategie zur Diversifikation der Währungsreserven und zur Reduktion der US-Dollar-Abhängigkeit wider. Parallel dazu wächst das Interesse institutioneller Anleger an physischem Gold, das im Gegensatz zu Goldderivaten kein Kontrahentenrisiko aufweist und als robuster gilt.
Eine mögliche Anerkennung von Gold als HQLA hätte weitreichende Konsequenzen. Sie würde eine strukturelle Nachfrage seitens der Banken schaffen, die physisches Gold schrittweise in ihr Liquiditätsmanagement integrieren könnten – bislang dominiert von Staatsanleihen und Zentralbankreserven. Diese Entwicklung, kombiniert mit der aktuellen Akkumulationsdynamik durch grosse Investoren, könnte die Goldpreise langfristig stützen. Sollte Gold künftig 5 bis 10% der HQLA-Bestände ausmachen, wäre ein Preisanstieg von 200 bis 300 US-Dollar je Unze denkbar.
Für die Schweiz, deren Banken- und Finanzindustrie eine zentrale Rolle im Goldhandel und der Lagerung spielt, wäre eine solche regulatorische Neubeurteilung eine strategische Chance. Sie würde es den Schweizer Banken ermöglichen, ihr Liquiditätsmanagement zu optimieren und zugleich ihre Rolle im globalen Finanzsystem zu festigen. Die derzeitige Ausgrenzung von Gold aus dem HQLA-Universum erscheint zunehmend als regulatorischer Anachronismus, der weder der tatsächlichen Liquidität des Metalls noch seinem Status als ultimativer sicherer Hafen gerecht wird. In einem Umfeld wirtschaftlicher Unsicherheit und wachsender Stabilitätsbedürfnisse könnte eine Aktualisierung der Basel-III-Regeln einen kohärenten und praxisnahen Schritt darstellen, um Gold vollständig in die moderne Finanzarchitektur zu integrieren.