Unternehmensanleihen: Die Flut hebt alle Boote
Im vergangenen Jahr konnten wir auf den globalen Unternehmensanleihemärkten das Phänomen «Die Flut hebt alle Boote» beobachten, wobei sich die Spreads und Renditen über fast das gesamte Spektrum der Unternehmensanleihen hinweg einem historisch engen Niveau näherten. Unserer Meinung nach beginnt sich dieses Bild nun zu verändern. Eine Kombination aus hartnäckig anhaltendem Inflationsdruck, Problemen mit den Lieferketten, Sorgen um den Arbeitsmarkt sowie die Verringerung der Unterstützung durch die Zentralbanken hat das Potenzial, die Entwicklung der einzelnen Unternehmensanleihemärkte im kommenden Jahr erheblich zu beeinflussen.
Vor diesem Hintergrund sind wir der Ansicht, dass sich Investoren für eine dynamische Strategie entscheiden sollten, die eine Diversifizierung über ein breites Spektrum an Credit-Anlageklassen bietet, während sie bei der Auswahl der einzelnen Unternehmensanleihen einen äusserst selektiven Ansatz verfolgt.
Jeff Boswell, Head of Alternative Credit, Ninety OneWenn die Zentralbanker gezwungen sind, die Inflation mit einer stärkeren geldpolitischen Straffung zu bekämpfen als von den Volkswirtschaften verkraftbar, könnten die Marktreaktionen von lokalen Volatilitätsschüben bis hin zu dramatischeren Bedingungen reichen.
Was sind die wichtigsten Risikofaktoren für die Unternehmensanleihenmärkte im Jahr 2022?
- Mögliche neue Varianten von Covid-19
Obwohl die Omikron-Variante von Covid-19 hochgradig ansteckend ist, scheint die Schwere der Symptome zum Glück geringer zu sein als ursprünglich befürchtet. Nichtsdestotrotz werden die pandemiebedingten wirtschaftlichen Beeinträchtigungen fortbestehen. Selbst bei einer gewissen Normalisierung – verstärkte Immunität und pharmazeutische Entwicklungen – ist mit einem weiteren Aufflackern zu rechnen, und damit mit dem Potenzial für reflexartige Marktreaktionen – ungeachtet der Tatsache, dass eine schädlichere künftige Virusmutation zu einer grösseren wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen würde. Kurzum: Jede Investition in Unternehmensanleihen aus vom Virus betroffenen Branchen sollte angesichts des potenziellen Risikos und der Volatilität einen angemessenen Preis haben, wobei Investoren nach Möglichkeit attraktive Einstiegsmöglichkeiten nutzen sollten. - Risiken durch die Politik der Zentralbanken
Wir glauben, dass die Massnahmen der Zentralbanken im kommenden Jahr das grösste Risiko für die Märkte darstellen. Wenn die Zentralbanker gezwungen sind, die Inflation mit einer stärkeren geldpolitischen Straffung zu bekämpfen als von den Volkswirtschaften verkraftbar, könnten die Marktreaktionen von lokalen Volatilitätsschüben bis hin zu dramatischeren Bedingungen reichen. Obwohl eine geldpolitische Fehlentscheidung nicht unvermeidlich ist, ist es derzeit schwer zu beurteilen, ob eine solche wahrscheinlich oder bereits eingetreten ist. Die US-Notenbank hat sich trotz der von Omikron ausgelösten Konjunkturabschwächung zu einer restriktiven Haltung entschlossen, was auf die anhaltend hohen Inflationszahlen sowie die Hartnäckigkeit der zugrunde liegenden Bedingungen in der Lieferkette und bei der Verfügbarkeit von Arbeitskräften zurückzuführen ist. Weiter hat sie ein schnelleres Auslaufen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten eingeleitet und prognostiziert schnellere Zinserhöhungen für den Zeitraum zwischen 2022 und 2023. Während die Europäische Zentralbank für das Jahr 2022 einen eher zurückhaltenden Kurs prognostiziert, gibt es weltweit einen weitgehend koordinierten Kurs der Straffung. Dabei preisen die Zinsmärkte für das Jahr 2022 eine erhebliche Anzahl von Zinserhöhungen in Kanada, dem Vereinigten Königreich und Australien ein. Dies kommt einer erheblichen Verknappung der Liquidität gleich, deren Auswirkungen sich als nachteilig für die makroökonomischen Bedingungen bzw. die Risikobereitschaft erweisen könnten. - Lieferketten und Arbeitskräftemangel
Die Auswirkungen unterbrochener und überlasteter Lieferketten bleiben ein Hauptrisiko für den Wirtschaftsausblick. Das Versagen einst zuverlässiger Lieferketten, deren Aufbau Jahrzehnte gedauert hat, könnte zu einem Zusammenbruch der Kostenstrukturen im verarbeitenden Gewerbe führen, da die Unternehmen in den Wiederaufbau zuverlässigerer Lieferketten investieren. Je länger dieser Prozess dauert, desto länger könnten der anhaltende Preisdruck und die mengenbedingten Umsatzeinbussen in verschiedenen Sektoren anhalten. Der Arbeitskräftemangel ist ein weiterer grosser Unsicherheitsfaktor für den Ausblick, der sich wahrscheinlich am längsten auf die Inflationszahlen und letztlich auf die Massnahmen der Zentralbank auswirken wird. Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften ist akut, was durch die demografische Entwicklung und die Einwanderungspolitik noch verschärft wird, da die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter bei einer alternden Bevölkerung weiter abnimmt. Die einwanderungsfeindliche Politik ist in den USA und im Vereinigten Königreich seit Jahren ein grosses Thema. Unter der Annahme, dass sich dies nicht wesentlich ändert, besteht die wahrscheinlichste Lösung für den Arbeitskräftemangel in höheren Löhnen, was sich wiederum auf die Inflation auswirken und zu einer Reaktion der Zentralbank führen könnte. - Geopolitische Spannungen brodeln
An mehreren grossen geopolitischen Fronten treten zunehmende Spannungen an die Oberfläche, von denen jede einzelne bei falscher Handhabung sehr schädliche Auswirkungen auf die Volkswirtschaften und Märkte haben könnte – sei es zwischen Russland und der Ukraine, den USA und China, China und Taiwan oder sogar durch den Richtungswechsel in der internen chinesischen Wirtschaftspolitik. Eine genaue Quantifizierung solcher Risiken ist ausserordentlich schwierig, und wir sind der Ansicht, dass eine erfolgreiche Einzeltitelauswahl der Schlüssel zur Vermeidung von Engagements in Unternehmensanleihen, die im Kreuzfeuer dieser geopolitischen Auseinandersetzungen stehen, bleibt.
Wie positionieren sich Unternehmensanleihe-Investoren in diesem Umfeld?
Während die jüngste Volatilität zu einer moderaten Neubewertung bestimmter Unternehmensanleihemärkte geführt hat, sind wir der Meinung, dass die unsicheren Aussichten eine strenge Anlagedisziplin und eine aktive Nutzung aller Möglichkeiten erfordern, um die Rendite zu maximieren. Wir sind der Überzeugung, dass immer noch ein attraktiver Carry geboten wird. Jetzt ist aber der Zeitpunkt gekommen, um bei Investitionen in Unternehmensanleihen, die den oben genannten Risikofaktoren besonders ausgesetzt sind, besonders vorsichtig zu sein. Unsere Positionierung, die sich je nach Marktbedingungen und individuellen Möglichkeiten ständig ändert, bestand im Allgemeinen darin, das Engagement in variable Zinssätze und kurze Laufzeiten zu erhöhen, um von den relativ flachen Kreditkurven und dem attraktiven Carry in diesen Teilen des Marktes zu profitieren. Wir haben auch die traditionellen, auf Abruf beschränkten Hochzinsanleihen reduziert und in defensivere Carry-Anlagen wie CLOs und Bankkapital mit kurzer Laufzeit umgeschichtet.