Schwellenländerbonds: Chancen in Lateinamerika und Asien

Das makroökonomische Umfeld für Schwellenländeranleihen bleibt schwierig. Doch nicht überall. Mit einem länderspezifischen Ansatz lassen sich attraktive Gelegenheiten identifizieren.

Zu Beginn des Jahres wurden Schwellenländeranleihen in erster Linie durch die US-Geldpolitik, den Dollar und das globale Wachstum getrieben. Die Turbulenzen im Bankensektor dürften das Umfeld jedoch verändert haben. Wir erwarten, dass die US-Notenbank ihren «hawkischen» Ton mildern und möglicherweise sogar noch vor Jahresende mit einer Zinssenkung winken dürfte. Eine Rezession in den USA scheint wahrscheinlich. Angesichts des Status des Dollars als sicherer Hafen könnten die Bedenken über systemische Risiken die Chancen für eine längere Hausse des Dollars erhöht haben. Obwohl eine weniger restriktive Notenbankpolitik theoretisch positiv für die Schwellenländer ist, dürften eine US-Rezession, ein starker Dollar und eine erhöhte Risikoaversion ein weniger positives Umfeld für Schwellenländerbonds schaffen.

Anstatt zu fragen, ob jetzt ein guter Zeitpunkt sei, um in Schwellenländerbonds zu investieren, sollten sich Anleger fragen, wo innerhalb der Anlageklasse investiert und welche Instrumente eingesetzt werden sollten, um sich für eine Reihe makroökonomischer Umstände zu positionieren.

Kirstie Spence, Portfoliomanagerin, Capital Group

Ein allgemeiner Anstieg der Risikoprämien und ein starker Dollar können die Finanzierungskosten für Emittenten von Schwellenländeranleihen drastisch in die Höhe treiben. Einige Schwellenländer sind bereits jetzt in einer schwierigen Situation, da sie im Niedrigzinsumfeld der letzten zehn Jahre ihre Schulden stark erhöht haben. Allerdings ist davon auszugehen, dass die meisten Finanzierungsengpässe bereits vorüber sind und dass die Umstrukturierung von Staatsschulden in den letzten Jahren ihren Höhepunkt erreicht hat. Mit Spreads von über 1'000 Basispunkten widerspiegeln viele Schwellenländer mit niedrigem Rating die Ausfallrisiken und die Erholungsrate bereits vollständig. Die derzeitige Volatilität könnte die Aussichten für diese Länder zwar verschlechtern, doch sind keine grösseren Überraschungen zu erwarten.

Ganz anders sieht es bei einigen der grösseren Schwellenländer aus, von denen heute viele weniger stark auf ausländische Kredite angewiesen sind als in früheren Phasen erhöhter Volatilität. Diese Länder haben die Laufzeiten ihrer Obligationen verlängert, während der ausländische Besitz von Anleihen in Landeswährung weitgehend zurückging, was das Risiko einer plötzlichen Umkehrung der Kapitalströme verringern dürfte. Viele dieser Länder verfügen über ausreichend starke Ausserbilanzgeschäfte und Zugang zu Kapital, um die Volatilität einzudämmen. Sie haben auch grosse Devisenreserven aufgebaut, die selbst bei einer angespannten Lage auf einem komfortablen Niveau bleiben sollten. Die positiven realen Zinsdifferenzen gegenüber den USA bieten einen zusätzlichen Schutz. Daher ist es weniger wahrscheinlich, dass es zu einer weit verbreiteten Ansteckung innerhalb der Anlageklasse kommt.

Bei den Dollar-Bonds sehen wir Chancen in der individuellen Auswahl von Schuldtiteln, bei denen wir die Risiken für überbewertet halten oder von denen wir glauben, dass sie relativ stabil und widerstandsfähig sind und damit das Risiko in einem diversifizierten Portfolio begrenzen können. Während die Lokalwährungsbonds der Schwellenländer mit dem Risikosentiment an den Märkten korrelieren können, sollten die beträchtlichen realen Renditeunterschiede, die durch proaktive Zentralbanken in vielen Schwellenländern begünstigt werden, einen Puffer für jegliche Volatilität bieten.

Die Schwellenländer-Wechselkurse haben die Renditen von Anlagen in Landeswährung in den letzten zehn Jahren belastet. Das war für Anleger schwierig. Doch die tatsächliche Währungsabwertung hat den Schwellenländern geholfen, auf die wirtschaftlichen Herausforderungen zu reagieren, ohne einen Zyklus grosser Abwertungen auszulösen, wie es in der Vergangenheit oft der Fall war. Auf Basis unserer Bewertungsmodelle und anderer Realkursmodellen scheinen die meisten Schwellenländerwährungen deutlich unterbewertet zu sein. Auch wenn der Dollar bei der derzeitigen Volatilität wahrscheinlich noch länger stark bleiben dürfte, ist es unwahrscheinlich, dass die Schwellenländerwährungen so stark abgewertet werden, wie in der Ära der gekoppelten und oft überbewerteten Wechselkurse.

Derweil sind die fundamentalen Aussichten für Lokalwährungsbonds positiv. Trotz einer überraschend hohen Inflation in einigen Ländern Anfang Jahr gehen wir davon aus, dass die Teuerung in den Schwellenländern in der ersten Jahreshälfte 2023 zurückgehen dürfte. Diese Entwicklung wird durch einen starken Rückgang der weltweiten Lebensmittel- und Energiepreise, günstige Basiseffekte, nachlassende Lieferkettenengpässe, eine schwächere Nachfrage und einen Aufschwung der Schwellenländerwährungen begünstigt. Der Kampf gegen die Inflation ist noch nicht vorbei – insbesondere dort, wo die Inflationserwartungen kürzlich wieder gestiegen sind. Doch eine breite Disinflation sollte es den Zentralbanken der Schwellenländer erlauben, mit Zinssenkungen zu beginnen, zumal sie die Geldpolitik früher und aggressiver strafften als die Industrieländer.

Am attraktivsten sind derzeit lateinamerikanische Länder wie Brasilien und Kolumbien. Denn sie haben frühzeitig damit begonnen, die Zinsen zu erhöhen und konnten damit die Inflation unter Kontrolle halten und die Wechselkurse stützen. Lateinamerikanische Länder haben auch stark von den steigenden Rohstoffpreisen profitiert und waren weniger vom Konflikt in der Ukraine betroffen. Das erlaubt es Anlegern, sich von den geopolitischen Risiken abzukoppeln, die sich auf Mitteleuropa auswirken. In Asien dürfte das Wirtschaftswachstum durch die wirtschaftliche Öffnung Chinas angekurbelt werden, woraus sich Chancen ergeben könnten.

Während das globale Umfeld weiterhin Gegenwind für die Schwellenländer bedeutet, dürften die relativ soliden makroökonomischen Fundamentaldaten in den wichtigsten Schwellenländern in Verbindung mit hohen Anfangsrenditen und unterbewerteten Wechselkursen bei Anleihen in Landeswährung einen Puffer gegen weitere Volatilität bieten. Darüber hinaus ist es hilfreich, sich daran zu erinnern, dass die aktuelle Volatilität an den Märkten zwar überwältigend wirken kann, dass sich Schwellenländeranleihen jedoch zu einem grossen und diversifizierten Universum entwickelt haben, in dem sich Anleger mit verschiedenen Instrumenten gegen Risiken absichern können. Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, konnten die Anleger ihre Portfolios in weniger betroffene Regionen umschichten. Dasselbe ist auch bei der aktuellen Volatilität im Banken-Sektor möglich.