Die Misserfolgsgeschichte von Chrysler
Vor 100 Jahren entstand der amerikanische Autoproduzent Chrysler. Seine Geschichte ist keine Erfolgsstory, sondern ein Lehrstück über Versagen im Markt.
Amerikanische Autos sind in Europa bekanntlich nur etwas für eingefleischte Fans. Europäische und asiatische Hersteller beherrschen den Markt. Dabei würden mehr Importe aus den USA die Handelsbilanz zur Freude des amerikanischen Präsidenten aufhübschen. Aber das Schicksal der hundert Jahre alten Marke Chrysler zeigt, dass letztlich die Marktkräfte über Erfolg oder Scheitern entscheiden. Daran ändert sich auch nichts, wenn wie einst Daimler-Chef Jürgen Schrempp das Zusammengehen mit dem amerikanischen Konkurrenten in frühem Trump Speak als «Hochzeit im Himmel» in die Welt posaunte.
Einst unter den grossen Drei in Amerika
Walter P. Chrysler war schon ein alter Hase in der Autobranche, als er am 6. Juni 1925 in Auburn Hills (Michigan) die Chrysler Motor Corporation gründete. Sein Ehrgeiz war gross und er wurde belohnt. Lange Jahre gehörte Chrysler zusammen mit General Motors und Ford zu den grossen Drei in den Vereinigten Staaten. Nach dem Zweiten Weltkrieg rückte auch Europa in den Blick. Ab 1957 erwarb der Automobilriese aus Amerika die Anteile von Ford an dem französischen Produzenten Simca und baute die Beteiligung bis 1963 auf eine Mehrheit von 63 Prozent aus. Aber Europa bot nicht nur Perspektiven, sondern auch Herausforderungen. Das Glück war so nicht von Dauer. 1978 musste Chrysler seine europäischen Aktivitäten an den französischen Konkurrenten Peugeot veräussern.
Jürgen Dunsch, WirtschaftsjournalistVor 100 Jahren entstand der amerikanische Autoproduzent Chrysler. Seine Geschichte ist keine Erfolgsstory, sondern ein Lehrstück über Versagen im Markt.
Es kam noch schlimmer. Nicht zuletzt die japanische Konkurrenz drohte der US-Autoikone den Garaus zu machen. Im September 1979 beantragte Chrysler bei der Regierung in Washington Bürgschaften im Umfang von 1,5 Milliarden Dollar. Die zögerlich gewährte Finanzspritze verhinderte den drohenden Konkurs, der von Ford kommende Lee Iacocca führte ein modernes Baukastensystem ein. Ab 1982 schrieb der Konzern wieder Gewinn. Zehn Jahre später trat die Automobillegende Iacocca ab, Nachfolger wurde Robert Eaton.
In der zusammenrückenden globalen Autobranche entwickelte sich die Chrysler Corp. zur begehrten Braut. In Deutschland zog sie das Interesse von Daimler-Benz unter dem ungestümen Jürgen Schrempp auf sich. Mit Erfolg. Am 18. September 1998 beschlossen die Aktionäre beider Unternehmen den überschwänglich gefeierten Zusammenschluss. Die lauthals verkündete «Fusion unter Gleichen» war aber nicht reinrassig. Die Chrysler-Aktionäre hielten nur 42 Prozent an der neuen Daimler-Chrysler AG. Eaton seinerseits verliess zur Jahrtausendwende als letzter Amerikaner vorzeitig den Konzern. Er hatte es offenbar geahnt: Im Jahr 2000 schrieb Chrysler wieder einen Verlust. Danach wechselten in der Konzernrechnung Plus und Minus. In ihrem Buch «Der DaimlerChrysler Deal» hatten die beiden deutschen Journalisten Holger Appel und Christoph Hein schon angemerkt, dass der Verschmelzungsbericht zur damals grössten Fusion in der Branche vor einem deutlichen Abflachen der Ertragsdynamik bei Chrysler warnte. Schrempps Nachfolger Dieter Zetsche entschloss sich Anfang 2007 zur Scheidung. Aus der Hochzeit im Himmel war eine Ehe des Grauens geworden, die den Konzern alles in allem geschätzte 40 Milliarden Euro kostete. Der Finanzinvestor Cerberus griff zu. Bis April 2009 hielt Daimler dann noch 20 Prozent.
Heute eine Marke von Stellantis
Zuvor hatten im Januar Chrysler und Fiat aus Italien den Plan einer neuen Allianz verkündet. Aber die globale Finanzkrise schlug gnadenlos zu, gerade bei dem amerikanischen Partner. Bei Banken und Hedgefonds häufte der Autoriese knapp sieben Milliarden Dollar Schulden an und musste eine Umschuldung nach Chapter 11 vornehmen. Fiat blieb indessen bei der Stange, erwarb im Juni 2009 eine Minderheitsbeteiligung und die unternehmerische Führung. Jahre später gehörte Chrysler den Italienern ganz. Im Zuge der Bildung von Stellantis aus der französischen PSA (Peugeot-Citroen-Opel) und der italienischen Fiat Chrysler Anfang 2021 schrumpfte das amerikanische Traditionsunternehmen dann zu einer von mehreren Marken in dem zuletzt fünftgrössten Automobilhersteller in der Welt. Eine grosse Geschichte ist nur noch ein Emblem. Der Schutz im Inland und die Expansion im Ausland waren gescheitert. Und Stellantis selbst kämpft in Nordamerika und Europa angesichts einer lückenhaften Produktpalette und ungeklärter Führung mit heftigen Problemen.