White Collar – Empathie
«White Collar» ist unsere Satire-Kolumne über (Un-)Sinnigkeiten aus der Geschäftswelt. In der neuen Folge widmet sich Andreas Hönger dem Thema Empathie.
In der direkten Führung hängt der Erfolg und die Erreichung der Ziele wesentlich davon ab, die Motive und Beweggründe der Mitarbeitenden zu verstehen.
Da das Innere einer Person nicht unmittelbar beobachtbar ist, müssen Sie tief in die Mitarbeitenden dringen, um ihre geheimsten Empfindungen, Emotionen, Gedanken und Motive aufzunehmen und nachzuempfinden. Ob dies ohne Zustimmung der Betroffenen zulässig ist, braucht Sie derzeit nicht zu kümmern. The trend is your friend: Empathie gilt als grundlegend gut und empathische Manager sind erfolgreicher - sie haben tiefere persönliche Beziehungen, können motivieren, lernen schneller und verströmen und bekommen mehr Vertrauen.
Grundvoraussetzung für Empathie ist Selbstwahrnehmung und -transzendenz: Durch die eigene Gefühlsoffenheit können Sie Ihre Egozentrik überwinden und die Gefühle der Anderen aufnehmen und deuten. Zwar haben Sie eigene Werte und Wahrnehmungen, aber weder diese noch diejenigen des Mitarbeitenden müssen Sie verstehen, um emphatisch zu sein. Befreien Sie sich und fühlen Sie sich einfach ein. Werden sie zum Resonanzkörper Ihrer Belegschaft. Wichtig ist dabei, unwesentliche Störgeräusche zu ignorieren. Die Mitarbeitenden wollen insbesondere regelmässig mehr Lohn und weniger arbeiten. Aber das sind entweder nicht erfüllbare Wünsche oder sie führen nicht zur Erfüllung des Unternehmensziels.
Robert Musil, Österreichischer Schriftsteller und TheaterkritikerDer Zeitgeist schafft sich eben seine Werkzeuge.
Investieren Sie keine Zeit in die Theorie und die verschiedenen Formen: authentische, funktionale, emotionale, kognitive und soziale Empathie. In der Fachliteratur finden sich über 40 Definitionen des Begriffes. Das macht ihn im Gegensatz zu veralteten, verstaubten Begriffen wie Mitgefühl, Anstand, Respekt und Freundlichkeit viel universeller und moderner. Empathie ist das neue Mantra; erspüren Sie Andere, werden Sie zum allumfassenden Empathisanten und nutzen Sie dies zu Ihrem Vorteil.
Eine vorzügliche Eigenschaft von Empathie ist, dass sie keine Handlungsanleitung ist; schon gar nicht zu rücksichtsvollem oder moralischem Verhalten. Sie erkennen und fühlen sich ein. Aber ob Sie auf das Erspürte Rücksicht nehmen, entscheiden Sie selber. So gesehen sind Psychopathen und Betrüger extrem empathisch. Sie nehmen bei ihrem Gegenüber mit einem unglaublichen Sensorium den wunden Punkt wahr. Nutzen Sie diesen, um Ihre Ziele zu erreichen. Auch wenn dies zu nachteiligen Entscheiden für die Mitarbeitenden führt: Fühlen Sie sich ein und kommunizieren Sie adressatengerecht. Für die Folgen und die allfällig negativen Gefühle ist nicht Empathie, sondern Mitgefühl und Fürsorge zuständig. Und das können Sie getrost anderen Leuten und Institutionen überlassen.
Vermeiden Sie die Fallen der Empathie. Vermischen Sie nicht Ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse mit denjenigen der Mitarbeitenden. Denn zu viel Einfühlung kann zu pathologischem Altruismus führen mit der Folge von Erschöpfungsstörungen (empathic distress fatigue). Darum denken Sie immer auch an sich und wo Sie hinwollen.
Sie werden bemerken, dass Empathie Ihr Gefühlsleben bereichert, indem Sie verschiedene, neue Perspektiven fühlen können. Seien Sie sich dabei aber bewusst, dass Mitarbeitende sich, nicht zuletzt aufgrund Ihrer hierarchischen Stufe, in einer Opferrolle sehen könnten. Spielen Sie hier nicht den überhöhten Gutmenschen, reden Sie Befindlichkeiten nicht klein oder präsentieren Sie nicht sogleich eine für Sie naheliegende Lösung. Das könnte Ihnen als Arroganz ausgelegt werden, die es in der emphatischen Beziehung zu vermeiden gilt, da es die Einfühlung entwertet und auf Ablehnung stossen kann. Beachten Sie zudem, dass Empathie häufig mit Verständnis oder Nachsicht verwechselt wird. Manche Menschen sehen Empathie daher als eine Schwäche und als ein Zeichen für mangelnde Durchsetzungsfähigkeit. Es empfiehlt sich darum, gelegentlich hart und konsequent durchzugreifen.
Um Ihre Empathie zur Meisterschaft zu bringen, lernen Sie von Politikern, der Werbung und den Massenmedien. Diese haben schon lange begriffen, dass das Nachempfinden der Gedanken- und Gefühlswelt zentrale Voraussetzung für die Beeinflussung der Menschen ist. Sie nutzen dabei meist den effektivsten Weg der Steuerung: Die Verstärkung der grundlegenden Instinkte und Leidenschaften wie Angst, Neid, Hoffnungen, Frustration oder Wut.
Einige Manager, die einfach nichts spüren, versuchen es mit Empathogen. Dieser Wirkstoff führt dazu, dass die unter seinem Einfluss stehende Person das Gefühl hat, mit anderen Menschen zusammen eine Einheit zu bilden, sie zu verstehen und mit ihnen zu fühlen. MDMA ist diesbezüglich der bekannteste Wirkstoff. Davon ist aber jedenfalls abzuraten – oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.