Künstliche Intelligenz: So können sie aus Elektroautos eine Geldquelle machen

Für uns sind Elektroautos Maschinen, die mit Strom aus dem Netz versorgt werden müssen. Wir wissen, dass ein grosser Teil der Kosten, des Gewichts, des Volumens und der Komplexität eines Elektrofahrzeugs auf die Batterie entfällt. Wenn die Batterie also die wertvollste Komponente eines Elektrofahrzeugs ist, kann sie dann besser genutzt werden?

Dank der Vehicle-to-Grid-Technologie (V2G) können wir Elektroautos wie Batterien auf Rädern behandeln. Das Fahrzeug entnimmt nicht nur Strom aus dem Netz, sondern kann über V2G auch Strom ins Netz zurückspeisen. Das wird als «bidirektionales Laden» bezeichnet.

Warum ist das sinnvoll?
Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) muss die weltweite Batteriespeicherkapazität bei einem Netto-Null-Szenario bis 2030 im Vergleich zu 2020 um das 17-Fache steigen. Die IEA konkretisiert jedoch nicht, ob die Speicherung stationär oder mobil sein muss. Stationäre Kapazitäten in Form von grossen Energiespeichersystemen wachsen schnell, aber ihr Wachstum verblasst im Vergleich zur erwarteten Zunahme von Batterien, die durch Elektrofahrzeuge angetrieben wird (siehe Abbildung 1). Daher ist es sinnvoll, die am schnellsten wachsende Form der Energiespeicherung besser zu nutzen.

Quellen: WisdomTree, Wood Mackenzie, Prognosen von 2023

Die Energiespeicherung dürfte ausserdem am effektivsten sein, wenn sie gut verteilt ist. Der gesamte Zweck der Energiespeicherung besteht darin, die Schwankungen erneuerbarer Energien auszugleichen. Eine gut verteilte Energiespeicherung im gesamten Netz könnte dazu beitragen, Nachfrage und Angebot besser zu steuern und Übertragungsverluste zu verringern. Elektrofahrzeuge sind naturgemäss über das Netz verteilt, da sie in der Nähe ihrer Halter geparkt sind. Privatwagen sind in der Regel etwa 95% der Zeit geparkt. In 95% der Fälle zahlen Konsumenten somit für die Bequemlichkeit, ein Auto zu besitzen, das sie in den restlichen 5% selbst fahren können. Wenn das Auto in der Zeit, in der es nicht gefahren wird, als Energiespeicher genutzt werden kann, könnten wir es künftig zu 100% der Zeit nutzen.

Warum aber sollten Konsumenten das tun?
Konsumenten, die ihre Elektroautos zu Hause aufladen, wählen normalerweise einen variablen Tarif, um in Schwachlastzeiten günstig zu laden. Das ist nicht nur billiger für den Konsumenten, sondern hilft auch, die Netzauslastung zu regulieren. Beim bidirektionalen Laden könnten Konsumenten in den Schwachlastzeiten zu einem günstigen Tarif laden und in den Spitzenlastzeiten zu einem höheren Tarif wieder ins Netz einspeisen. Durch seine Batterie könnte das Auto dem Nutzer helfen, Einnahmen zu erzielen. Dieser Ansatz könnte auch enorme Einsparungen zur Folge haben, wenn Hausbesitzer oder Unternehmen die Installation von Solarzellen in Betracht ziehen. Die Kosten für die Batteriespeicherung können einen beträchtlichen Teil der Anschaffungskosten für solche Systeme ausmachen. Wenn aufgrund des Autos keine weitere Batterie mehr benötigt wird, ergibt sich sofort eine erhebliche Kapitaleinsparung. In Verbindung mit Solartechnik wird dies sogar noch attraktiver, da der Verbraucher seinen eigenen Strom erzeugen und in Spitzenzeiten zum attraktivsten Tarif an das Netz verkaufen kann.

KI kann die Optimierung des zeitlichen Ablaufs und des Umfangs der Energieübertragung zwischen dem Fahrzeug und dem Netz unterstützen.

Mobeen Tahir, Macroeconomic Research & Tactical Solutions, WisdomTree

Wie steht es mit der Batterielebensdauer? Zugegeben: Die Erschöpfung einer Batterie hängt von mehreren Faktoren ab. Einer der Faktoren ist, wie häufig der Ladestand einem der beiden Extreme entspricht (d.h. vollständig geladen oder vollständig entladen). Die Hersteller von Elektroautos empfehlen oft eine Aufladung von höchstens 80%. Ausserdem ist es ratsam, den Ladestand nicht zu weit absinken zu lassen, um die Lebensdauer der Batterie zu erhalten und um natürlich nicht zu riskieren, auf der Strasse festzusitzen. In einer Studie der University of Warwick aus dem Jahr 2017 heisst es, dass die Nutzung einer Elektroauto-Batterie in einem V2G-Szenario ihre Leistung nicht unbedingt beeinträchtigt – sie kann sie sogar steigern. Es sind zwar noch weitere Untersuchungen erforderlich, um die Auswirkungen von V2G auf die Batterielebensdauer abschliessend zu bestimmen, aber es gibt Möglichkeiten, den Prozess optimal zu gestalten, um die Langlebigkeit zu maximieren.

Was hat KI damit zu tun?
KI kann die Optimierung des zeitlichen Ablaufs und des Umfangs der Energieübertragung zwischen dem Fahrzeug und dem Netz unterstützen. Wann sollte der Verbraucher aufladen, wann sollte er die Ladung einbehalten und wann sollte er sie an das Netz zurückgeben? Diese Optimierung wäre auf die Verbrauchsgewohnheiten der Nutzer abgestimmt, sodass die Batterie für Autofahrten immer ausreichend geladen ist und überschüssige Ladung ins Netz zurückgespeist wird. KI-Systeme können auch den Zustand und die Leistung der Batterie überwachen und prognostizieren. Das fördert eine vorausschauende Wartung, um die Langlebigkeit und Zuverlässigkeit der Batterie zu gewährleisten. Aus Sicht des Netzes ist V2G eine weitere Variable, die neben Faktoren wie Wettermustern, die die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bestimmen, zu berücksichtigen ist. In diesem Fall muss das Verbrauchsmuster der Nutzer vorausgesagt werden, um Angebot und Nachfrage besser steuern zu können. Gegenwärtig müssen Netzbetreiber einigermassen vorhersehbare Nachfragemuster mit dem Angebot in Einklang bringen. Wenn die Konsumenten Teil des Angebotsmix werden, wird die Prognose des Angebots schwieriger, wodurch KI-Systemen eine wichtigere Rolle zukommt.

Ist das alles nur Science-Fiction?
Nein, das ist es nicht. Wie bei vielen Dingen spielt die Regulierung eine entscheidende Rolle. Der US-Bundesstaat Kalifornien, der sich intensiv um die Verringerung der CO2-Emissionen bemüht und im vergangenen Jahr den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035 verboten hat, denkt über einen Gesetzentwurf nach, der vorschreibt, dass jedes in Kalifornien verkaufte Elektrofahrzeug über eine eingebaute V2G-Funktion verfügen muss. V2G zieht also bereits die Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger auf sich. Das ist ein vielversprechendes Zeichen, da es zu weiteren Fortschritten bei der Überwindung etwaiger regulatorischer Hürden anregen könnte, bevor die Besitzer von Elektroautos Energie ins Netz einspeisen können. Mehrere Autobauer haben bereits Elektromodelle auf den Markt gebracht, die bidirektionales Laden unterstützen (etwa der Nissan Leaf, der Ford F150 und der Kia EV6). Bis sich die Technologie auf breiter Front durchsetzt, könnte V2G eine Möglichkeit für die Automobilhersteller sein, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Da die meisten Autokonzerne inzwischen in der Lage sind, Elektroautos zu fertigen, haben sie mehr Spielraum, um diese nächste technische Herausforderung zu meistern, von der viele behaupten, dass sie nicht allzu schwierig sein wird. Nissan unterhält bereits eine Partnerschaft mit Eon, um die Nutzung der V2G-Technologie zu forcieren. In einem Whitepaper von Eon zu diesem Thema wird dies ausführlicher erläutert.

Der künftige Weg für Anleger
Wir halten V2G für eine spannende neue Technologie innerhalb der Batterie-Wertschöpfungskette. Elektroautos, ihre Batterien und das Ökosystem, in dem sie zum Einsatz kommen, versprechen faszinierende Innovationen und zahlreiche Veränderungen in der Art und Weise, wie wir unsere Autos, Häuser und unser Leben mit Energie versorgen. Anleger könnten mit einem diversifizierten Ansatz über die Wertschöpfungskette von Batterien ein breites Spektrum an Chancen erschliessen. Dazu gehören heute etablierte Technologien wie die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien, aber auch neue Technologien wie V2G und andere.

Hauptbildnachweis: Nissan