Wie «Super-Apps» das Private Banking verändern könnten

Im Zeitalter der digitalen Transformation bekommt das Private Banking neue Möglichkeiten durch sogenannte «Super-Apps». Warum diese Anwendungen das Potenzial haben, das Private Banking grundlegend zu verändern.

Die rasante Entwicklung im Finanzsektor bringt eine neue Ära hervor – die Ära der «Super-Apps». Diese digitalen Alleskönner vereinen Bankgeschäfte, Zahlungsdienste, Versicherungen, E-Commerce, soziale Medien und persönliche Aktivitäten in einer Anwendung. Dieser Trend wurde massgeblich von führenden asiatischen Super-Apps wie Wechat und Grab geprägt. In Europa hingegen fehlt es noch an einem vergleichbaren Angebot. Dabei schaffen Super-Apps gerade im Private Banking Potenziale.

Interesse und Vertrauen sind vorhanden – auch in Europa
Eine jüngst veröffentlichte Studie, durchgeführt vom Branchendienst Pymnts.com, mit mehr als 9’000 Teilnehmern aus Österreich, Deutschland, Grossbritannien und den USA, zeigt ein beachtliches Interesse an solchen Apps in Europa. 72 Prozent der Befragten sind mindestens «ein wenig» an einer Super-App interessiert, 25 Prozent der Befragten «extrem» interessiert. Hiernach geniessen Banken in Europa das höchste Vertrauen der Befragten, wenn es um den Einsatz einer Super-App für den täglichen Gebrauch geht – noch vor den «Big-Techs» wie Apple, Fintechs oder staatlichen Institutionen.

Das Potenzial der Super-Apps ist riesig – und möglicherweise unaufhaltsam.

Alesia Prytulchyk, Senior Manager, zeb

Die Ergebnisse spiegeln das digitale Nutzungsverhalten wider. In einer Gesellschaft, die immer digitaler wird, suchen Nutzer nach einfachen Lösungen, die komplizierte Anwendungen ersetzen. Super-Apps überzeugen durch klares Design und sind benutzerfreundlich. Anstelle verschiedener Apps, die heruntergeladen und installiert werden müssen, bieten Super-Apps alles, was im Alltag und darüber hinaus benötigt wird, in einer einzigen Anwendung. Noch im Jahre 2009 hatte Apple den Slogan «There's an app for that» geprägt und diesen sogar als Handelsmarke schützen lassen. Eine App für eine Funktion? Diese Zeit scheint überholt.

Chancen (insbesondere) im Private Banking
Die hohe Vertrauenswürdigkeit von Banken eröffnet Chancen im Private Banking. Hier können Finanzinstitute ihre Rolle als vertrauenswürdiger Partner weiter stärken, insbesondere weil Kunden im Private Banking Bedürfnisse und Erwartungen haben, die über die Standarddienstleistungen des Retail Banking hinausgehen. Eine massgeschneiderte Super-App könnte den Bedürfnissen anspruchsvoller Kunden im Private Banking gerecht werden. Konkret ergeben sich folgende Chancen, um Dienstleistungen zu verbessern und die Kundenbindung zu stärken:

  • Personalisierung: Persönliche Daten werden genutzt und das Kundenverhalten für massgeschneiderte Angebote analysiert, um Relevanz und Kundenbindung zu steigern
  • Zentralisierung: Ein umfassender Finanzüberblick wird geschaffen und die Notwendigkeit mehrerer Apps beseitigt, was die Benutzerfreundlichkeit und Effizienz steigert
  • Komfort: Tägliche, abonnementbasierte Logins und Rechnungserinnerungen werden für erhöhte Kundenbequemlichkeit und -treue integriert; Leistungen, die zum Teil heute schon exklusiv für die vermögenden Kunden angeboten werden (zum Beispiel Concierge-Services), können in der App digitalisiert werden
  • Loyalität: Der Wiedererkennungswert der Marke wird durch praktische Funktionen wie automatische Rechnungszahlungen und Sparkonten erhöht und die Kundenbindung gestärkt; Möglichkeit, sich innerhalb der Bank eine Community aufzubauen, zum Beispiel durch die gleichen Interessen oder Teilnahme an den exklusiven Events der Bank
  • Cross- und Up-Selling: Die Preisgestaltung und Nutzerzufriedenheit werden durch effiziente Nutzung von First-Party-Daten aus gemeinsam genutzten Wallets für gezielte Cross-Selling- und Up-Selling-Möglichkeiten optimiert

Potenzial für das erste 10-Billionen-Unternehmen
Eine Super-App kann klein anfangen, wie der Blick nach Asien zeigt: Wechat begann mit einem Chat, Gojek in Indonesien mit einem Fahrdienst, und Paytm in Indien war ursprünglich für den Kauf von Prepaid-Mobilfunkminuten gedacht. Alle Anwendungen haben sich schliesslich aus ihrer Nische heraus entwickelt und sind zu einer dominierenden Grösse geworden. Das Potenzial der Super-Apps ist riesig – und möglicherweise unaufhaltsam.

Branchenkenner wie Scott Galloway, Professor an der Stern School of Business, sind überzeugt, dass der Aufbau einer Super-App bald das erste 10-Billionen-Dollar-Unternehmen der Welt hervorbringen wird.

Alesia Prytulchyk

Das Marktforschungsunternehmen Gartner prognostiziert, dass bis 2027 mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung täglich mehrere Super-Apps für Arbeitsabläufe, Zusammenarbeit und Messaging-Plattformen nutzen werden. In Europa gibt es bereits einige populäre Beispiele, die sich dem Konzept der Super-Apps anzunähern scheinen, zum Beispiel Revolut mit über 25 Millionen Nutzern. Branchenkenner wie Scott Galloway, Professor an der Stern School of Business, sind daher überzeugt, dass der Aufbau einer Super-App bald das erste 10-Billionen-Dollar-Unternehmen der Welt hervorbringen wird.

Funktionen im Private Banking: Mehr als nur Transaktionen
Der Schlüssel für hiesige Banken liegt darin, möglichst umfassende personalisierte Services bereitzustellen, die über die reinen Finanztransaktionen hinausgehen. Das Private Banking scheint wie dafür gemacht: hier geht es regelmässig um komplexe Vermögenswerte und eine digital-persönliche Beratung mit hochpersonalisierten Services. Neu ist, dass die App um jene Funktionen angereichert wird, die nicht finanzbezogen, aber im Alltag dieser exklusiven Zielgruppe relevant sind. Die Vorstellung eines Concierge-Services, der traditionelle Bankdienstleistungen etwa mit exklusiven Erlebnissen wie Konzerttickets oder Helikopterflügen verknüpft. Doch es ist nur ein Ansatz von vielen, auch Reiseangebote, Sammlerangebote und exklusive Mode für eine ausgesuchte Zielgruppe sind vielversprechende Angebote. Gleichzeitig verfügen Banken – insbesondere im Private Banking – bereits über das notwendige Vertrauen und den Zugang zu den Kundendaten, die für den Aufbau einer Finanz-Super-App erforderlich sind. Natürlich unter der Voraussetzung, dass erweiterte Sicherheitsmerkmale gewährleistet sind.

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