Die Energiewende heizt die Inflation an

Die Bemühungen, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, könnten die Inflation jedes Jahr um 1,6% in die Höhe treiben, Eine Untersuchung zeigt die wahren Kosten der Energiewende über die kommenden zehn Jahre.

Wir gewinnen ein immer besseres Verständnis davon, wie die Inflation durch die Energiewende angetrieben wird. Aber auch der Klimawandel kommt uns zwangsläufig teuer zu stehen. Von den Auswirkungen auf Angebot und Nachfrage am Rohstoffmarkt bis hin zu den Folgen für komplexe Lieferketten sind steigende Preise nicht zu vermeiden. Die Europäische Zentralbank geht davon aus, dass die physischen Folgen des Klimawandels ohne entsprechende Initiativen zur Abmilderung allein in den nächsten zehn Jahren zu einem Anstieg der jährlichen Gesamtinflation um 1% bis 3% führen könnten. Im Gegensatz zu diesem Szenario ohne Gegenmassnahmen werden die inflationstreibenden Folgen der Energiewende vorübergehend sein, auch wenn sie sich durchaus über einen beträchtlichen Zeitraum erstrecken.

Ein vierfacher Effekt
Die notwendigen Massnahmen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf das im Pariser Klimaabkommen festgelegte Ziel von 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau werden die jährliche Inflation gemäss unseren Erkenntnissen über die nächsten zehn Jahre voraussichtlich um 1,6% in die Höhe treiben. Ausschlaggebend für diese Teuerung sind vier Faktoren: «Greenflation», «Fossilflation», «Demandflation» und «Strandflation». Der Übergang zu einem nachhaltigen Energiesystem wird einen Nachfragedruck auf bestimmte kritische Ressourcen erzeugen. Konkret betroffen sind dabei Ressourcen wie Metalle, Mineralien und Fachkräfte, die erforderlich sind, um neue Investitionsgüter im Energiebereich – unter anderem Windturbinen, Solarzellen, Batterien für Elektrofahrzeuge und Komponenten der Netzinfrastruktur – herzustellen. Die «Greenflation» hat schon eingesetzt: Die Kosten von Windturbinen sind aufgrund der wachsenden Inputkosten um 40% angestiegen. Die zu erwartende Verdoppelung der realen Preise Grüner Metalle in den nächsten zehn Jahren könnte die jährliche Gesamtinflation zusätzlich um 0,1% erhöhen.

Wir gehen davon aus, dass die 'Demandflation' und die 'Strandflation' gemeinsam zu einem zusätzlichen Anstieg der Gesamtinflation um 0,7 % pro Jahr führen könnten.

Raphaël Gallardo, Chefökonom, Carmignac

Die Energiewende wird auch einen Anreiz für die Produzenten von fossilen Brennstoffen bilden, ihre Investitionen in Wartungsmassnahmen und in vorgelagerte Aktivitäten zum Abbau von Kohlenwasserstoffen zu reduzieren oder ganz einzustellen. Angesichts des raschen natürlichen Verfalls der bestehenden Felder wird dies zu einem Rückgang der weltweiten Kohlenwasserstoffproduktion führen, d.h. zu einem negativen Angebotsschock. Die «Fossilflation» umfasst die steigenden Preise fossiler Brennstoffe, die voraussichtlich aus dieser Entwicklung resultieren. Unsere Recherchen legen nahe, dass die Preise jedes Jahr um etwa 20% steigen müssen, um die Nachfrage mit der Ölproduktion in Einklang zu bringen. Das entspricht einer zusätzlichen jährlichen Gesamtinflation von 0,8%.

Die «Demandflation» beruht auf der notwendigen Umleitung von Ressourcen, die zuvor für andere wirtschaftliche Zwecke eingesetzt wurden. Für jeden Anstieg der grünen Investitionen in Höhe von 1% des BIP muss ein Verbrauch in vergleichbarer Höhe durch eine Kombination aus höheren Preisen und höheren Realzinsen hinausgezögert werden. Im Gegensatz zu einer klassischen Investition wird diese Nachfrage jedoch weniger empfindlich auf konjunkturelle Schwankungen reagieren, was die betreffenden Effekte noch weiter verstärkt.

Bislang werden grüne Technologien nur dann breit eingesetzt, wenn sie kostenmässig wettbewerbsfähig sind oder als überlegen erachtet werden. So ist etwa die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien der Konkurrenz durch fossile oder nukleare Brennstoffe durchaus gewachsen, selbst wenn man die Kosten für den Netzausbau und ähnliche Ausgaben berücksichtigt. In vielen anderen Bereichen wie z.B. grüner Zement oder Stahl und grüne Wärme, Luftfahrt oder Schifffahrt sind die Preise jedoch weiterhin um 25% bis 300% höher als in der konventionellen Wirtschaft, solange keine Fortschritte mit Blick auf Skaleneffekte, Innovation oder den regulatorischen Rahmen erzielt werden. Wenn es zu einer erzwungenen oder natürlichen Entstehung von redundanten und gestrandeten Vermögenswerten kommt, etwa infolge von staatlichen Eingriffen, führt das zu einem negativen Angebotsschock für die Produktivität und zu einem weiteren inflationären Effekt der Energiewende: der «Strandflation».

Wir gehen davon aus, dass die «Demandflation» und die «Strandflation» gemeinsam zu einem zusätzlichen Anstieg der Gesamtinflation um 0,7 % pro Jahr führen könnten.

Eine grosse Herausforderung für die Zentralbanken
Unserer Einschätzung nach könnte die Energiewende über einen Zeitraum von zehn Jahren zu einem zusätzlichen Anstieg der Inflation um etwa 1,6% pro Jahr führen. Erst danach dürfte dieser Effekt allmählich abklingen, wenn die «Fossilflation» in eine Deflation übergeht und der Investitionszyklus seinen Höhepunkt erreicht. Dies ist jedoch ganz eindeutig das geringere Übel, denn die Alternative bestünde in einer Phase der höheren, weniger vorhersehbaren und weniger kontrollierbaren Inflation. Gleichwohl wird die lange Übergangsphase im Rahmen der Energiewende die Geldpolitik und die Zentralbanken als Hüterinnen der Preisstabilität vor erhebliche Herausforderungen stellen. Wenn die Energiewende mit voller Überzeugung umgesetzt wird, haben die Zentralbanken eine schwierige Aufgabe vor sich. Sie müssen entscheiden, ob sie diese vorübergehende Inflation hinnehmen, auch wenn das möglicherweise zu einer Entankerung der Inflationserwartungen führen kann, oder ob sie sich dagegen stemmen und so eine Deflation in anderen Bereichen der Wirtschaft provozieren sollten. Ideal wäre eine globale Zusammenarbeit auf der geldpolitischen Ebene. In diesem Fall würden die Zentralbanken einen abgestimmten, gemeinsamen Ansatz verfolgen, um die zu erwartenden Spillover-Effekte durch Importpreise, Währungseffekte und globale Zinssätze zu vermeiden. Die Federal Reserve wird sich als weltweit bedeutsamste Zentralbank bei einer Debatte zu diesem Thema jedoch wohl zurückhalten. Grund dafür ist ihre Angst vor den Auswirkungen auf ihre eigene Unabhängigkeit, wenn sie sich in dieses kontroverse und politisch aufgeladene Thema einmischen sollte. Eine solche Zusammenarbeit erscheint deshalb unwahrscheinlich.

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