Die verborgenen Schwächen des WEF in Davos

Das World Economic Forum verzeichnet in Davos einen Andrang wie vor der Pandemie. Dabei wohnen dem Geschäftsmodell des grossen Dialogs auf höchster Ebene mehrere Schwachpunkte inne.

Wer, wie der Autor dieser Zeilen, ungefähr 20 Mal am World Economic Forum (WEF) in Davos teilgenommen hat, kann einiges erzählen. Ausgestattet mit dem prestigeträchtigen Badge eines «Media Leader» ist er 2001 in Geheimdienstmanier vom Oligarchen Michail Chodorkowski empfangen worden, der zwei Jahre später bei Putin in Ungnade fiel. Er verfolgte den Auftritt der Schauspielerin Sharon Stone, wie sie in fast schon erpresserischer Art öffentlich Spenden einforderte. Er war an einem Abendessen zugegen, an dem in einer Runde von etwa 30 Personen über Clintons sexuelle Verfehlungen im Weissen Haus debattiert wurde.

Das grösste Manko des Welttreffens bleibt die ungeklärte Führungsfrage.

Jürgen Dunsch, Wirtschaftsjournalist

Solche Episoden sind das eine, die Kritik an Davos die andere Seite des Forums mit seinem Gründer Klaus Schwab. Seit Jahren wird die extreme Preistreiberei einzelner Hotels in der WEF-Woche aufgespiesst, auch das Partytreiben in den Nächten nach dem Ringen um eine bessere Welt am Tag ist ein Dauerbrenner. Die vielen Privatjets, die jeweils das WEF ansteuern, sind ein Beleg dafür, dass Klimabekunden und Klimahandeln zwei Paar Bergstiefel sind. Geargwöhnt wird, dass die grosse Zusammenkunft von VIPs aus Wirtschaft und Politik in erster Linie der Geschäftemacherei diene, dies nur zu oft auf Kosten der kleinen Leute.

Übertriebener Anspruch der Weltverbesserung
All das ist nicht falsch, aber greift zu kurz und kratzt nur an der Oberfläche. Klaus Schwab hat mit dem Jahrestreffen der globalen Eliten in den Schweizer Bergen die wichtigste Plattform für den informellen Dialog über die Kontinente hinweg geschaffen. Im Rahmen dieser, seit 1971 bestehenden Privatinitiative sind viele Begegnungen möglich, die in staatlichen Institutionen wie der UN-Vollversammlung undenkbar wären. Die vertraulichen Gespräche der Teilnehmenden zielen nicht so sehr auf die stets vermuteten «Deals» als auf langfristige Beziehungen. Doch dem System Schwab wohnen mehrere versteckte Mängel inne. Erstens suggeriert das zentrale Motto des WEF, einen Beitrag zur Weltverbesserung zu leisten (committed to improving the state of the world), einen Anspruch, der bar jeder Realität ist. Im besten Fall klingt der Leitspruch übertrieben, im schlechtesten Fall überheblich und anmassend. Die Eliten in Davos, ein Hochamt von Schaumschlägern und sich selbst Beweihräuchernden? Zweitens verbindet sich mit dem Plattform-Konzept des Forums eine umfassende Einladung zur Teilnahme. Die Möglichkeit des grossen Networkings ist unwiderstehlich. Tatsächlich zählt das Forum bei seinem Jahrestreffen Vertreter von ungefähr zwei Dritteln aller Länder rund um den Globus. Unter den jetzt erwarteten 52 Staats- und Regierungschefs sind zwangsläufig auch viele Autokraten und Viertel-Demokraten. Sie kommen durch ihre Anwesenheit politisch auf eine Augenhöhe mit den demokratischen Ländern im Einsatz für eine bessere Welt. Der Ausschluss von Ländern wie Russland in diesem Jahr und im Mai 2022 sowie zuvor von Nordkorea bilden seltene Ausnahmen.

Die ungelöste Nachfolgefrage
Drittens verbreiten die Spitzenpolitiker nicht zuletzt den Lockstoff, der viele andere Mandatsträger, Manager und Intellektuelle in die Schweizer Berge zieht. Doch der stets gepriesene Dialog auf dem WEF ist ihre Sache nicht. Ihre Auftritte erschöpfen sich in oftmals wenig gehaltvollen Reden zumeist verbunden mit platter Werbung für Investitionen in den einzelnen Ländern. Die harmlosen Einlassungen von Schwab in den sogenannten «Fragerunden» an die Staats- und Regierungschefs tun nichts, um diesen Eindruck zu korrigieren. Vielmehr sollen sie im Wesentlichen eine Wohlfühlatmosphäre befördern. Viertens wirken die Themen vielfach zu abgehoben vom wirklichen Leben nach der Davos-Woche. Die viel beschworene «Resilienz» der Unternehmen, die es zu fördern gelte, bleibt vage, solange man nicht zum Beispiel Produktivitätsrückstände anspricht. Der Klimawandel ist in aller Munde, aber die dadurch ausgelösten globalen Migrationsströme bilden nur auf den Podien des Themenbereichs «Kunst und Kultur» einen Schwerpunkt.

Das grösste Manko des Welttreffens bleibt indes die ungeklärte Führungsfrage. WEF-Gründer Schwab wird im März 85 Jahre alt. Allem Anschein nach ist er körperlich und geistig so frisch, wie man ihn kennt. Verständlich, dass er durch einen öffentlich genannten Nachfolger nicht zur «lame duck» werden will. Dennoch wuchern seit Jahren die Spekulationen. Sie reichen vom Schwab-Sohn Olivier, der im Forum eine Schlüsselrolle spielt, über den amtierenden und tüchtigen Präsidenten Björge Brende bis zu Prominenten wie der EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die seit langem dem WEF eng verbunden ist. Und wie reagiert Schwab? Er schmunzelt und liess sich zuletzt mit den Worten «ich bin aktiver denn je» zitieren.

Hauptbildnachweis: WEF