Die Rezession kommt!
In unserem kürzlich veröffentlichten langfristigen Ausblick haben wir argumentiert, dass eine Rezession in den entwickelten Volkswirtschaften in den nächsten zwei Jahren eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich ist. Dies spiegelt die geopolitischen Turbulenzen, die hartnäckig hohe Inflation und die Entschlossenheit der Zentralbanken, diese Inflation zu bekämpfen, wider. Dies erhöht das Risiko von Finanzunfällen.
Einen Monat nach der Veröffentlichung dieser Einschätzungen sind sie immer noch zutreffend. Mehrere Entwicklungen deuten sogar darauf hin, dass die Rezession früher eintreten könnte. Zudem dürfte der Abschwung länger anhalten – als eine Folge der Ausgangsbedingungen mit hoher Inflation. Diese schränkt die üblichen antizyklischen Massnahmen der Zentralbanken und Finanzbehörden ein (man denke an eine flache L-Form statt der tiefen V-förmigen Rezession wegen der Corona-Pandemie). Tatsächlich erwarten wir nun in mehreren entwickelten Märkten inklusive der USA einen Rückgang des realen BIP über mehrere Quartale ab diesem Jahr. Es dürfte eine Phase unterdurchschnittlichen Wachstums folgen. Für die Entwicklung unserer Sichtweise gibt es drei Gründe.
Erstens haben sich hochfrequente Wirtschaftsindikatoren sowohl in den USA als auch anderswo verschlechtert. Und obwohl wir nicht glauben, dass die Volkswirtschaften der Industrieländer bereits in eine Rezession eingetreten sind, zeigen die Indikatoren der realen Aktivität eindeutig in diese Richtung. Erst letzte Woche fielen die europäischen Einkaufsmanager-Indizes, die in der Regel den offiziellen Wirtschaftsindikatoren vorausgehen, ein Niveau, das in der Vergangenheit mit einem Rückgang des realen BIP-Wachstums einherging. Und während das reale BIP in den USA im ersten Quartal zu schrumpfen begann und verschiedene Indikatoren der BIP-Entwicklung auf eine weitere Kontraktion im zweiten Quartal hindeuten, vermuten wir, dass das Wirtschaftsforschungsinstitut National Bureau of Economic Research (NBER) erst später im Jahr einen Abschwung verkünden wird.
Tiffany Wilding, US Economist, PIMCOWir vermuten, dass das Wirtschaftsforschungsinstitut National Bureau of Economic Research (NBER) später im Jahr einen Abschwung verkünden wird.
Nebenbei bemerkt: Das NBER – das offizielle Schiedsgericht für die Feststellung einer Rezession in den USA – verwendet eine umfassendere Definition für eine Rezession als die Faustregel von zwei aufeinander folgenden Quartalen mit rückläufigem BIP, die viele Wirtschaftskommentatoren diskutieren. Insbesondere sucht das NBER nach einem «signifikanten Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität» anhand verschiedener Kennzahlen. Dazu zählen das reale Gesamteinkommen, der Konsum, Verarbeitendes Gewerbe und Industrieproduktion sowie die Beschäftigung auf der Grundlage der Haushalts- und Betriebsumfragen. Bislang sind die Signale gemischt. In der Tat waren vier der sechs Indikatoren (realer Konsum, Arbeitsmarktumfrage, Umsätze im Verarbeitenden Gewerbe und im Handel sowie Industrieproduktion) im Mai und/oder Juni leicht rückläufig gegenüber dem Vormonat. Das von den Umfragen gemeldete Lohnwachstum war stark, was darauf hindeutet, dass die US-Arbeitsmärkte noch nicht in die Rezession eingetreten sind. Andere Frühindikatoren hingegen – Arbeitslosenversicherungsanträge, die Umfrage des Conference Board zur Wahrnehmung der aktuellen Arbeitsmarktbedingungen der privaten Haushalte (der so genannte Indikator «Arbeitsplätze im Überfluss vs. schwer zu bekommen») und die den Einkaufsmanagerindizes zugrunde liegenden Beschäftigungsindikatoren – deuten alle darauf hin, dass die Arbeitslosenquote künftig steigen wird.
Zweitens waren die inflationären Angebotsschocks heftiger als ursprünglich erwartet. Geopolitische Turbulenzen und der Krieg in der Ukraine haben Russland dazu veranlasst, die Öl- und Gaslieferungen in die EU stark zu reduzieren. Erst letzte Woche wurde die Nord-Stream-Pipeline, die russisches Gas nach Deutschland liefert, nach einer Wartungsphase mit nur 40 Prozent der Pipelinekapazität wieder in Betrieb genommen. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Berichts wurde die Kapazität auf 20 Prozent reduziert, nachdem es aufgrund der westlichen Sanktionen zu Verzögerungen bei der Lieferung einer Turbine gekommen war. Unsere Analysten erwarten, dass die Gasflüsse weiter niedrig bleiben werden. Das wird entweder zu obligatorischen Gasrationierungen in Deutschland und anderen osteuropäischen Ländern führen, die in hohem Masse von russischem Gas abhängig sind, und/oder zu einer Lockerung der Preiskontrollen der regulierten Versorger. Höhere Preise könnten die Nachfrage nachhaltig ausbremsen. Da in Deutschland und in der gesamten EU Gas verwendet wird, um Fabriken mit Energie zu versorgen, werden höhere Preise und Rationierungen dazu führen, dass die Inputkosten weiter steigen. Das wird die Wirtschaftstätigkeit in der gesamten Versorgungskette bremsen. Insbesondere Unternehmen aus der energieintensiven chemischen Industrie wird dies betreffen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass eine vollständige Abschaltung der russischen Gasversorgung ab Mitte Juli das europäische BIP um mehr als zwei Prozentpunkte schmälern könnte. Für Länder, die stark abhängig von russischem Gas sind, dürften die Auswirkungen noch grösser sein.
Tiffany WildingDa in Deutschland und in der gesamten EU Gas verwendet wird, um Fabriken mit Energie zu versorgen, werden höhere Preise und Rationierungen dazu führen, dass die Inputkosten weiter steigen. Das wird die Wirtschaftstätigkeit in der gesamten Versorgungskette bremsen.
Während wir erwarten, dass der Status quo von derzeit 40 Prozent der Pipelinekapazitäten beibehalten wird, scheint Europa noch in diesem Jahr in eine inflationäre Rezession zu geraten. Ebenso besorgniserregend ist, dass aufgrund der Verflechtung der globalen Lieferketten der europäische Versorgungsschock in den USA zu spüren sein wird. Denn diese liefern 30 Prozent ihrer Ausfuhren nach Europa, während sie 25 Prozent der Importe von EU-Produzenten beziehen. Auch in der übrigen Welt wird er zu spüren sein. Während eine gewisse Importsubstitution weg von Europa die Auswirkungen auf den Rest der Welt mildern wird (China wird wahrscheinlich am meisten profitieren), werden Branchen wie die Automobilindustrie, die bereits unter akuten Kapazitätsengpässen litten, mit grosser Wahrscheinlichkeit mit weiteren Verzögerungen bei den Vorprodukten und höheren Kosten zurechtkommen müssen.
Drittens erweist sich die Inflation allgemein als hartnäckiger. Das bedeutet, dass die Zentralbanken möglicherweise Rezessionen und nicht nur eine Periode unterdurchschnittlichen Wachstums herbeiführen müssen, um die Preisstabilität wiederherzustellen. Dies scheint vor allem in den USA der Fall zu sein, wo Mitglieder der Fed angedeutet haben, dass eine restriktive Geldpolitik notwendig ist. Obwohl die Gesamtinflation in den kommenden Monaten aufgrund des jüngsten Rückgangs der Öl- und Agrarpreise zurückgehen wird, hat sich der Anstieg bei Löhnen und Mieten sogar beschleunigt. In diesen zwei Bereichen sind die Preistrends tendenziell beständiger. Noch beunruhigender ist, dass sich die Inflation angesichts der Verlangsamung des Wachstums und der Verschärfung der finanziellen Bedingungen allgemein beschleunigt. Dies deutet darauf hin, dass eine weitere Straffung der Geldpolitik erforderlich sein könnte, um die Preisstabilität wiederherzustellen.
Was sind die allgemeineren Auswirkungen?
Ausgehend von einer hohen Inflation werden die Konturen dieser Rezession wahrscheinlich ganz anders aussehen als die in der jüngsten Vergangenheit. Erhöhte Inflation wird wahrscheinlich die übliche antizyklische Reaktionsmöglichkeiten der Zentralbanken und der Finanzbehörden begrenzen (mit dem Vorbehalt, dass verschiedene europäische Regierungen nach Möglichkeiten suchen, die höheren Energiekosten für einkommensschwache Haushalte zu subventionieren), zu höheren Zinssätzen beitragen und ganz allgemein eine Verschärfung der finanziellen Bedingungen zur Wiederherstellung der Preisstabilität erfordern. All dies deutet darauf hin, dass der Abschwung selbst langsamer verlaufen könnte, aber länger andauert und eher in eine Periode mit schleppendem Wachstum unter dem Trend übergehen wird. In dieser wird die reale Wirtschaftstätigkeit eingeschränkt und bleibt anfällig für wirtschaftliche Schocks, bis die Inflation sich schliesslich abschwächt. Dies ist natürlich kein gutes Umfeld für Finanzanlagen, und mittelfristig könnten die erhöhten Finanzierungskosten die Arten von Investitionen einschränken, die notwendig sind, um die Kapazitätsengpässe zu beheben.
Was die kurzfristigen Auswirkungen der Fed-Sitzung in dieser Woche betrifft, so sind die Rezessionsrisiken erhöht. Fed-Vertreter signalisierten, dass ein weiterer Zinsschritt von 75 Basispunkten (BP) wahrscheinlich ist, und wir würden eine grössere Anpassung nicht ausschliessen. Es besteht Unsicherheit über die genaue Höhe des Leitzinses, die einer neutralen Geldpolitik entspricht (d.h. einer Politik, die weder restriktiv noch akkommodierend ist). Klar ist aber, dass das derzeitige Niveau von 1,6 Prozent immer noch akkommodierend ist und immer weniger mit der hohen Inflation übereinstimmt, die eine restriktive Politik erfordert. In der Tat könnte die umsichtigste Politik eine schnelle Anpassung der finanziellen Bedingungen auf ein Niveau erfordern, das dem Risiko entgegenwirkt, dass noch höhere Zinssätze nötig sein könnten, um das aktuelle Inflationsproblem anzugehen – d.h. eine Anhebung um 100 BP, um den Leitzins auf knapp über 2,5 Prozent zu bringen, was der von der Fed geschätzten langfristigen neutralen Rate entspricht. Unabhängig davon, was in dieser Woche beschlossen wird, erwarten wir, dass die Fed ihre Zinsprognose für 2022 revidieren wird, wenn sie im September die neue Konjunkturprognose veröffentlicht. Sie dürfte die beiden zuvor für 2023 prognostizierten Zinserhöhungen vorziehen und damit die Politik früher und länger restriktiv halten länger als bisher prognostiziert.