Vertrauen – die unterschätzte Schlüsselgrösse
Wie können Interessengegensätze und Konflikte aller Art gelöst werden? Absprachen und Stillhaltevereinbarungen reichen nicht. Es braucht stets das Vertrauen zwischen den Akteuren – ein besonders verletzliches Gut.
Von den Chinesen heisst es, sie hielten Verträge nur solange ein, wie diese ihre Interessenlage bei Vertragsabschluss widerspiegelten. Entscheidende Stellgrösse sei der Eigennutz. In der hohen Politik regieren Autokraten nicht nach Vertragstexten, sondern nach Lust und Laune. Internationale Organisationen wie die UN werden so regelmässig ausgehebelt, einmal mit Verweis auf die aggressiven Absichten anderer Staaten, ein anderes Mal mit dem Nichteinmischungsprinzip. Demokratien mit ihren Checks and Balances scheinen da berechenbarer, unfehlbar sind sie dennoch nicht. Wo das Vertrauen zwischen Vertragspartnern erodiert, sind Vertragstexte und Zusagen nicht mehr viel wert.
Vertrauen nützt allen Lebensbereichen
Damit erweist sich «Vertrauen» als ein Schlüsselelement von Beziehungen, beginnend im privaten Bereich und endend in den internationalen Beziehungen. Es gilt der Satz des Dramatikes Johann Nepomuk Nestroy: Zu viel Vertrauen ist häufig Dummheit, zu viel Misstrauen immer Unglück. Im Geschäfts- und Wirtschaftsleben sind Verträge stets mit einer gehörigen Portion Vertrauen unterlegt. Wenn erst über das Kleingedruckte gestritten wird, gerät rasch die ganze Geschäftsbeziehung in Schieflage. «Lieber Geld verlieren als Vertrauen», meinte schon vor gut 100 Jahren der legendäre Konzerngründer Robert Bosch. Nicht der kurzfristige Vorteil zählt, sondern die langfristige Beziehung. Schiedsgerichte und Mediatoren können verfahrene Lagen entschärfen.
Jürgen Dunsch, Wirtschaftsjournalist und GastautorWortbrüche beschädigen Vertrauen als unsichtbaren Vertragsbestandteil.
Das Lenin zugeschriebene «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser», meint eigentlich das russische Sprichwort «Vertraue, aber prüfe nach». In diese Richtung wirkt zum Beispiel eine nachvollziehbare Unternehmenskommunikation, eine typische vertrauensbildende Massnahme. Das Stakeholder-Konzept verlangt dies sowieso. Persönliche Gespräche schaffen Vertrauen, Netzwerke multiplizieren sie. In der Makroökonomie hilfreich sind zum Beispiel unabhängige Statistikbehörden. Womöglich «von oben» gedrechselte Wachstumsraten säen unter den Wirtschaftsakteuren rasch ein allgemeines Misstrauen. In der Politik besitzt Vertrauen gleichfalls eine verborgene, aber nicht zu unterschätzende Bedeutung. Gleiche Werte von Vertragspartnern sind dabei hilfreich. In den USA hat der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz vor einiger Zeit gewarnt: Ein Deal mit Donald Trump sei kein Abkommen, sondern ein vorübergehender Waffenstillstand. Der mächtigste Staatenlenker der Welt trägt eine Wetterfahne, die Freunde noch mehr verwirrt als Feinde. Berechenbarkeit ist das Gegenstück des Partners zu dem Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird. Wenn sie fehlt, schmilzt jedes Vertrauen dahin.
Vertrauen auf gemeinsame Werte!
Abgesehen von der Geringschätzung der Europäer, bestätigt der US-Präsident im Handelskonflikt mit der EU diese Einschätzung besonders augenfällig: die zugesagten Investitionen über 600 Milliarden US-Dollar versteht er als «Geschenk» zu seiner freien Verfügung, eine Vielzahl von Industrieprodukten drückt er unter den Stahl- und Alutarif von 50 Prozent statt unter den Handelszoll von 15 Prozent. Und das wie üblich einseitig. Gemeinsame, stillschweigend geteilte Werte zwischen marktwirtschaftlich verfassten Staaten kündigt Trump damit auf. Sie umfassen zum Beispiel das Verständnis, dass es Unternehmen sind, welche in eigener Verantwortung Investitionen tätigen und nicht eine sozialistische Kommandowirtschaft. Die überrissene Definition der Stahl- und Aluminiumzölle widerspricht dem Grundsatz der partnerschaftlichen Festlegung wesentlicher Handelsvereinbarungen. Wortbrüche beschädigen Vertrauen als unsichtbaren Vertragsbestandteil. Im «Budapester Memorandum» von 1994 garantierten die Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Russland die territoriale Integrität und die Souveränität der Ukraine. Es war ein Muster ohne Wert, wie Wladimir Putin zehn Jahre später auf der Krim zeigte. In Asien ist die Lage von Taiwan ähnlich prekär. Eine Vertrauensbasis fehlt. An ihrer Stelle beherrscht die gegenseitige Abschreckung zwischen Amerika und China die Lage verbunden mit der Unsicherheit, wie viel die mächtigen Gegenspieler in einem offenen Konflikt riskieren würden. Vermögen internationale Institutionen wie die UN wenigstens konfliktdämpfend zu wirken? Wohl kaum. Wo die Macht gross ist, setzt sie ihre eigenen Regeln. Vertrauensbildung gehört nicht dazu.