Der Finanzmarkt ist aktuell zu optimistisch bezüglich den US-Wahlen

Joe Biden dürfte nach heutigem Stand der Polls die US-Präsidentschaftswahl am 3. November für sich entscheiden. Gemäss aktuellen Umfragen hat er über 9% Vorsprung auf Donald Trump, und die Quoten der Wettbüros sprechen eine noch deutlichere Sprache. Ein Sieg von Trump würde dem grössten US-Wahlkampf-Umfragemessfehler aller Zeiten gleichkommen.

Den prognostizierten deutlichen Vorsprung hat Joe Biden mehrheitlich den Frauen zu verdanken, so unterstützen gemäss einer Umfrage von CBS News 56% der Frauen Joe Biden, während nur 39% für Trump sind. Der «Gender Gap» ist damit heute mit 17% deutlich grösser wie anno 2016 bei Clinton vs. Trump, als dieser 11% betrug [1].

Im allgemeinen Getöse um die Präsidentschaftswahlen geht fast unter, dass im November zeitgleich auch die Kongresswahlen stattfinden, bei denen ein Drittel der Senatssitze neu vergeben wird. Die aktuellen Umfragewerte weisen auf eine enge Entscheidung mit leichten Vorteilen für die Demokraten hin. Ein Machtwechsel zugunsten der Demokraten im Präsidentenamt und im Senat würde die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für US-Unternehmen bedeutend verändern. An erster Stelle zu nennen ist hier Bidens Anliegen, die Unternehmenssteuersätze zu erhöhen und die Steuerpflicht auszuweiten, was die Privatwirtschaft belasten und bei Unternehmen für sinkende Kapitalrenditen (Return on Equity sowie Return on Invested Capital) sorgen würde. Positive Auswirkungen auf die Märkte hätten demgegenüber die zu erwartende Ausweitung der Fiskalausgaben sowie versöhnlichere internationale Beziehungen.

Der Effekt auf den Gesamtmarkt ist somit nicht eindeutig, wobei – vereinfacht ausgedrückt – Trump wohl besser für den US-Aktienmarkt und Biden besser für die globalen Aktienmärkte wäre. Die Vergangenheit hat zudem gezeigt, dass der Effekt der US-Präsidentschaftswahl auf den Gesamtmarkt überschätzt wird. In der Vergangenheit sind die Aktienmärkte nach US-Wahlen, und zwar unabhängig vom Wahlausgang, mittelfristig stets gestiegen. Kurzfristig reagierten die Märkte bei geteilten Machtverhältnissen allerdings deutlich positiver [2].

Der Effekt auf den Gesamtmarkt ist somit nicht eindeutig, wobei – vereinfacht ausgedrückt – Trump wohl besser für den US-Aktienmarkt und Biden besser für die globalen Aktienmärkte wäre.

Nicola Grass, CFA, Asset Manager Active Solutions Swisscanto

Die starke Performance des US-Aktienmarkts in den letzten Wochen deutet darauf hin, dass sich die Finanzmärkte entweder auf eine geteilte Macht (Biden Präsident & Republikaner mit Mehrheit im Senat) einstellen oder sich lediglich auf den Fiskalaspekt konzentrieren. Wir halten diesen Optimismus für übertrieben. Zudem wird Donald Trump kaum am 3. November seine Niederlage eingestehen, weshalb sich das Prozedere bis Januar hinziehen könnte. Diese Unsicherheit wäre toxisch für den US-Aktienmarkt.

Dass Biden für eine Ausweitung der staatlichen Gesundheitsversicherung, für umweltpolitische Lenkungsabgaben und für eine höhere Regulierungsdichte steht, ist mittlerweile bekannt. Der Markt scheint dies nun grösstenteils eingepreist zu haben, so haben z.B. Aktien aus dem Bereich erneuerbare Energien den traditionellen Energieindex dieses Jahr um sagenhafte 125% outperformt [3]. Wer bis anhin also noch nicht in die klassischen Biden-Plays (Industrie, Small Caps, Green) investiert hat, der sollte nun wohl eher nicht mehr auf diesen Zug aufspringen.

[1] https://www.usnews.com/news/el...

[2] BCE Research, Geopolitical Strategy, "Blue Trifecta: Broad Equity Market and Sector Specific Implications", July 13 2020

[3] S&P Global Clean Energy Index vs. S&P Global Energy Index

Für Nicola Grass von Swisscanto Invest ist die aktuelle Euphorie am US-Aktienmarkt etwas übertrieben.