Das Home Office ist überall

Auch nach der Pandemie wird das Home Office bleiben. Ganz im Gegenteil fächern sich die Arbeitsmodelle immer stärker auf.

Sage niemand, Corona habe keine langfristigen Veränderungen bewirkt. Im Kleinen will die Stadt Zürich nach den guten Erfahrungen während der Pandemie die vergrösserten Aussenflächen von Cafés und Restaurants zu einer Dauereinrichtung machen. Im Grossen zeigen sich die Veränderungen vor allem an zwei Stellen. Gesucht ist mehr Wohnraum, um allfällige Lockdowns besser überstehen zu können. Vor allem aber: Das Home Office hat sich von der Notmassnahme an Küchentischen und in Wohnzimmerecken zu einem festen Bestandteil des Arbeitslebens gemausert. Die Digitalisierung kommt hier wie gerufen. Schon lange vor Corona konnte man viele Freiberufler dabei beobachten, wie sie in Cafés mit einem Minimum an Konsum ein Maximum an Kreativität in ihre Laptops zu hämmern versuchten. Inzwischen ist die flexible Arbeit weit über diesen Kreis und auch die häuslichen Arbeitszimmer hinausgewachsen. Daher trifft das im Angelsächsischen gebräuchliche «Remote Work» die aktuelle Lage viel besser als unser «Home Office».

Ein Beitrag zur besseren Familienverträglichkeit
Das Nach-Pandemie-Muster, das sich vielerorts abzeichnet, beinhaltet zwei bis drei Tage «Heimarbeit» und den Rest im Büro. Das liegt auch im Trend hin zu einer besseren Familienverträglichkeit der Arbeit und geht in der Schweiz mit ihrem starken Dienstleistungssektor recht gut. Aber viele Angestellte hegen noch weitreichendere Wünsche. Auf der anderen Seite wollen zahlreiche, vor allem kleinere Firmen, ihre Büroflächen auf ein Minimum reduzieren. Die Vorstellungen, die sich mit der Arbeit ausserhalb der klassischen Arbeitsplätze verbinden, fächern sich immer mehr auf. Im Nebeneffekt können sie die sattsam bekannten Konflikte an den Arbeitsplätzen vermindern. Die derzeit bekannteste Erweiterung des Home-Office läuft unter dem Namen «Workation», eine Zusammensetzung der englischen Wörter Work und Vacation (Urlaub).

Die derzeit bekannteste Erweiterung des Home-Office läuft unter dem Namen «Workation», eine Zusammensetzung der englischen Wörter Work und Vacation (Urlaub).

Jürgen Dunsch

Dies geht am besten in Ferienhäusern. Daneben halten immer mehr Hotels entsprechende Angebote bereit, man blicke nur ins Internet. Selbst ein Campingplatz in Solothurn inseriert dort. Eine Voraussetzung ist aber ein starkes WLAN, sei die Lage des Hauses noch so idyllisch abgelegen. Spezielle Arbeitsinseln und unkomplizierte Verpflegungsmöglichkeiten bilden weitere Pluspunkte. Zielgruppe sind urbane Menschen zwischen Ende 20 und Anfang 50, denen der Trubel in der Stadt zu viel geworden ist, sagt Viktoria Dockenfuss vom «Hearts Hotel» am Rande des deutschen Ferienortes Braunlage im Harz. Hotelgast Christopher Vehrke sieht ein Potential für diese Art von Arbeit inklusive Duzi-Kultur. «Warum sollten manche Arbeitgeber nicht auf die Idee kommen, ihren Mitarbeitern einmal im Monat als Benefit Workation zu ermöglichen und vielleicht sogar zu bezahlen?» zitiert ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Ausgemacht ist das nicht, zu gross ist die Furcht der Firmen vor dem Heranzüchten globaler Nomaden unter Palmen. Gerade Schweizer Unternehmen tasten sich an neue Arbeitsmodelle nur sehr vorsichtig heran. Im September 2021 ermittelte die OECD zusammen mit dem Jobportal Indeed, dass der Anteil von Stellenanzeigen, in denen auf eine Home-Office-Möglichkeit hingewiesen wurde, mit gut sieben Prozent knapp unter dem Durchschnitt der 20 untersuchten Länder lag. Dann doch lieber die klassischen Seminare als Auszeit mit Arbeit, mögen sich die Firmen denken. Neben speziellen Hotels sind Ferienwohnungen als Arbeitsorte interessanter geworden. «Die Pandemie hat den Zweitwohnungsmarkt wachgeküsst», analysierte die Credit Suisse Anfang März. Damit sind auch Mieter gemeint. Durch Home Office oder hybride Arbeitsmodelle könnten Lieblingsorte auch ausserhalb der Hochsaison genutzt werden, meint Kai Enders, Regionalchef des Maklers Engel & Völkers, für Deutschland, Österreich und die Schweiz (DACH). Passend hierzu versucht das Onlineportal E-Domizil Ferienwohnungsbesitzer dazu zu bewegen, ihre Immobilien vermehrt auch zu vermieten.

Teamsitzung am Lagerfeuer
Auf der anderen Seite der neuen Arbeitszeitmodelle stehen jene Unternehmen, die zum allergrössten Teil oder ganz auf ein eigenes Büro verzichten. Die «Süddeutsche Zeitung» nennt hier als Beispiel das Beratungsunternehmen Doubleyuu, immerhin ein Betrieb mit 140 Angestellten. Büros? Fehlanzeige und das schon vor der Pandemie und inspiriert vom Silicon Valley. Physische Treffen gibt es weiterhin – aber nur alle paar Monate und an wechselnden Orten. «Wir sind schon zusammen ins Konzert gegangen, haben in der Jugendherberge zusammen am Lagerfeuer gesessen und eine Bootstour auf der Elbe gemacht», berichtet eine Teamleiterin. Auch Spaziergänge in kleinen Brainstorminggruppen hätten sich bewährt. Dagegen meint Milena Bockstahler vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, ein fester Ort, an dem man die Kolleginnen und Kollegen regelmässig trifft, erleichtere es, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln und sich als Teil des Unternehmens zu verstehen. Bockstahler wörtlich: «Ein Büro ist auch so etwas wie ein Heimathafen». Und ein Mittel gegen zu viel Fluktuation, ist man versucht zu ergänzen. Die Frage, wie man Unternehmenskultur vermitteln und die Überzeugung stärken könne, dass alle an einem Strick ziehen, stellt sich besonders bei all jenen, die eines Tages als Expats in ausländischen Tochtergesellschaften tätig werden sollen. Das geht wohl kaum, wenn sie zuvor Quasi-Selbständige waren, die daheim oder sonstwo für das Mutterhaus arbeiteten.

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