Sleepy Credit Suisse oder das mangelnde Gefühl der Schweizer Grossbank für das richtige Timing

Nicht nur im Bankgeschäft – da aber besonders – ist das richtige Timing oftmals von grösster Bedeutung. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, sagt der Volksmund. Die jüngsten Pleiten und Pannen der Credit Suisse scheinen dies zu bestätigen. Die Urteilskraft einzelner Verantwortungsträger bei der Bank lässt offensichtlich zu wünschen übrig.

Wichtigste Faustregel im Falle eines Margin Calls: sofort handeln, sprich kritische (Aktien-)Positionen sofort zum besten Preis verkaufen. Auch wenn damit Verluste verbunden sind, die es im Rahmen eines Notverkaufes einzugrenzen gilt. Der Zeitfaktor ist entscheidend. Wenn andere Marktteilnehmer, wie im Fall Archegos geschehen, die Reissleine bereits gezogen haben, während man selbst noch in den Startlöchern steht und über Sinn bzw. Unsinn der Kreditvergabe nachdenkt, stehen die Chancen denkbar schlecht, die eigenen Verluste in Grenzen zu halten. Diese bittere Erfahrung haben bei der zwischenzeitlich hinlänglich bekannten Hedgefonds-Pleite unlängst auch die Investmentbanker der Credit Suisse machen müssen. Die Häme der Marktbeobachter hat denn auch nicht lange auf sich warten lassen. Die personellen Konsequenzen auch nicht, wie wir heute wissen.

Sie (die Mitarbeitenden der Credit Suisse, AdR.) sind enttäuscht und wütend, und ich bin es – ehrlich gesagt – auch!

Urs Rohner (möglicherweise auf die eigene Person bezogen)

Fehler passieren eben, könnte man argumentieren. Leider aber setzt sich die Liste der Fehleinschätzungen und Timing-Issues bei der Credit Suisse fort, wie sich an der Personalie Andreas Gottschilling zeigt. Obwohl der Vorsitzende des Risikoausschusses sich bei den beiden Super-Pleiten Greensill und Archegos unangenehmen Fragen rund um seine eigene Verantwortung stellen muss, hat ihn die Credit Suisse zunächst unbekümmert zur Wiederwahl vorgeschlagen – und ihm und sich selber damit einen Bärendienst erwiesen. Die Bankenspitze hat erst reagiert, als gewichtige Aktionärsvertreter seine Abwahl forderten. Einmal mehr allerdings viel zu spät. Nachdem bereits die Risikochefin Lara Warner zu Recht ihren Hut nehmen musste, hätte den Verantwortlichen klar sein müssen, dass auch Gottschilling nicht mehr haltbar ist. Gleichwohl wurde es unterlassen, den Risikospezialisten rechtzeitig aus dem Rennen zu nehmen.

Erst als absehbar war, dass die Personalie Gottschilling wohl am Veto der Aktionäre scheitern würde, teilte die Credit Suisse am Vorabend (!) ihrer Generalversammlung in einem knappen Statement mit, dass dieser nicht mehr zur Wiederwahl antreten werde. Ein gutes Timing sieht anders aus. Ein gutes Urteilsvermögen ebenfalls. Es bleibt zu hoffen, dass sich unter dem neuen Verwaltungsratspräsidenten António Horta-Osório auch in dieser Beziehung eine Lernkurve einstellt.

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