Auf Macron warten bei seinem Staatsbesuch in Deutschland drängende Themen

Im aktuellen weltpolitischen Umfeld ist eine enge Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland wichtiger denn je. Europa hatte immer dann eine starke Stimme im Kreis der Weltmächte, wenn die beiden Länder zusammenstanden. Vor diesem Hintergrund fällt dem Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Deutschland eine besondere Bedeutung zu.

Dass der französische Präsident an den Feiern zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes teilnimmt, ist auch als politische Geste gemeint. Abseits des Protokolls warten drängende Themen auf Macron und die deutschen Regierungsvertreter. Da wären zunächst die Dossiers, bei denen es um Europas Stellung in der Welt geht. Die EU muss darauf achten, nicht die Leidtragende im Zollstreit zwischen den USA und China zu werden. Die US-Regierung hatte jüngst die Einfuhrzölle für chinesische E-Autos von 25 Prozent auf 100 Prozent vervierfacht. Umso mehr drängen die chinesischen Hersteller auf den europäischen Markt. Hier gilt es politisch, eine gute Balance zwischen dem Schutz der europäischen Hersteller sowie den Produktionsstandorten und dem Nutzen freier Handelsbeziehungen zu finden.

Europa muss stärkere Anreize setzen, damit mehr privates Kapital in die Aktienmärkte, Private Equity und andere Formen der Beteiligung an Unternehmen fliesst.

Jan Viebig, Chief Investment Officer, ODDO BHF

Doch auch im innereuropäischen Raum warten wichtige Dossiers auf Macron in Berlin. Angesichts der weitreichenden technologischen Umbrüche in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Energie oder auch Gesundheit muss Europa seine Ressourcen effizienter in Investitionen in zukunftsweisende Geschäftsmodelle lenken. Die Ersparnisse der Anleger müssen leichter in vielversprechende Unternehmen fliessen können. Dazu ist eine Stärkung der europäischen Kapitalmärkte notwendig. Auf rund 32 Billionen Euro belaufen sich die Ersparnisse der Europäer.

Europa muss stärkere Anreize setzen, damit mehr privates Kapital in die Aktienmärkte, Private Equity und andere Formen der Beteiligung an Unternehmen fliesst. Dazu ist es unerlässlich, die Europäische Kapitalmarktunion voranzubringen. Ein einheitlicher europäischer Kapitalmarkt wird europaweit das Angebot von Kapital – die Ersparnisse der Anleger – und die Nachfrage nach Kapital – die Investitionen der Unternehmen – effizienter zusammenführen. Das Projekt klingt abstrakt, ist jedoch für die Zukunft Europas nicht weniger wichtig als die Schaffung des europäischen Binnenmarktes vor rund 40 Jahren.

Über die Kapitalmarktunion will die EU bestehende Hindernisse für Kapitalmarktransaktionen in der EU abbauen und es den Unternehmen erleichtern, europaweiten Zugang zu Finanzierungen über den Kapitalmarkt zu finden. Schon im vergangenen September haben sich die französische und deutsche Regierung auf eine gemeinsame Roadmap auf dem Weg zur Erreichung dieses grossen Vorhabens geeinigt.

Der Vorteil bei diesem grossen Reformvorhaben ist, dass dieses Thema keinen politischen Streitpunkt innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten darstellt. Vielmehr geht es darum, die technische Vollendung voranzutreiben. Hier sind in erster Linie Deutschland und Frankreich gefragt. Vor kurzem veröffentlichte der ehemalige Vizepräsident der EZB, Christian Noyer, im Auftrag des französischen Finanzministers Bruno Le Maire, den Noyer-Bericht zur Europäischen Kapitalmarktunion.

Die grüne und digitale Transformation erfordert dem Noyer-Bericht zufolge bis zum Jahr 2030 jährlich zusätzliche Investitionen von 1 Billion Euro. Dieser Betrag ist weder von den Staaten noch von den Geschäftsbanken zu schultern. Will Europa das Net-Zero-Ziel – eine Wirtschaftsweise, die netto kein Kohlenstoffdioxid mehr emittiert – erreichen, müssen die Kapitalmärkte verstärkt zur Finanzierung dieser Transformation mobilisiert werden. Auch fordert Noyer folgerichtig, dass die Europäische Kapitalmarktunion von einer europäischen Kapitalmarktaufsicht flankiert werden muss. Auch wir halten es für wichtig, die Kompetenzen der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA zu stärken.

Beide Länder – Deutschland wie auch Frankreich – stehen vor grossen Herausforderungen. In Frankreich sind sowohl die Staatsverschuldung wie auch das Haushaltsdefizit zu hoch. Immerhin jedoch überstand der französische Finanzminister Bruno Le Maire die Überprüfung der Bonität französischer Staatsanleihen Ende April unbeschadet – die befürchtete Herunterstufung der Ratingnote blieb aus. Die deutsche Wirtschaft wiederum leidet unter zu hohen Energiepreisen, die besonders energieintensive Branchen wie die Chemie belasten. Zudem muss die gesamtwirtschaftlich so wichtige Automobilbranche einen gewaltigen strukturellen Umbruch bewältigen.

Der Blick auf die wirtschaftlichen Probleme in den beiden Ländern sollte nicht vergessen lassen, dass Europa hervorragende Unternehmen von Weltgeltung besitzt.

Hauptbildnachweis: Reuters