Satire: Inside Bank Rupp & Cie – Morgenpost

Inside Bank Rupp & Cie (bæŋkrʌptsi) ist eine satirische Kolumne und handelt vom Innenleben einer Bank und anderen Unzulänglichkeiten des Lebens. Heute zum Thema Mitarbeiterkritik ...

Normalerweise landete anonyme Post direkt im Rundordner von Ivo Knecht. Aber die persönliche, im Übrigen sehr höfliche Anrede liess ihn auf einen schmeichelhaften Inhalt schliessen, weshalb er das Schreiben zunächst ungelesen im Eingangsfach ablegte. Nicht, dass der Head Private Banking in seinem Leben stets und überall Bewunderung gesucht hätte. Aber als Amüsement liess Knecht derlei Huldigungen nicht ungern über sich ergehen.

Es war späterer Nachmittag, als er, die Füsse lässig auf den Schreibtisch gelegt, den Brief aus reinem Zeitvertreib, genau genommen während einer Konferenzschaltung, zur Hand nahm und darin zu lesen begann.

Nach ein paar einleitenden, wie gesagt durchaus freundlichen Worten, folgte eine Auflistung verschiedener Begriffe und Definitionen, deren Sinn ihm verschlossen blieb, bis er am Schluss des Schreibens bei einem Gleichheitszeichen landete, nach dem in Fettschrift das Wort Narzisst und in Klammern, der Begriff pathologisch zu lesen war. Darauf folgte ein weiteres Gleichheitszeichen und dann sein verunstalteter Name: Ivo Schnurri Knecht.

Zutiefst beleidigt zerknüllte er das Papier und warf es in Richtung Papierkorb. Dann bellte er irgendetwas Unverständliches ins Mikrofon, bevor er sich endgültig auf stumm schaltete.

Er brauchte einen Augenblick, bis er mental und körperlich in der Lage war, das Schreiben vom Boden aufzuheben, um die ungerechtfertigten Vorwürfe zu korrigieren, die er nicht auf sich sitzenlassen wollte. Nicht sitzenlassen konnte! Vor allem das Wort pathologisch machte ihm zu schaffen.

«Übertriebenes Wichtigkeitsgefühl», grummelte er als erstes. Knecht musste nach kurzem Nachdenken grinsen, weil wichtig fühlte er sich nicht, wichtig war er. Unbestritten, bei dem Bonus!

«Phantasien von grenzenlosem Erfolg, Macht und Ruhm.» Auch bei diesem Vorwurf musste Knecht schmunzeln. Nicht wegen des Beschriebs, sondern weil es über ihm in der Tat nichts mehr gab. Ausser vielleicht den Himmel und dieses Auslaufmodell Spalinger.

«Glaube an die eigene Einzigartigkeit.» Natürlich musste er das nicht glauben. Dass jeder Mensch einzigartig ist, zumindest gentechnisch betrachtet, das wusste man. Die einen halt einfach ein bisschen einzigartiger als die anderen. Aber das war nun wahrlich nichts Neues. Und schon gar nichts Negatives!

«Erwartung übermässiger Bewunderung.» Er musste den Passus zweimal lesen, bis er ihn halbwegs verstand. Dann tippte er sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. «Tubel!», sagte er in giftigem Ton. Ganz sicher wartet einer wie Knecht nicht, und schon gar nicht auf seine Bewunderer, dafür hatte er weder Zeit noch Geduld – und schon gar keine Lust. Musste er ja auch nicht. Die waren schon da. Knecht wählte die Menschen schliesslich danach aus.

«Nutzt andere aus, um eigene Ziele zu erreichen. Blödsinn, absoluter Blödsinn!», schimpfte er jetzt höchst aufgebracht. Und das Schlimmste daran war: Er konnte nicht einmal den Gegenbeweis antreten. Bösch, Stalder und auch Dr. Meister waren mittlerweile alle nicht mehr da.

«Ausgeprägtes Neiddenken.» Knecht winkte heftig ab. Einen Moment lang schien es gar, als würde er sich krampfhaft aus dem Sessel zwängen. Auf wen sollte er, Ivo Knecht, wohl neidisch sein? Vorausgesetzt, das Leistungsprinzip käme endlich zum Tragen. Dann müsste er sich gedanklich auch nicht mehr mit diesen völlig überschätzten Schwätzern herumschlagen.

«Fehlende Empathie? Verdammter Schwachsinn!», polterte Knecht. Mit diesem Vorwurf tat er sich besonders schwer. Er, der sich geschäftlich und auch privat bei jeder Unterhaltung einbrachte. Und das stets mit einer eigenen, weitaus wichtigeren, besseren, dramatischeren oder, wenn es sein musste, auch schnelleren Geschichte.

«Arrogantes Verhalten.» Knecht und arrogant, da musste er – nach einer kurzen Pause – aber wirklich lachen. Hatte ihm übrigens auch noch nie jemand gesagt!

«Vollidiot», schob er zum Schluss nach.

Dann startete er seine eigene Recherche. Hektisch, getrieben von seinem sensiblen Naturell, durchforschte er das Internet. Hin und her surfte er, bevor er nach längerem, planlosem Suchen auf einer einschlägigen Website zum Stillstand kam.

Knecht murmelte den massgeblichen Satz mehrmals leise vor sich hin, ehe er ihn ein wenig lauter und deutlich selbstsicherer aussprach: «Leidet unter seinem Verhalten», zitierte er aus einer wissenschaftlichen Studie.

Obschon es ihn irgendwie ärgerte, dass er für einmal das Anforderungsprofil nicht erfüllte, schaute er erleichtert von seinem Bildschirm auf und lächelte. Dann nahm er einen letzten Schluck vom kalten Espresso Macchiato und lehnte sich in seinem wuchtigen Grand Executive Sessel gedankenversunken zurück.

Nein, leiden tat er ganz gewiss nicht unter Ivo Knecht, da war er sich hundertprozentig sicher.

Das taten die anderen.

Hauptbildnachweis: Walter Hollenstein