Erholung der Eurozone: Zwischen Hoffnung und Unsicherheit

Seit Beginn des Jahres haben Aktien der Eurozone eine stärkere als vom Marktkonsens erwartete Aufwärtsbewegung erlebt. Diese steht in erster Linie in Zusammenhang mit der Aufhebung der Schuldenbremse in Deutschland und geplanten Investitionsausgaben für Verteidigung und Infrastruktur in der Europäischen Union. Aber auch die Wirtschaftsdaten der Eurozone haben sich in letzter Zeit stabilisiert. Weitere Verbesserungen werden erwartet, wie die höheren europäischen Aktienbewertungen zeigen. Für das Wirtschaftswachstum der Eurozone dürften nun die endgültigen Ergebnisse der US-Zollerhöhungen gegenüber Europa, die Entwicklung des Privatkonsums und strukturelle Verbesserungen wichtig werden.

In der Eurozone hat sich in den letzten Monaten einiges getan – sowohl auf politischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene. So hat sich zuletzt das Wirtschaftswachstum verbessert: Das Bruttosozialprodukt ist im ersten Quartal 2025 zum Vorquartal um +0,4% gewachsen, dies nach 0,2% im letzten Quartal, und zeigte zum Vorjahr sogar eine Verbesserung von +1,5%. Auch der private Konsum, gemessen am Einzelhandel, hat sich zuletzt zum Vorjahr auf +1,3% erhöht, was gegenüber dem faktischen Nullwachstum vor einem Jahr eine deutliche Steigerung bedeutet.

Rüstung und Industrie als Renditetreiber
Die Reform der deutschen Fiskalpolitik könnte künftig zusätzliches Wachstum generieren. Die Aufgabe der sogenannten Schuldenbremse wird zwar die Staatsverschuldung erhöhen, was die Renditen der Staatsanleihen nach oben beeinflussen könnte, sie wird jedoch auch für zusätzliche Konjunkturimpulse sorgen. Für 2025 sollte der positive Beitrag zum deutschen Wirtschaftswachstum dabei erst wenig erhöht ausfallen, doch ab 2026 sind jährlich rund 0,5 % zusätzliches Wachstum beim Bruttosozialprodukt für Deutschland und etwa zusätzliche 0,2 % für die Eurozone denkbar. Dies dank der Kombination von höheren Staatsausgaben für Militärgüter in der EU und Infrastrukturinvestitionen in Deutschland. Die Erhöhung der Militärausgaben der Eurozone könnte zwar kurzfristig weniger hoch ausfallen als die deutschen Infrastrukturausgaben, welche im Umfang von 500 Mrd. Euro geplant sind, doch die Militärausgaben der EU dürften sich mittel- bis langfristig noch erhöhen.

Dennoch muss vor Euphorie gewarnt werden, da die endgültigen Zollerhöhungen der USA gegenüber der Europäischen Union noch nicht feststehen.

Gérard Piasko, Chief Investment Officer bei Maerki Baumann & Co.

Daher kann die in den letzten Monaten klar sichtbare Outperformance von Industrieaktien, insbesondere von Rüstungs- bzw. Militäraktien, in Europa nicht überraschen, da diese von den geplanten Investitionen speziell profitieren sollten. Ebenfalls verständlich ist folglich auch die Verbesserung der Konjunkturdaten im Industriesektor der Eurozone. Dies gilt zuerst einmal für die «weichen Wirtschaftsdaten», sprich Umfrageergebnisse von Unternehmen der verarbeitenden Industrie zu den Erwartungen für ihre zukünftigen Aufträge. Zum anderen ist aber inzwischen auch eine Verbesserung der sogenannten «harten Daten» zur Produktionsaktivität, also in der realen Wirtschaft, in Europa feststellbar.

Zu früh für Euphorie
Dennoch muss vor Euphorie gewarnt werden, da die endgültigen Zollerhöhungen der USA gegenüber der Europäischen Union noch nicht feststehen und die Informationslage diesbezüglich bekanntlich weiterhin Veränderungen ausgesetzt ist. Die Erhöhung der Bewertung der Aktien in der Eurozone, besonders in Deutschland seit Jahresbeginn, zeigt zudem, dass bereits einiges von den erwarteten Verbesserungen für die Unternehmensgewinne in die Aktienmärkte eingepreist wurde. Strukturelle Probleme und Unsicherheiten im – für einige Länder Europas wichtigen – Automobilsektor sind weiterhin vorhanden, nicht zuletzt wegen der enorm aggressiven chinesischen Konkurrenz bei Elektroautos. Zusätzlich ist auf die Bedeutung des Eurokurses hinzuweisen. Sollte sich der Euro – vor allem gegenüber dem US-Dollar oder asiatischen Währungen – zu stark zeigen, könnten die Exporte der EU in ihrer Dynamik reduziert werden. Die Inflation hingegen hat in den letzten Monaten vom stärkeren Euro zum US-Dollar genauso profitiert wie von den sinkenden Energiepreisen, speziell fallenden Ölpreisen. Dies ermöglicht der Europäischen Zentralbank, mit der Senkung der Leitzinsen fortzufahren. Allerdings warnen einige Mitglieder der Europäischen Zentralbank vor allzu raschen Zinssenkungen, weil sie die Auswirkungen der veränderten US-Handelspolitik zuerst beobachten möchten.

Fazit: Nach der Stabilisierung der Wirtschaftsdaten im ersten und zweiten Quartal würde eine weitere konjunkturelle Verbesserung in der Eurozone im weiteren Jahresverlauf nicht überraschen, sofern die US-Zollerhöhungen nicht massiv ausfallen. Diesbezüglich bleibt vorderhand noch – wie auch im Verhältnis der europäischen Länder zu China – eine gewisse konjunkturelle Unsicherheit erhalten. Dies zeigt, dass die Bäume Europas nicht in den Himmel wachsen müssen, eine partielle Erholung der relativen Bewertung gegenüber den US-Aktien aber nachvollziehbar ist.

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