Drei Gründe, warum der Nachfragestau kein Allheilmittel für das Wachstum ist

Die Erholung der europäischen Assetpreise wird wahrscheinlich nicht linear verlaufen.

Investoren, die hoffen, dass der Nachfragestau nach dem Ende der Coronavirus‑Pandemie zu einer nachhaltigen Erholung der Wirtschaft in Europa führen wird, droht eine Enttäuschung. Während des Lockdowns ist zwar ein Nachfragestau entstanden. Doch durch die Rücknahme staatlicher Impulse, das wachsende Wohlstandsgefälle und die sich ändernden Konsummuster dürfte die Wirkung schwächer ausfallen. Folglich wird die Erholung der Wirtschaft in Europa nach der Pandemie wahrscheinlich eine sehr komplexe Angelegenheit werden.

Risiko einer zu frühen Rücknahme von Massnahmen
Die Aktienrally im letzten Jahr war zum Teil den grosszügigen staatlichen Hilfsprogrammen zur Bewältigung der Coronavirus-Krise zu verdanken. Anteil daran hatte aber auch die Erwartung, dass die Verbraucher, sobald sie wieder konsumieren dürfen, wieder so viel ausgeben werden wie vor der Pandemie oder sogar mehr – zum Ausgleich für das, was sie im Lockdown nicht konsumieren konnten. Bei vielen Dienstleistungen ist diese Annahme naheliegend. Private Arzt- und Zahnarztpraxen zum Beispiel dürften eine starke Zunahme der Nachfrage verzeichnen, wenn zuvor aufgeschobene Behandlungen endlich durchgeführt werden können. In anderen Bereichen wird sich der Nachfragestau jedoch viel weniger stark bemerkbar machen. Wer sich im Lockdown nicht die Haare schneiden lassen konnte, wird nicht zum Ausgleich zweimal hintereinander zum Friseur gehen. Diese Beispiele zeigen, wie unterschiedlich sich der Nachfragestau in verschiedenen Bereichen auswirken wird. Wahrscheinlich werden die grössten Wirtschaftssektoren – Lebensmittel und Beherbergung (einschliesslich Reisen) – irgendwo dazwischen liegen, je nach Verbraucherverhalten.

Umfragedaten zeigen: Die Ersparnisse einkommensstarker Haushalte sind sehr viel deutlicher gestiegen als die von einkommensschwachen Haushalten.

Yoram Lustig, T. Rowe Price

So oder so wäre das Ergebnis eine zunächst kräftige Erholung. Sollte sich aber herausstellen, dass die Verbraucher den eigentlich für den Winter geplanten Konsum in den Sommer vorgezogen haben, dann dürfte sich die zügige Erholung im Dienstleistungssektor nicht ungebremst fortsetzen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Behörden im Sommer zunächst eine kräftige Erholung sehen, davon ausgehen, dass dies so bleibt, und dann geld- und fiskalpolitische Unterstützungsmassnahmen zurücknehmen. Anleiheanleger könnten von diesem potenziellen politischen Schlingerkurs profitieren. Zum Schutz ihrer Portfolios gegen etwaige Fehlgriffe der Politik können Anleger ihre defensiven Allokationen in Anleihen stetig erhöhen. Die Renditen dürften zunächst steigen, wenn die Corona-Beschränkungen nach und nach aufgehoben werden.

Verschärfung des Wohlstandsgefälles
Umfragedaten der Europäischen Zentralbank und der Bank of England zeigen: Die Ersparnisse einkommensstarker Haushalte sind sehr viel deutlicher gestiegen als die von einkommensschwachen Haushalten. Durch den relativen Anstieg der Ersparnisse unter den einkommensstarken Haushalten während der Pandemie wuchs das Wohlstandsgefälle. Da Personen im Erwerbsalter Ausgaben lieber aus ihrem laufenden Einkommen bestreiten als aus ihrem gebildeten Vermögen, ist es unwahrscheinlicher, dass Besserverdiener ihre Ersparnisse ausgeben. Dadurch droht das grössere Wohlstandsgefälle die Erholung zu belasten.

Zudem stiegen im Jahr 2020 die Preise für Immobilien und finanzielle Vermögenswerte, weil genau dorthin die meisten Ersparnisse geflossen sein dürften. Im Vergleich zu der Zeit vor Corona müssen Haushalte, die heute fürs Alter vorsorgen, davon ausgehen, dass ihre Anlagen niedrigere Renditen abwerfen, und daher – bei sonst gleichen Bedingungen – mehr fürs Alter sparen, um ihren Lebensstandard bewahren zu können.

Alles in allem bedeuten diese Entwicklungen, dass das Gesamtkonsumwachstum mittelfristig schwächer ausfallen könnte als erwartet. Wir gehen daher davon aus, dass sich das langfristige Trendkonsumwachstum unter den Niveaus aus der Zeit vor der Pandemie einpendeln wird. Übergewichtungen in Risikoanlagen könnten bei einem Comeback des Konsums zwar von Vorteil sein, Anleger sollten aber auch einige konservative, defensive Anlagen im Portfolio halten, die die Risiken minimieren, falls das Konsumwachstum geringer ausfällt.

Langfristige Veränderungen der Verbraucherpräferenzen dürften für einige Sektoren der Wirtschaft zu einer zusätzlichen 'kreativen Zerstörung' führen.

Yoram Lustig

Langfristige Veränderungen der Verbraucherpräferenzen dürften für einige Sektoren der Wirtschaft zu einer zusätzlichen «kreativen Zerstörung» führen. Am Immobilienmarkt sind bereits erste Anzeichen einer Trendumkehr erkennbar. In grossen Ballungsgebieten sind die Mieten von Wohnungen in zentraler Lage im Zuge der Krise mehr unter Druck geraten als auf dem Land. Durch die Möglichkeiten der Technologie, die das Arbeiten im Homeoffice unterstützen, beurteilen sie neu, wie sie am liebsten wohnen möchten, und es wird erwartet, dass die Verbraucher dem Wohnumfeld und den Lebensumständen immer mehr Bedeutung beimessen werden. Zudem haben sich Online- und mobile Vertriebskanäle unter den Verbrauchern noch stärker etabliert. Sektoren wie Detailhandel und Unterhaltung verzeichneten einen weiteren Anstieg der ohnehin schon hohen Akzeptanz.

Die Lockdowns haben die Verbraucher zur Nutzung neuer Technologien und zu neuen Gewohnheiten gezwungen, die ihrerseits die Konsummuster dauerhaft verändert haben. Daher bevorzugen wir in diesen Marktsegmenten einen aktiven Managementansatz. Wir sind davon überzeugt, dass Anleger mit einem aktiven Managementansatz besser von der nicht-linearen Neubewertung profitieren können, mit der in einem stabileren «Umfeld nach Corona» zu rechnen sein wird.

Yoram Lustig befürchtet, dass Anlegern, die auf einen Nachfragestau nach dem Ende der Corona‑Pandemie und damit auf eine nachhaltige Erholung der europäischen Wirtschaft hoffen, eine Enttäuschung droht Bildnachweis: T. Rowe Price