Bank Rupp & Cie – Projekt Paracelsus
Inside Bank Rupp & Cie ist eine satirische Kolumne und handelt vom Innenleben einer Bank und anderen Unzulänglichkeiten des Lebens. Heute zum Thema «Projekt Paracelsus» oder wie Fremdsprachen einen im (Geschäfts-) Leben fordern können.
«Sind Sie bereit?», fragte Finanzchef Dr. Heiko Schmidt in gewohnt barschem Tonfall, während Roland Müller geräuschvoll an seinem Headset hantierte. Es bedurfte etwas Zeit, bis er Schmidt mit selbstzufriedenem Gesichtsausdruck und hochgestrecktem Daumen durch die Kamera zunickte.
«Also, dann lassen Sie uns beginnen. Wo stehen wir im Projekt Paracelsus?», fragte Schmidt den langjährigen Abteilungsleiter der Bank Rupp & Cie.
Müller musste nachdenken. Aus dem Stehgreif konnte er nur wenig mit dem Stichwort anfangen. Nein, im Grunde sagte der Name ihm überhaupt nichts, und er begann, nervös und ziellos in seinem Notizbuch zu blättern.
«Sieht deutlich älter aus …», flüsterte eine weibliche Stimme im Hintergrund.
«P wie Prozessoptimierung», half Schmidt nach, worauf Müller zügig eine Antwort parat hatte.
«Ah …», erwiderte er, «alles klar.» Dabei verzog er sein Gesicht zu einer künstlich fröhlichen Grimasse.
«Paracelsus», wiederholte der Finanzchef gänzlich spassfrei.
«Genau!», antwortete Müller, während er verzweifelt versuchte, sein Lächeln beizubehalten.
«Wo exakt stehen wir im Projekt?», fragte Schmidt jetzt noch etwas präziser, ohne Müllers Lächeln auch nur ansatzweise zu erwidern.
«Schon ziemlich weit», antworte der Chef Rechnungswesen schliesslich.
«Das heisst?»
«Wenn nichts mehr abverheit, sind wir voll auf Kurs, denke ich», führte Müller aus.
«Was meinen Sie mit abeverheit?», versuchte Schmidt sich in Schweizerdeutsch. Er hatte in den letzten Wochen privat und geschäftlich doch das eine oder andere Wort aufgeschnappt, und die Frage, ob er den hiesigen Dialekt verstehe, beantwortete er inzwischen mit einem unmissverständlichen Ja.
«Nichts», antwortete Müller, dem diese Art von Nachfragen überhaupt nicht zusagten. «Mir ist zurzeit zumindest nichts Gegenteiliges bekannt», ergänzte er sicherheitshalber, weil das Projekt, soweit er sich erinnerte, doch schon einige Monate auf Eis lag. Andere, kleinere und weniger mühsame Aufgaben und Fragestellungen, Seminare und Sonstiges hatten sich auf der Prioritätenliste vorgedrängt.
«Und das mit dem unmodischen Outfit stimmt auch», hörte man Müllers Gattin Alice nun flüstern, worauf dessen linke Hand bereits zum zweiten Mal eine unnatürliche, fortwedelnde Bewegung machte.
Es war der Moment, als Roland Müller trotz angenehmer Zimmertemperatur erstmals mit dem Hemdärmel beiläufig kleine Schweissperlen von seiner Stirn wischte.
«Will heissen?» Schmidt liess nicht locker.
«Ich habe jedenfalls nicht Schiss, dass wir den gesetzten Zeitplan nicht einhalten», gab Müller prompt zur Antwort.
«Was haben Sie?»
«Wir schaffen das schon bis Ende Jahr», beschwichtigte er seinen Vorgesetzten, der ihn via Bildschirm mittlerweile höchst unfreundlich anstarrte.
«Können Sie das vielleicht noch etwas konkretisieren?», löcherte Schmidt ihn unvermindert weiter, «… gemäss Plan sollte das Projekt bekanntlich im Oktober abgeschlossen sein!».
Müller war wirklich nicht zu beneiden. Aber es hätte ihn weitaus blöder treffen können. Die ihm übertragenen Projekte Aare und Spatz liefen nämlich noch deutlich harziger, und an das outgesourcte und kostenmässig völlig aus dem Ruder gelaufene Projekt Barcelona mochte er in diesem Moment schon gar nicht denken.
«Ich bin mir sicher, wir werden das ohne grösseren Chlapf bis dann zu einem Abschluss bringen», antwortete er voller Zuversicht.
«Hä?», sagte Schmidt schroff und hielt dabei sein Gesicht so nahe an die Kamera, dass man meinen konnte, er wolle persönlich im zum Büro umfunktionierten Bügelzimmer der Familie Müller vorbeischauen.
«Der ist aber richtig mühsam!», flüsterte Alice schon wieder, ohne dass Müller darauf reagierte.
«Findest du etwa nicht?!», stiess sie nach.
Die verschiedenen auf ihn einwirkenden Kräfte erschöpften Müller, und er dachte mit Wehmut daran, wie angenehm unkritisch doch die Besprechungen mit dem vormaligen Finanzchef gewesen waren. Eine Hilfe war diese Erinnerung selbstverständlich nicht, denn sowohl der aufsässige Schmidt wie auch Alice erwarteten von ihm hier und jetzt eine Antwort. Plötzlich war ihm, als könne er vor lauter Anspannung nicht mehr klar denken.
«Nun sag schon!», drängte Alice ihn erneut, weil er ihre Frage noch immer nicht beantwortet hatte.
«Und wie der mir auf den Sack geht!», rutschte es Müller halblaut und wenig elegant heraus. Man konnte auf dem Bildschirm gut sehen, wie er entnervt in Richtung Türe schaute.
«Was haben Sie soeben gesagt?» fuhr der Finanzchef ihn an.
«Tüte ... meinte ich, natürlich», korrigierte Müller sich umgehend, derweil sein Blick langsam zur Kamera zurückkehrte.