Washington setzt die Schweizer Pharma-Industrie massiv unter Druck
Die US-Zölle auf Schweizer Produkte erreichen einen Rekordwert von 39%. Diese Verschlechterung des Handelsumfelds könnte in Verbindung mit der Aufwertung des Schweizer Frankens das Wachstumspotenzial des Landes bis Ende 2026 um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte des BIP schmälern, vor allem aufgrund des Rückgangs der Pharma- und Uhrenexporte.
Die Schweiz ist nämlich eines der wenigen europäischen Länder, das gegenüber den Vereinigten Staaten einen erheblichen strukturellen Überschuss verzeichnet: 38,5 Milliarden Schweizer Franken im Jahr 2024 bei den Gütern, die sich unter Einbeziehung der Dienstleistungen, insbesondere der Technologiegebühren und der digitalen Ströme, auf 18 Milliarden Schweizer Franken reduzieren. Fast 60% dieser Schweizer Exporte in die USA konzentrieren sich auf einen einzigen Sektor: die Pharmabranche.
In einer Reihe von Briefen, die an 17 grosse Pharmaunternehmen in den USA, der Schweiz und Europa verschickt wurden, fordert die Trump-Regierung, dass die Preise für Markenmedikamente in den USA an die Preise in den OECD-Ländern angeglichen werden, und reaktiviert damit die Politik der «Meistbegünstigung» (MFN). Zu den betroffenen Konzernen gehören Novartis und Roche sowie Sanofi, AstraZeneca, GSK und Novo Nordisk. Die Unternehmen haben 60 Tage Zeit, um vier Hauptforderungen zu erfüllen: Anwendung der MFN-Preise für alle Medicaid-Patienten für bestehende Behandlungen; Gewährleistung derselben Preise für alle neuen Medikamente, die in den USA auf den Markt gebracht werden; die im Ausland erzielten Einnahmen in Form von Preissenkungen auf dem US-Markt umverteilen; und Direktvertriebsmodelle an Verbraucher oder Unternehmen einführen, die Zwischenhändler umgehen. Bei Nichteinhaltung droht Trump mit dem Einsatz «aller uns zur Verfügung stehenden Mittel», um gegen das, was er als «missbräuchliche Preisgestaltungspraktiken» bezeichnet, vorzugehen.
Arthur Jurus, Head of Investment Office, ODDO BHFNovartis ist stark vom US-Markt abhängig und könnte bis zu 800 Millionen US-Dollar pro Jahr verlieren.
Die rechtlichen Auswirkungen sind ungewiss, aber die Handelsmargen im privaten Sektor sind unmittelbar bedroht. Die rechtliche Tragweite bleibt unklar, da mehrere ähnliche Massnahmen während der ersten Amtszeit von Trump von Bundesgerichten blockiert wurden. Allerdings scheint die Regierung heute mehr Spielraum bei öffentlichen Programmen wie Medicare und Medicaid zu haben, wo die Ausweitung der Liste der von der IRA betroffenen Medikamente eine technische Rolle spielen könnte. Im privaten Sektor hingegen ist die Anwendbarkeit dieser Maddnahmen komplexer, aber das Risiko für die Handelsmargen ist sehr real. Da sich die Preisunterschiede zwischen Medicare und den OECD-Ländern in den letzten Jahren bereits verringert haben, könnte der MFN-Effekt hier begrenzt sein, aber er bleibt potenziell umsatzvernichtend für nicht subventionierte Handelskanäle. Für Konzerne wie Roche und Novartis, die bereits unter Preisdruck stehen, bedeutet diese zweite Regulierungswelle ein hohes politisches Risiko, das in Bewertungsmodellen nur schwer vorhersehbar ist.
Novartis ist stark vom US-Markt abhängig und könnte bis zu 800 Millionen US-Dollar pro Jahr verlieren. Novartis ist besonders stark vom US-Markt abhängig. Von den für 2025 erwarteten 52,7 Milliarden US-Dollar Umsatz stammen rund 42% aus den Vereinigten Staaten, also mehr als 22 Milliarden US-Dollar. Der Konzern erzielt den grössten Teil des Wachstums seiner führenden Produkte in den USA: Entresto, Kisqali, Cosentyx und Kesimpta. Im zweiten Quartal 2025 lag der bereinigte Nettogewinn (Core EPS) bei 2,42 Dollar pro Aktie, was einem Anstieg von 24% bei konstanten Wechselkursen entspricht und 2% über dem Konsens liegt. Die operative Marge erreichte 42,2% und damit eines der höchsten Niveaus der Branche. Sollten Zölle in Höhe von 10 bis 15% auf einen Teil der aus der Schweiz exportierten Produkte eingeführt werden, könnten sich die Auswirkungen auf das Betriebsergebnis nach indirekten Branchenschätzungen auf 500 bis 800 Millionen US-Dollar pro Jahr belaufen. Dies würde das Nettoergebnis um etwa 4% schmälern, was zwar verkraftbar, aber in einem Umfeld, in dem Novartis bereits mit einem Umsatzrückgang bei Entresto aufgrund der Einführung von Generika rechnet, dennoch schmerzhaft wäre. Das Aktienrückkaufprogramm in Höhe von 10 Milliarden Franken bis 2027 könnte ebenfalls verlangsamt werden.
Arthur JurusRoche ist diversifizierter, aber ebenso anfällig für Preiserhöhungen bei seinen Starprodukten mit kumulierten Verlusten von 1 Milliarde Franken bis 2026.
Roche ist diversifizierter, aber ebenso anfällig für Preiserhöhungen bei seinen Starprodukten mit kumulierten Verlusten von 1 Milliarde Franken bis 2026. Roche befindet sich in einer ähnlichen Lage, obwohl seine Struktur zwischen Diagnostika und Pharmaprodukten stärker diversifiziert ist. Im ersten Halbjahr 2025 stieg der Umsatz um 7% auf 31 Milliarden Franken (zu konstanten Wechselkursen). Allein die Pharmasparte verzeichnet einen Umsatz von fast 24 Milliarden Franken, davon einen bedeutenden Anteil in Nordamerika. Hemlibra, Actemra und Phesgo sind mit einem Anstieg von 13%, 0% bzw. 50% gegenüber dem Vorjahr die wichtigsten Wachstumsmotoren. Das Core EBIT stieg um 11% auf 12 Milliarden Franken, die Marge lag mit 38,7% ebenfalls deutlich über dem Branchendurchschnitt. Allerdings ist Roche stärker als Novartis von Wechselkursschwankungen betroffen und rechnet in seiner Jahresprognose mit einem negativen Währungseffekt von 6% auf den Gewinn pro Aktie. Sollten spezifische Preismassnahmen für Medikamente wie Tecentriq, Kadcyla oder Vabysmo, deren Umsatz in den USA dominiert, in Kraft treten, könnten die Auswirkungen auf das Betriebsergebnis bis Ende 2026 insgesamt mehr als 1 Milliarde Franken betragen.
Die Massnahmen dienen sowohl der Bestrafung als auch der Abschreckung. Tatsächlich verdeutlicht die Behandlung der Schweiz eine Strategie der systemischen Abschreckung: Allen Handelspartnern, auch den loyalsten und offensten, soll signalisiert werden, dass die Trump-Regierung keine Überschüsse toleriert. Die multinationalen Pharmaunternehmen der Schweiz befinden sich in einer Zwickmühle zwischen ihrer historischen Wettbewerbsfähigkeit – die auf Qualität, Regulierung und F&E basiert – und einer neuen Machtlogik, in der die US-Industriepolitik ihre eigenen Prioritäten durchsetzt. Dieser Umschwung erfordert vom Bund eine doppelte Strategie: eine diplomatische, um einen direkten Kanal nach Washington aufrechtzuerhalten, und eine wirtschaftliche, um die geografische Diversifizierung seiner Absatzmärkte, insbesondere in Richtung Asien und Golf, zu beschleunigen, wie dies auch vom IWF empfohlen wird.