An Israels High Tech Branche hängen viele

Israel ist einer der bedeutendsten Standorte für digitale Hochtechnologie in der Welt. In der Krisenbewältigung hat man Erfahrung. Aber Start-Up-Finanzierungen könnten bald schwierig werden.

Die Erfolge des Raketenabwehrsystems «Iron Dome» im Kampf gegen die mörderische Hamas führen der ganzen Welt die Stärke Israels im Hochtechnologiesektor vor Augen. Die High-Tech-Grössen wissen das schon lange: Allein Intel beschäftigt rund 13’000 Menschen im Land, auch Microsoft, Google und SAP aus Deutschland sind in Israel von Bedeutung, nicht gerechnet die mehreren tausend einheimischen Start-Ups und mittelständischen Firmen. Das summiert sich. Die Technologiebranche steuert zum Bruttoinlandsprodukt ungefähr 18 Prozent und 30 Prozent zum Steueraufkommen bei. Gut ein Zehntel der Arbeitskräfte ist in diesem Sektor tätig. Zum Vergleich: Der Tourismus kommt nur auf einen Anteil von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung. International gilt Israel als Technologiezentrum, das in Ranglisten bald hinter dem Silicon Valley auftaucht.

Auch High-Tech-Spezialisten müssen ins Militär
Doch jetzt herrscht Krieg in dem hoch entwickelten Land. Unter den rund 360’000 eingezogenen Reservisten befinden sich viele aus der High-Tech-Branche mit ihren schwer ersetzbaren Arbeitskräften. In den Firmen werden so 10 bis 30 Prozent der Beschäftigten fehlen, schätzt der Technologieförderer Start-Up Nation Central in CNN Business. Das sorgt unter Beobachtern für Unruhe. «Wenn jetzt für ein halbes Jahr Hunderttausende junger Menschen in den Militärdienst einberufen werden, dann ist es natürlich ein Lieferkettenthema», meint etwa Gabriel Felbermayr, der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ungefähr die Hälfte der Exporte aus Israel entfallen laut CNN Business auf die Technologiebranche.

Wenn jetzt für ein halbes Jahr Hunderttausende junger Menschen in den Militärdienst einberufen werden, dann ist es natürlich ein Lieferkettenthema.

Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung

Unruhe mag aufkommen, doch Panik wäre fehl am Platz. Die bedeutenden Forschungs- und Entwicklungskapazitäten der High-Tech-Industrie unterliegen kurzfristigen Einflüssen vergleichsweise wenig. Und nicht nur das: Unternehmen in Israel sind Krisensituationen gewöhnt, deren Bewältigung gehört – überspitzt gesagt – seit langem zum Tagesgeschäft. Corona war ein weiterer Weckruf, der dazu führte, dass die meisten Firmen inzwischen Notfallpläne in ihren Tresoren liegen haben. Hierzu gehören das kurzfristige Verlagern von Arbeiten in Home Offices, betriebsinterne Alarmsysteme und die psychologische Betreuung traumatisierter Mitarbeiter. Der Krieg um Gaza verschärft die Anforderungen in ungeahnter Weise. Da sind eingespielte Verbindungen zu ausländischen Tochter- und Partnerfirmen von Nutzen, über welche die Hochtechnologiebranche rund um Tel Aviv verfügt. Temporäre Betriebsverlagerungen werden so leichter. In der aktuellen Situation zahlen sich zudem die engen Beziehungen zur Wirtschaft in den Vereinigten Staaten aus.

Investitionen könnten versiegen
Kurzfristig können die High-Tech-Firmen in Israel die Folgen des Krieges wohl mehr oder weniger bewältigen. Dauert er länger, droht die grösste Gefahr zunächst in der Finanzierung der Start-Ups, von denen viele stark wachsen, aber noch keine Gewinne abwerfen. «Investitionen aus Übersee dürften in den nächsten paar Wochen und Monaten schwächeln», zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Jon Medved, Chef von OurCrowd, einer der grössten Venture-Capital-Firmen im Land. Dies droht auch deswegen, weil der Zinsanstieg, die globalen Rezessionstendenzen, der Kollaps des bedeutenden Geldgebers Silicon Valley Bank in den USA, sowie der Streit um die Justizreform in Israel schon seit einiger Zeit Investoren verunsichern. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. 2021 zogen die Technologiefirmen die Rekordsumme von 26 Milliarden Dollar an. 2022 schrumpfte das Volumen auf 16 Milliarden Dollar, und dieses Jahr kamen bis Ende September nur vergleichsweise magere 5,6 Milliarden Dollar zusammen. Zukunftsvertrauen sieht anders aus. Die bevorzugten Branchen lassen immerhin aufhorchen. Es sind Cybersicherheit und künstliche Intelligenz (AI). Hier traut man den Israelis offenbar besonders viel zu.

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