Die vage Gleichung von Sport und Wirtschaft

Oft werden Sportler als Vorbilder für das Wirtschaftsleben gepriesen. Die Parallelen stossen allerdings rasch an Grenzen.

Auch wenn vermehrt daran gezweifelt wird: Leistung bildet die wesentliche Grundlage für individuelles Vorankommen. Im Sport tritt dies deutlich zutage. Wer siegt, scheffelt Medaillen und kann auf Beifall hoffen. Aus diesem Grund wird immer wieder gefragt, ob Leistungsträger der Wirtschaft etwas von siegreichen Sportlern lernen können. Immerhin sind Manager und Unternehmer ebenfalls süchtig nach Erfolgen. Und ganz allgemein bringt Leistung eine Volkswirtschaft voran.

Siege im Sport sind keine Erfolgsgarantie im Beruf
Bei der Leichtathletik-WM in Tokio hatte Ditaji Kambundji vor kurzem in bewundernswerter Form die Goldmedaille über 100 Meter Hürden gewonnen und damit den ersten WM-Titel für die Schweiz seit 2001 errungen. Ihr folgte am vergangenen Wochenende Marlen Reusser mit Gold auf der Rad-WM. Ungekrönter sportlicher Langzeitherrscher ist ohne Zweifel Roger Federer. Nach seinem Rücktritt im Tennis 2022 glänzt er inzwischen umso mehr im Geschäftsleben und ist seit neuestem Milliardär. Der mit 40 vier Jahre jüngere Stan Wawrinka spielt noch, engagiert sich ebenfalls in der Wirtschaft – allerdings mit bescheidenem Erfolg. «Wenn das Kapitel Tennis endgültig abgeschlossen ist, möchte ich noch viele Seiten meines Lebens schreiben», befand er in einem Interview. Da ist noch viel Luft nach oben. Anders gewendet: Erfolgreiche Sportler werden nicht zwangsläufig erfolgreiche Geschäftsleute. Viele enden als bescheidene Kioskbetreiber oder mittelmässige Autoverkäufer

Erfolgreiche Sportler werden nicht zwangsläufig erfolgreiche Geschäftsleute.

Jürgen Dunsch, Wirtschaftsjournalist und Gastautor

Sportliche Glanzleistungen öffnen immerhin Erfolgspfade für die Zeit danach. Im Spitzensport zählt nur Platz eins, alles andere ist nachrangig. Athleten müssen daher den unbedingten Willen zum Erfolg entwickeln. Ditaji Kambundji schaffte das mit einer Mischung aus Konzentration und Lockerheit. Was das heisst, lehrt das «Lampenfieber» vor Wettkämpfen. Viele Sportler erleben die Nervosität als leistungszerstörende Kraft. Produktiv genutzt, ermöglicht sie dagegen Ergebnisse jenseits der gedachten Grenzen. Im Wirtschaftsleben gilt Ähnliches. Zielgerichtet, aber nicht verkrampft soll der Leistungswille sein. Wo man nicht weiterkommt, muss neu gedacht werden. Die Wunderläuferin Kambundji wechselte Ende 2022 zu einer neuen Hürdentrainerin. Der Durchhaltewillen bei verletzungsbedingten Rückschlägen bildet den augenfälligsten Aspekt von Spitzenathleten. Gefragt ist dabei Geduld. Die Analogie liegt auf der Hand. Ähnlich wie der Sportler seinem Körper Sorge tragen muss, sollten Führungskräfte in der Wirtschaft einen langen Atem haben und geduldig auf die Mitarbeiter eingehen. Spüren diese Verständnis, werden sie in Konfliktfällen nicht einfach bocken. Auf der anderen Seite stehen die Leistungssteigerungen. Sie kommen meist nicht über Nacht, sondern bedürfen solider und nachhaltiger Ergebnisse im Training. Auf das Geschäftsleben bezogen sollten zunächst die erreichten Fundamente stabilisiert werden, ehe zum nächsten Ziel geklingelt wird. Öffentliche Anerkennung kann hilfreich sein. Kambundji, Federer und zum Beispiel auch das Rad-Ass Nino Schurter verstanden ihre Fans immer aufs Neue zu begeistern. Niemand ist allein seines Glückes Schmied. Allem voran steht der Leistungswille, aber Sportler wie Wirtschaftsleute müssen auch als Identifikationsfiguren taugen. Ihre Fans möchten in der Mischung aus Leistung und Lockerheit so sein wie sie.

Teamdenken bringt zusätzlichen Gewinn
Leistungssport vollzieht sich meist in Einzeldisziplinen. Leichtathletik und Turnen bilden die bekanntesten Beispiele. Der Nachteil: Es sind Ego-Trips, die soziale Komponente der Kooperation und Kommunikation bleibt unterbelichtet. In Mannschaftssportarten gewinnen diese an Bedeutung. Hierarchien entstehen hier zwar genauso wie im Geschäftsleben. Zugleich müssen alle in die gemeinsamen Ziele eingebunden werden. Ebenso wichtig bleibt der Kontakt zu Teammitgliedern in Perioden verletzungs- oder babybedingter Auszeiten.

Das Umsteuern auf neue Verhältnisse, im Job, in Führungspositionen, im Investieren sollte rechtzeitig in den Blick genommen werden.

Jürgen Dunsch

Am Ende noch einmal ein Blick auf Stan Wawrinka. Er räumt ein, dass ihm der Abschied vom Tennis schwerfallen wird. Das ist die Crux vieler Spitzenathleten. Sie klammern sich zu lange an ihren Sport, auch wenn ihnen die Felle allmählich davonschwimmen. Auf andere Gebiete sind sie dagegen schon mental nicht vorbereitet. Das sollten Wirtschaftsleute ebenfalls beherzigen. Nicht krampfhaft an eine Position klammern, die man sich mehr oder weniger schwer erarbeitet hat. Selbstkritische Analyse tut Not. Jede Zeit hat ihre Aufgaben. Das Umsteuern auf neue Verhältnisse, im Job, in Führungspositionen, im Investieren sollte rechtzeitig in den Blick genommen werden.

Hauptbildnachweis: Freepik