Let's face it: Rohstoffrealitäten

Rohstoffwerte zeigten 2022 eine weit bessere Performance als Anleihen und auch als Technologiewerte der sogenannten «New Economy». Dies hat sich 2023 und 2024 zwar wegen des Potenzials der generativen künstlichen Intelligenz geändert, doch Rohstoffwerte beginnen sich zu erholen. Bereiche dieser «Old Economy» wie eben Rohstoffe oder auch «Value» als Aktienstil generell könnten von dem weiter ungelösten Angebotsdefizit bei Rohstoffen, die für Weltwirtschaft und Elektrifizierung wichtig sind, gestützt werden. Der seit längerem beobachtbare Abbau von Investitionen beispielsweise für Öl- oder Kupferproduktion zeigen, dass Rohstoffe trotz Volatilität ihren Platz in einer Anlageallokation verdienen.

In den globalen Rohstoffmärkten ist seit vielen Quartalen die Diskussion um eine steigende oder sinkende Nachfrage zum Hauptthema geworden. Die Optimisten verweisen auf eine wieder überraschend steigende Nachfrage der USA nach Öl und anderen Rohstoffen. Die Pessimisten befürchten wegen Rezessionsrisiken in der Eurozone oder unterdurchschnittlicher Konjunktur in China hingegen sinkende Nachfrage und Rohstoffpreise. Es ist aber noch wichtiger, auf die Angebotssituation bei Rohstoffen zu achten. Denn nicht nur der Ukrainekrieg hat gezeigt, dass eine relativ niedrige Produktion und Sanktionen die Rohstoffpreise nach oben beeinflussen und so die Inflation historisch überdurchschnittlich halten können. Dabei spielt die Tatsache eine Rolle, dass in den letzten Jahren aus verschiedenen Gründen zu wenig in die Rohstoffförderung investiert wurde. Umwelt- und Klimaschutz, Dividendenpriorisierung und ein mangelndes Investoreninteresse an Öl, Gas und Industriemetallen dürften dabei einige der Gründe für sinkende Investitionen in Rohstoffprojekte gewesen sein. Das Resultat ist ein immer klarer sichtbarer Mangel bei den für die nationale Sicherheit der Staaten und für Konsumenten und Unternehmen bedeutsamen Rohstoffen. Die Energiemangellage beim Erdgas in Europa hat dies 2022 exemplarisch gezeigt. Trotz wieder gestiegener Rohstoffpreise liegen die realen Kapitalinvestitionen sowohl bei Erdöl wie auch beim für die Elektrifizierung so wichtigen Kupfer so tief wie seit rund 15 Jahren nicht mehr.

Trotz wieder gestiegener Rohstoffpreise liegen die realen Kapitalinvestitionen sowohl bei Erdöl wie auch beim für die Elektrifizierung so wichtigen Kupfer so tief wie seit rund 15 Jahren nicht mehr.

Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki Baumann

Selbstverständlich können Konjunkturdaten und die daraus interpretierten Nachfrageerwartungen kurzfristig das Niveau von Rohstoffpreisen bewegen. Was aber mittel- bis langfristig wichtiger wird, ist, ob es z.B. zu einem für den langfristigen Elektrifizierungsbedarf genügenden Produktionsausbau bei wichtigen Metallen und anderen Rohstoffen kommt oder eben nicht. Derzeit sind die meisten Rohstoffe von einem absehbaren Angebotsdefizit gekennzeichnet, also von zu wenig Produktionskapazitäten im Verhältnis zur langfristig absehbaren Nachfrage. Dadurch dürfte sich ein Abbau bestehender Lager in für Transportwirtschaft, Klimaschutz und andere Teile der Weltwirtschaft wichtigen Bereichen abzeichnen. Dies könnte zu neuen Engpässen und die Inflation betreffenden Schwankungen bei Rohstoffpreisen führen. Denn bei einem weiterbestehenden Produktionsdefizit bleiben Rohstoffe besonders verwundbar für kurz- bis mittelfristige Veränderungen nicht nur der Nachfrage, sondern auch des kurzfristig verfügbaren Angebots, was z.B. Spannungen im Nahen Osten wieder zeigen könnten. Dies dürfte sich wohl erst dann ändern, wenn global realisiert wird, dass es zwar nicht an Kapitalinvestitionen für Technologie, d.h. für die «New Economy» mangelt, aber an Investitionen in die «Old Economy» bzw. eben die Rohstoffproduktion, von der wir noch länger abhängig sind, als wir meinen – wie ja im Ukrainekrieg sichtbar. Zudem kommt es aus sozialen oder innenpolitischen Gründen bei der globalen Minenproduktion relativ häufig zu Streiks und Angebotsausfällen, besonders in Lateinamerika. Bei Industriemetallen, die für die Weltwirtschaft, beispielsweise die Auto- und die Maschinenindustrie, überaus bedeutsam sind, betrugen die Kapitalinvestitionen 2022 nur noch etwa 50 % des Niveaus von 2010, was die mittelfristigen Risiken aufzeigt. Nicht nur Kupfer, sondern auch Zink und Aluminium weisen inzwischen ein zum Teil deutliches Angebotsdefizit auf, ähnlich Erdöl und davon abgeleitete Energieprodukte.

Auch im Agrarbereich zeigen Rohstoffe Produktionsengpässe, was die Preise erhöhen kann. Gründe sind hier gestiegene Düngerpreise sowie extremere und volatilere Wetterbedingungen. Das «El Niño» genannte Wetterphänomen (überdurchschnittlich warme Temperaturen im Pazifik) könnte die Agrarernten in Lateinamerika oder Asien reduzieren. Da auch die geopolitischen Risiken kaum wirklich auf das Niveau früherer Jahre sinken, ist generell bei vielen Rohstoffen mit partiell wiederkehrenden Angebotsrisiken zu rechnen – wie die aktuelle Situation bei Kakao exemplarisch zeigt.

Als Fazit kann zusammengefasst werden, dass ein langfristig weiterbestehendes Angebotsdefizit die Rohstoffe deutlich beeinflussen kann, wegen Nachfrageunsicherheiten aber die Volatilität dieser Anlageklasse, welche historisch immer schon ausgeprägter als in anderen Anlageklassen war, wahrscheinlich hoch bleiben wird.

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