MEGA statt MAGA – Europas Chance auf Erneuerung

Die geopolitischen Verschiebungen der vergangenen Monate haben die Finanzmärkte in Aufruhr versetzt. Die Rückkehr Donald Trumps ins Weisse Haus markiert einen Wendepunkt, der Europa vor grosse Herausforderungen stellt – aber auch Chancen bietet.

Bei der Analyse der aktuellen Situation sollte man einen kühlen Kopf bewahren. Als Dealmaker stellt Trump häufig Maximalforderungen, von denen er später zurückrudert. Nicht alles, was er sagt, ist für bare Münze zu nehmen. Einige seiner Drohungen entfalten jedoch bereits Wirkung: China, Saudi-Arabien und amerikanische Unternehmen wie Apple haben umfangreiche Investitionen in den USA angekündigt. Entscheidend war jedoch das Zusammentreffen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit Trump und seinem Vizepräsidenten J.D. Vance im Oval Office. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit wurde die Pax Americana zerrissen. Amerika steht nicht mehr selbstverständlich an der Seite Europas, sondern hat sich – in einer historischen Ironie – den Russen zugewandt.

Von MAGA zu MEGA

Die europäischen Regierungen haben darauf reagiert. In Deutschland wurden Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur vereinbart. Aus «Make America Great Again» wird «Make Europe Great Again» – MEGA statt MAGA. Diese Neuausrichtung spiegelt sich bereits in den Finanzmärkten: Der US-Aktienmarkt und der Dollar schwächeln, während der europäische Aktienmarkt und der Euro relative Stärke zeigen.

Dennoch sollte man realistisch bleiben: Europäische und deutsche Unternehmen werden die Kohlen nicht aus dem Feuer holen, wenn die Weltwirtschaft insgesamt schwächelt.

Bert Flossbach, Gründer, Flossbach von Storch

An den Anleihemärkten bestätigt sich dieses Bild. Die gesunkenen US-Renditen signalisieren Befürchtungen eines abschwächenden Wirtschaftswachstums in Amerika. Umgekehrt deuten die gestiegenen Renditen in der Eurozone auf Erwartungen eines höheren Wachstums und einer Inflationsbeschleunigung hin. Dieser Stimmungswechsel ist begrüssenswert, jedoch müssen den Worten jetzt Taten folgen. Die Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur sind ein erster Schritt, bergen aber auch Risiken. Sie liegen ausserhalb des normalen Haushalts und könnten dazu verleiten, den ordentlichen Haushalt weiterhin für konsumtive Zwecke zu missbrauchen. Die Vereinbarungen der potenziellen Koalitionspartner zur Mietpreisbremse, Rentenstabilisierung oder Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie zählen jedenfalls nicht zu den dringend benötigten Investitionen.

Europas Hausaufgaben
Europa muss nach vorn denken. Wer glaubt, mit erhöhten Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur sei es getan, irrt gewaltig. Diese Programme müssen effizient umgesetzt werden. Ganz oben auf der Agenda sollte der Abbau der erdrückenden Bürokratie stehen. Nehmen wir als Beispiel die ESG-Regularien: Um das Nachhaltigkeitsthema hat sich ein regelrechtes Ökosystem aus Ratingagenturen, Anwälten und Wirtschaftsprüfern entwickelt. Der ursprüngliche Sinn lässt sich jedoch nicht durch kleinteilige Vorschriften erzwingen. Innovation wird durch überbordende Bürokratie im Keim erstickt. Wenn Unternehmer ständig fürchten müssen, gegen Regeln zu verstossen, und Genehmigungsverfahren sich über Jahre hinziehen, werden wir die ersten Infrastrukturmassnahmen frühestens in einem Jahrzehnt realisieren. Es ist kein Zufall, dass Deutschland wieder als kranker Mann Europas gilt. Der Wirtschaftsstandort hat an Attraktivität verloren. Die traditionell hohen Kosten konnten in der Vergangenheit durch exzellente Infrastruktur, hervorragende Bildung und innere Sicherheit ausgeglichen werden. Diese Standortvorteile bröckeln zusehends.

Neue Perspektiven für Anleger
In diesem Umfeld müssen Anleger ihre Strategien überdenken. Die aussergewöhnlich hohen Renditen der vergangenen Jahre gehören der Vergangenheit an. Für die Zukunft erscheinen fünf bis sechs Prozent realistisch. Die 15-jährige Phase der extremen Outperformance amerikanischer Aktien dürfte vorbei sein. Wir beobachten bereits eine Neubewertung: Einige konjunktursensitive Unternehmen profitieren, während sich die Bewertungsunterschiede zwischen amerikanischen und europäischen Aktien verringern. Die Bewertung mancher deutscher Nebenwerte, die stellvertretend für den Zustand Deutschlands betrachtet wurden, war zeitweise absurd niedrig. Viele litten unter der sogenannten Europasklerose. Hedgefonds hatten sich gegen deutsche Nebenwerte positioniert – eine Situation, die sich inzwischen geändert hat. Dennoch sollte man realistisch bleiben: Europäische und deutsche Unternehmen werden die Kohlen nicht aus dem Feuer holen, wenn die Weltwirtschaft insgesamt schwächelt. Für europäische Anleger bieten Anleihen derzeit keine attraktive Option, sofern sie ihr Vermögen real mehren möchten. Renditen um drei Prozent reichen nicht aus, um nach Steuern die Inflation zu übertreffen. Gold sollte angesichts der geopolitischen Unsicherheiten einen festen Platz in den Portfolios haben, wenngleich die jüngste Rallye zu Gewinnmitnahmen genutzt werden konnte.

Das grösste Risiko für Anleger liegt momentan im KI-Boom. Dieser basiert darauf, dass grosse Unternehmen immer mehr investieren. Doch irgendwann sinken die freien Cashflows so stark, dass auch die Aktienkurse darunter leiden werden – mit potenziellen Auswirkungen auf den Gesamtmarkt. Diversifikation bleibt daher das Gebot der Stunde. Der MSCI World, der zu 73 Prozent von US-Aktien dominiert wird und daher kaum noch als echter Weltindex gelten kann, ist derzeit keine ideale Wahl. Stattdessen lohnt es sich, auf vernachlässigte Titel zu achten. Die Premiumhersteller BMW und Mercedes sind beispielsweise sehr niedrig bewertet. Auch Novo Nordisk und LVMH sind nach Kursrückgängen wieder günstiger zu haben. Die Zeiten haben sich geändert, und Europa steht vor der Herausforderung, seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Wenn es gelingt, die strukturellen Probleme anzugehen und die notwendigen Reformen umzusetzen, könnte Europa tatsächlich wieder «great» werden. Für Anleger bietet diese Transformation neue Chancen – sofern sie bereit sind, ihre Strategien anzupassen und sich von den Marktmythen der vergangenen Jahre zu verabschieden.

Hauptbildnachweis: Freepik