Ein Jahr Krieg in der Ukraine – Konsequenzen und Auswirkungen
Inzwischen ist es über ein Jahr her, seit Russland die Ukraine angegriffen und einen Krieg mit globalen Folgen ausgelöst hat. Aber was sind denn die bisher feststellbaren Konsequenzen dieses Krieges, welches sind die Auswirkungen? Auch wenn die Anfänge des Konflikts bis zum Jahr 2015 und je nach Sichtweise sogar darüber hinaus reichen, sind erst in den letzten zwölf Monaten die Auswirkungen dieses Krieges für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte klarer geworden.
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist eine grosse menschliche Tragödie und wird das Verhältnis der Nationalstaaten in und ausserhalb von Europa für lange Zeit prägen. Ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind bereits verschiedene Tendenzen und Konsequenzen zu konstatieren, die nicht übersehen werden sollten, weil sie sowohl für die Wirtschaft als auch für die Finanzmärkte von Bedeutung sind.
Nicht allein aufgrund, aber doch auch zum guten Teil wegen dieses Krieges hat sich die globale Inflation erhöht. Das Niveau von Produzenten- und Konsumentenpreisen ist deutlich gestiegen, vor allem bei durch den Krieg begründeten Mangellagen bei Düngemitteln, Industriemetallen, Energierohstoffen wie Erdöl, Diesel und Erdgas, bei Halbleitern und Nahrungsmitteln. Die Konsequenz ist eine historisch überdurchschnittliche Volatilität bei allen Anlageklassen und eine auch bei den Zentralbanken deutlich erhöhte Unsicherheit über die aus politischen Gründen viel weniger als früher prognostizierbaren Zinsentwicklungen.
Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki BaumannWichtige Konsequenzen des Krieges in der Ukraine sind unter anderem höhere Militärausgaben und eine grössere Rolle des Staates in der Wirtschaft.
Die zweite Konsequenz des Krieges ist, dass die Ausgaben für Militär und Verteidigung global und besonders in Europa ansteigen und damit relativ gesehen weniger Geld für andere Ausgaben zur Verfügung steht oder aber die Staatsverschuldung wegen dieser zusätzlichen Regierungsausgaben noch grösser wird. Die Finanzierung dieser Staatsausgaben durch mehr Emissionen von Anleihen erhöht das Obligationenangebot und damit das globale Zinsniveau im langfristigen Vergleich. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach 1990 ging man im Westen von einer friedlicheren Zusammenarbeit mit den östlichen Grossmächten China und Russland aus und in den Finanzmärkten begann unter dem Motto einer «Friedensdividende» eine Zeit von geringeren Ausgaben für Militär und Verteidigung, steigenden Konsumausgaben, mehr Prosperität und höheren Aktienbewertungen. Diese Zeiten sind leider vorbei, wie wir sehen.
Die dritte Konsequenz ist die zunehmende Rolle des Staates in der Wirtschaft. Unter dem Titel nationaler Sicherheit oder auch Flüchtlingswesen mischt sich der Staat wieder sehr stark in die Marktwirtschaft ein und behindert den Wettbewerb und damit wohl auch Produktivität und Profitabilität, denn Auflagen und Kosten steigen. Daher sollte der Fokus bei der Aktienwahl noch mehr als früher auf Unternehmen mit guter Marktstellung und stabiler Profitabilität, aber auch nicht zu hoher Verschuldung aufgrund der gestiegenen Zinsen liegen.
Viertens hat sich die geopolitische Landschaft verändert. Die NATO hat sich als westliche Verteidigungsallianz etabliert und dürfte expandieren. Deutschland kann in Europa weniger als früher Abseits stehen und muss sich bei politischen Entscheidungen und vor allem Militärausgaben innerhalb der NATO viel stärker beteiligen als zu früheren Zeiten der Ostpolitik.
Als fünfte Konsequenz zeichnet sich immer deutlicher eine Verschlechterung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den USA und China ab. Die von China vor einem Jahr kurz vor Kriegsbeginn deklarierte strategische Partnerschaft mit Russland hat dazu geführt, dass der bilaterale Handel zwischen China und Russland letztes Jahr mit 190 Miliarden US-Dollar einen Höchststand erreicht hat, unter anderem weil China zusammen mit Indien Russland Erdöl abnimmt und so der Kriegsfinanzierung hilft.
Und schliesslich dürfte eine Konsequenz des Krieges auch eine Deglobalisierung der Weltwirtschaft bzw. eine zunehmende Fragmentierung der globalen Lieferketten und mehr Orientierung auf eine näher gelegene und politisch weniger unsichere Produktion von Güterkomponenten und Rohstoffen sein. Handel und Energieversorgung werden vermehrt als politische Druckmittel oder Waffen benutzt, ebenso Direktinvestitionen und Finanzierung. Auch die Sicherheit der Nahrungsmittelproduktion wird wichtiger. All diese Wirkungen machen das Anlegen schwieriger und erhöhen die Volatilität aller Anlageklassen – wohl auf längere Zeit hinaus.