Fed lässt die Zinsschraube einmal mehr unangetastet – und niemand kümmerts

Wie erwartet, lässt die US-Notenbank Fed die Zinsschraube einmal mehr unangetastet. Der Leitzins verharrt damit weiterhin auf dem höchsten Niveau seit 23 Jahren. Die Aktienmärkte nehmen dies mittlerweile lediglich mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. «Aus anlagetaktischer Sicht scheint eine gewisse Vorsicht angezeigt», mahnt Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank.

Was für ein Regime-Wechsel: Noch im letzten Jahr kehrte regelmässig Nervosität an den Finanzmärkten ein, wenn die Fed bei ihren Zins-Sitzungen keine Anstalten machte, von ihrer äusserst restriktiven Geldpolitik abzukehren. Das Leitzinsniveau von 5,25 bis 5,50 Prozent – das höchste seit rund 23 Jahren – galt als reines Gift für die Aktienmarktentwicklung und sollte daher nach Meinung der Marktakteure so schnell wie möglich wieder abgesetzt werden. Inzwischen begegnen die Marktteilnehmenden dem immer längeren Verharren auf dem Zinsgipfel mit bemerkenswerter Gelassenheit. Dies obschon noch zu Jahresbeginn bereits für die gestrige Sitzung eine Zinssenkung um 25 Basispunkte an den Terminmärkten eingepreist war.

Seit Jahresbeginn hat eine ordentliche Zinsernüchterung eingesetzt – mittlerweile erwartet die Mehrheit der Marktteilnehmenden frühestens für Juni den Beginn des Zinslockerungszyklus.

Santosh Brivio, Senior Economist, Migros Bank

Die Finanzmärkte bleiben in Party-Laune
Die Migros Bank hat diese Erwartungen stets für überzogen gehalten und die erste Zinssenkung für Sommer erwartet. «Der an den Finanzmärkten unterstellte Zinsabsenkungspfad beruhte unseres Erachtens bis vor kurzem mehr auf dem Prinzip Hoffnung denn auf dem tatsächlichen Inflations- und Konjunkturumfeld», erklärt Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank. «Seit Jahresbeginn hat aber eine ordentliche Zinsernüchterung eingesetzt – mittlerweile erwartet die Mehrheit der Marktteilnehmenden frühestens für Juni den Beginn des Zinslockerungszyklus. Die Aktienbörsen vermögen diese Ernüchterung aber ohne Weiteres abzuschütteln. Beflügelt vom KI-Boom und von der mehr als robusten US-Konjunktur, lassen sie sich auch von einer weiterhin restriktiven Fed nicht die Laune verderben.»

Trotz Euphorie: Vorsicht bleibt weiterhin geboten
Als Stimmungskiller amtete die Fed trotz des aktuellen Zinsentscheides demnach nicht. «Im Gegenteil: Sie hob ihre Jahreswachstumsprognose für die US-Wirtschaft deutlich von 1,4 auf 2,1 Prozent an, was sogar über unserer Erwartung von 1,8 Prozent liegt. Diese Aufwärtsrevision dürfte an den Aktienmärkten für zusätzliche Unterstützung sorgen», so Brivio. Der Senior Economist mahnt aber zur Vorsicht: «Bei aller Euphorie ist eine gesunde Portion Skepsis geboten. Nur weil die Stolpergefahren in der derzeitigen Leichtigkeit des Seins ausgeblendet werden, sind sie deswegen nicht verschwunden. So sind die Aktien sehr hoch bewertet, amerikanische Staatsanleihen bieten risikofrei eine attraktive Rendite, die Geopolitik ist enorm angespannt, und die Inflation bleibt nicht nur klebrig erhöht, sondern hat sich zuletzt sogar wieder auf dem Vormarsch gezeigt. Angesichts dieser Gemengelage braucht es wenig, dass die Feierlaune in einen Party-Kater kippt. Vor diesem Hintergrund scheint uns aus anlagetaktischer Sicht nach wie vor eine gewisse Vorsicht angezeigt.»

Hauptbildnachweis: Freepik